Bei diesen Worten hielten wir alle den Atem an und es war so still, dass man eine Nadel aus Tamins Nadelkissen hätte zu Boden fallen hören.
„Bitte, sprich weiter. Erzähle ihnen, was ihr entdeckt habt“, sprach Vegard ihr zu und legte ihr behutsam seine Hand auf ihren Arm.
„Sie haben viele unserer wertvollsten Orchideen gestohlen, einfach aus dem Boden gerissen oder zertreten. Und die Xanthis haben sie eingefangen (die Menschen sprechen das Ksantis aus) und in ein Netz gesperrt. Sie sind alle weg“, schluchzte sie.
„Wen haben sie aus dem Boden gerissen und in ein Netz gesperrt?“ fragte Pokki und jeder von uns wartete gespannt auf die Erklärung. Denn niemand von uns hatte diesen Namen je zuvor gehört.
Auf zum Tal
„Ich denke, um euch alles verständlich zu machen, sollten wir gemeinsam zum Tal der Schmetterlinge gehen. Dort werdet ihr es besser verstehen“, sagte Sóla und hätten wir früher noch laut bei diesen Worten losgejubelt, war unsere Freude nun eher verhalten.
Doch ich will ehrlich zu dir sein: obwohl die Neuigkeiten sehr besorgniserregend waren, freuten wir uns dennoch nun endlich einmal das Tal zu sehen. Dorthin durften wir nie, denn es ist ein sehr geheimnisvoller und magischer Ort, zu dem nur die Elfen und Schmetterlinge zutritt hatten. Eigentlich…
So folgten wir alle Seite an Seite und leise miteinander flüsternd den Elfen. Kein Lachen und keine lauten Stimmen waren zu hören.
Es war ein recht weiter Weg und ich sah den erstaunten Gesichtern meiner Gefährten an, dass auch sie noch nie in diesem Abschnitt des Waldes gewesen waren.
Einige Male dachte ich eine Sinnestäuschung zu erleben. Und so wandte ich mich an den neben mir laufenden Styggur:
„Sag, hast du auch den Eindruck, dass sich der Wald manchmal verändert? Ich sah gerade nach vorn, blickte nur kurz auf den Boden und als ich wieder hoch sah, schien der Wald vor mir sich verändert zu haben. Habe ich mich getäuscht oder hast du das auch gesehen? Mir ist manchmal, als würden die Bäume sich bewegen. Mal stehen sie hier und einen kurzen Augenblick später stehen sie woanders.“
„Du hast recht“, flüsterte er mir zu. „Ich dachte schon, ich hätte nicht alle Rinden am Baum. Das ist mir jetzt auch schon einige Male aufgefallen!“.
„Ihr habt recht, das ist so von den Elfen gewollt, damit niemand den Weg dorthin wiederfinden kann!“ raunte Dellingur uns zu, der mit Tamin und Pokki hinter uns lief. „Seht nur, in dem Baum dort vorn lebt der Kibuz!“
Oha, jetzt war ich wirklich beeindruckt. Ich hatte mir tatsächlich nie Gedanken darüber gemacht, wo der Kibuz wohnt.
Das Zuhause vom Kibuz
„Oh“, riefen alle aus, als wir den beeindruckenden Baum sahen, in dem der Kibuz lebt.
„Ja, das ist derrrrr Eingang zum Tal derrrrr Schmetterrrrrlinge. Und ich bin derrrrr Wächterrrrr!“ hörten wir stolz den Kibuz sagen.
„Dieserrrrr Eichenbaum ist schon hunderrrrrte von Jahrrrrre alt. Von ihm aus, sehe ich alles, aberrrrr nicht alles sieht mich. Ich denke, das ist gut. Gut denke ich, ist das!“
An die merkwürdige Art, wie der Kibuz sprach muss man sich wirklich gewöhnen. Einige von uns kicherten und unsere neuen Freunde Pauri, Sami, Halia und der Mink sahen sich erstaunt an.
