Die Notizen geben Aufschluss über einflussreiche Hintermänner und Gruppierungen, die Kardinal Joseph Ratzinger unterstützt haben sollen. Will der Tagebuchverfasser die Umstände, die zu Ratzingers Wahl führten, offenlegen?
Als Journalist hatte Brunelli sofort den Eindruck, dass die Notizen eine echte Sensation waren. Es war im bewusst, dass er etwas wichtiges bekommen hat. Als Brunelli die Aufzeichnungen über die Hintergründe der Wahl Ratzingers veröffentlichte, tobte der Vatikan. Als Bestätigung der Richtigkeit konnte Brunelli einen weiteren Kardinal anführen, der meinte, dass er die Notizen glaubwürdig und für authentisch hält.
Zu seinen Beweggründen sagte der Tagebuchverfasser, dass die Welt erfahren sollte, was bei diesem Konklave tatsächlich geschah. Mit Hilfe des Dokuments lässt sich die Wahl hinter geschlossenen Türen zu rekonstruieren.
Das Konklave
18. April 2005. Das Konklave beginnt. Nach der Vereidigung der Kardinäle fordert der Päpstliche Zeremonienmeister mit der Formel „alle hinaus“ die nicht zum Konklave Gehörenden auf, die Kapelle zu verlassen, und verschließt anschließend deren Eingang. Die 115 Kardinäle sind nun unter sich. Für die Weltöffentlichkeit heißt es jetzt zu warten.
Die längste Wartezeit bei einem Konklave erlebte das mittelalterliche Städtchen Viterbo im 13. Jahrhundert (1268 nach dem Tod von Clemens IV.). 11 Kardinäle aus Italien und sieben aus Frankreich, brauchte nahezu drei Jahre, um sich auf einen neuen Papst zu einigen. Um den Wahlkampf zu beschleunigen, schlossen die Stadtoberen die Kardinäle in den Bischofspalast ein. Als das nicht half, deckten die Bürger das Dach ab. Erst als die Kardinäle nur noch Wasser und Brot bekamen, brachte der nahende Winter das Wahlkollegium dazu, nach 1005 Tagen Teobaldo Visconti die nötige Zweidrittelmehrheit zu bescheren. Zur großen Freude nahm der die Wahl auch an, von der ihn die Nachricht nach Monaten auf einer Pilgerfahrt im Heiligen Land erreichte.
Unter dem Namen Gregor X. entpuppte sich Visconti als höchst machtbewusster und umsichtiger Papst. Er bestimmte, dass die Kardinäle das Wahllokal nicht mehr verlassen duften, wobei er sich an ähnlichen Verfahren italienischer Stadtrepubliken orientierte. Zwar wurde diese Regelung wiederholt außer Kraft gesetzt, setzte aber Maßstäbe für die Kirchengeschichte.
Bezeichnend ist auch die zweijährige Sedisvakanz nach dem Tod von Clemens V.
1315. Die französischen Könige hatten die Päpste gezwungen, in Avignon zu residieren. Von 24 Kardinälen waren 16 Franzosen. Obwohl das Konklave auch noch im französischen Carpentras zusammentrat – erst nach der Rückkehr der Päpste an den Tiber setzte sich Rom als Ort der Papstwahl durch –, konnten sich die Kardinäle zwei Jahre lang nicht auf einen Kandidaten einigen. Nach drei Monaten flohen sie vor einem Feuer aus der Stadt. Schließlich ließ sie Prinz Philipp in einem Kloster in Lyon einschließen, wo sie notgedrungen nach 40 Tagen zu einem Ergebnis kamen.
Seit dieser Zeit werden die Kardinäle mit einem Schlüssel eingesperrt, auch im Jahre 2005. Und wieder kämpfen sie um die Macht in der Kirche. Es gibt drei Lager, vor allem im ersten Wahlgang. Das Pro-Ratzinger-Lager, ein reformbereites Lager und das große Lager der Unentschiedenen. Bis zur Wahl von Johannes Paul II. war über 500 Jahre stets ein Italiener Papst. Sollte das jetzt nach dem Papst aus Rom auch wieder Tradition werden?
Die Kandidaten
Besonders große Chancen werden den Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano eingeräumt.
Angelo Kardinal Sodano wurde am 23. November 1927 in Isola d’Asti geboren. Er ist seit 2005 Kardinaldekan und war zwischen 1991 und 2006 Kardinalstaatssekretär der römischen Kurie.
Angelo Sodano (2016)
Nach seinem Studium der Philosophie und Theologie wurde er am 23. September 1950 in Asti vom damaligen Bischof von Asti, Umberto Rossi, zum Priester geweiht.