„Nicht wundern, einfach hinnehmen!“ lachte Reifur. „Der quatscht immer so.“
Nach diesen Worten bekam er von der stirnrunzelnden Elin einen freundschaftlichen Stoß in die Seite. „Sei nicht so respektlos, Reifur!“ mahnte sie ihn.
Etwas beschämt blickte er zu mir. „War doch nicht böse gemeint“, flüsterte er und mit seinen roten Wangen hätte er mit den Glühwürmchen um die Wette leuchten können.
„Wir sind gleich da. Hinter dem Baum befindet sich der See“, rief Elin uns zu und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Bereich hinter dem Baum.
Meine Güte, war ich gespannt. Auch Galdur, der inzwischen neben mir lief konnte seine Aufregung kaum verbergen.
„Dort sollen Hunderte von Schmetterlingen leben, wusstest du das? Aber was ich nicht verstehe, warum sollte jemand Schmetterlinge und Orchideen stehlen? Das ist doch total bescheuert!“
„Ja, mein lieber Galdur. Sobald wir dort sind, werden wir es euch erklären. Hier hat der Wald Ohren“, hörten wir Sóla sagen und wunderten uns nun umso mehr.
Der See lag verborgen hinter hohen Farnen, so dass wir ihn von Weitem noch nicht sehen konnten. Als wir ihn erreichten, staunten wir alle nicht schlecht.
Er war wunderschön anzusehen. Umrahmt von Bäumen und Büschen war er mit Seerosen überwachsen. Die Tropfen auf den Seerosenblättern reflektierten das Sonnenlicht und wirkten dadurch wie kleine Diamanten. Ein harmonischer Ort der Ruhe. Einige Äste der den See umsäumenden Weiden reichten bis in das Wasser hinein. Das Licht der Sonnenstrahlen umschmeichelte alles und schien den See beschützend einzuhüllen.
Lýsa trat zwischen uns hindurch an das Ufer des Sees und beugte sich hinab. Leise sprach sie, während ihre Finger durch das Wasser glitten:
Einst warst du unbewacht,
doch geben die Nixen jetzt auf dich acht.
Nur uns gewähren sie die Fahrt über dich
wen sie nicht kennen, gelingt dies nicht!
Ein kleines Schifflein bringt uns von hier fort
hin zu dem geheimnisvollen Ort.
Danach richtete sie sich auf und mit großen Augen standen wir eng beieinander am Ufer in Erwartung dessen, was nun geschehen würde.
Doch zunächst geschah nichts. Als unser Stimmengewirr immer lauter wurde, legte Lýsa den Zeigefinger auf die gespitzten Lippen.
„Pssssssst“, machte sie leise. „Wartet nur ab!“
Nur wenige Augenblicke später hörten wir das leise Rascheln der Seerosen und es kam Bewegung in den See. Wir trauten unseren Augen kaum, als wir wahrnahmen, dass unter der Wasseroberfläche die Gesichter von jungen Nixen zu sehen waren. Und als ob sie sich nur vergewissern wollten, wer dort am Ufer stand und zu ihnen sprach, verschwanden sie auch wieder. Doch als sich das Wasser wieder beruhigt hatte, lag zwischen den Seerosen ein kleines Boot.
„Oh“, sprach Dellingur. „Ich glaube, sie haben die Ruder vergessen!“
„Aber nein“, hörten wir Elin sagen. „Das Boot wird uns von selbst hinüberbringen.“
Ein geheimnisvoller Ort
Zu viele wären wir für das kleine Boot gewesen, so dass wir uns in drei Gruppen aufteilten. Auch Halia, Sami, Mink und Pauri mussten mit uns auf diese Weise den See überqueren, da es eine magische Barriere gab, weshalb sie nicht einfach den See überfliegen oder durch ihn hindurchschwimmen konnten. Der arme Kibuz war bei mir in der ersten Gruppe dabei und brummelte vor sich hin, dass er ja sowieso nicht mehr fliegen könne. Also fliegen könne er nicht mehr. Er wiederholt seine Sätze ja meist noch einmal.
Sehr gespannt sahen wir hinüber zum anderen Ufer,