Anschließend ging er nach Rom. Er studierte dort kanonisches Recht an der Päpstlichen Lateranuniversität und Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana und besuchte die Päpstliche Diplomatenakademie. Am 30. November 1977 wurde er zum Titularerzbischof von Nova Caesaris und zum Apostolischen Nuntius in Chile ernannt.
Sodanos Amtsantritt als Apostolischer Nuntius 1977 in Chile erfolgte während des Militärregimes von Augusto Pinochet. Sodano wird vorgeworfen, gegenüber den Menschenrechtsverletzungen des Regimes geschwiegen zu haben. So forderten beispielsweise 1987 sieben katholische Priester in einem Brief nach Rom Sodanos Abberufung aus Chile.
Im März 1989 kam er nach Rom zurück und wurde "vatikanischer Außenminister", also „Sekretär des Rats für Außenbeziehungen", quasi als „rechte Hand“ von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli. In dieser Zeit vertrat er den Heiligen Stuhl auf zahlreichen internationalen Tagungen.
Nach dem Rücktritt von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli nach Erreichen der Altersgrenze wurde Erzbischof Sodano am 1. Dezember 1990 zum Pro-Staatssekretär des Staatssekretariats ernannt, da er noch kein Kardinal war, konnte er die übliche Bezeichnung Kardinalstaatssekretär erst führen, nachdem er im Konsistorium vom 28. Juni 1991 zum Kardinalpriester mit der Titelkirche Santa Maria Nuova (Santa Francesca Romana) erhoben worden war.
Am 10. Januar 1994 wurde er vom Papst zum Kardinalbischof mit dem Titel des suburbikarischen Bistums Albano ernannt. Am 30. November 2002, auf den Tag genau 25 Jahre nach seiner Bischofsernennung, wurde seine Wahl zum Subdekan des Kardinalskollegiums durch Johannes Paul II. bestätigt. Zwischen August 1991 und 2004 begleitete Sodano Papst Johannes Paul II. auf 53 seiner Auslandsreisen.
In der Folgezeit nahm er durch die Krankheiten des Papstes sehr viele zusätzliche Aufgaben wahr. So zelebrierte er auch die Messe am Ostersonntag 2005 auf dem Petersplatz und verlas anschließend die Ostergrüße in den verschiedenen Sprachen.
Der Italiener war also zur Zeit des Konklaves der zweitmächtigste Mann im Vatikan.
Ein Kandidat des gemäßigten Lagers. Als Staatssekretär hatte er natürlich ausgezeichnete Beziehungen zu den Kardinälen in der ganzen Welt und er konnte somit als Kandidat der Mitte gelten.
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Der zweite Italiener wird schon seit Jahren als Papst im Wartestand gehandelt. Er Jesuit und ehemaliger Erzbischof von Mailand, Carlo Maria Martini. Der liberale Italiener galt als moderner Reformer und Gegenpol zum konservativen Lager. Er hatte das Zeug dazu, die Kirche zu reformieren. Doch beim Kampf um die Macht hatte er einen Nachteil. Er ist gesundheitlich angeschlagen. 1996 wurde eine Form der Parkinson-Krankheit diagnostiziert.
Carlo Maria Martini (2010)
Carlo Maria Kardinal Martini SJ wurde am 15. Februar 1927 in Turin geboren. Er besuchte das jesuitische Istituto Sociale in Turin und trat im Alter von 17 Jahren, am 25. September 1944, der Ordensgemeinschaft der Jesuiten bei und absolvierte sein
Noviziat in Cuneo. Er studierte Philosophie an der Philosophischen Fakultät Aloisianum in Gallarate bei Mailand und Katholische Theologie an der Theologischen Fakultät in Chieri. Am 13. Juli 1952 empfing er das Sakrament der Priesterweihe und absolvierte das jesuitische Tertiat sowie weitere Studien in Rom.
1966 promovierte er am Päpstlichen Bibelinstitut. Nach einer Zeit als Professor und Dekan am römischen Bibelinstitut wurde er dort am 2. September 1969 zum Rektor bestellt. Papst Paul VI. übertrug ihm 1978 die Leitung der offiziellen Fastenexerzitien der Römischen Kurie.
Papst Johannes Paul II. ernannte Martini am 29. Dezember 1979 zum Erzbischof von Mailand und spendete ihm am 6. Januar 1980 im Petersdom die Bischofsweihe.
Von 1980 bis 1983 war er zudem auf Veranlassung von Papst Johannes Paul II. ständiges Mitglied im Generalsekretariat der Bischofssynode.
Im Konsistorium vom 2. Februar 1983 nahm Johannes Paul II. Martini als Kardinalpriester mit der Titelkirche Santa Cecilia in das Kardinalskollegium auf. Von 1986 bis