Die Marschtritte der bereits entschwundenen Kolonne waren schon verklungen, aber immer noch wurden Anstalten zu einer anderen Abreise getroffen. Vor einem Blockhause stand ein halbes Dutzend Pferde beisammen. Zwei der Tiere schienen, nach ihrem Sattelzeug zu urteilen, für Frauen bestimmt zu sein. Ein drittes Pferd trug das Geschirr und die Waffen eines Stabsoffiziers, während die anderen mit Decken und Reisetaschen beschwert, offenbar für Diener bestimmt waren. In einiger Entfernung stand eine Gruppe neugieriger Zuschauer, unter ihnen auch ein Mann, dessen Äußeres einen höchst ungünstigen Eindruck hinterließ. Seine Glieder besaßen keinerlei Spur von Ebenmaß. Stand er, so überragte er alle, saß er dagegen, so schien er nur die gewöhnliche Größe der Männer zu haben. Sein Kopf war groß, seine Schultern eng, seine Arme lang und schlotternd, seine Hände dagegen klein, seine Beine und Schenkel dünn, ausgemergelt und überlang. Der geschmacklose Anzug dieses Menschen unterstrich noch seine unvorteilhafte Gestalt.
Dieser Mann ging unbedenklich unter den Dienern umher und lobte und tadelte die Pferde.
»Freund, ich möchte fast sagen, dieses Tier stammt nicht aus heimischer Zucht, sondern aus fremden Landen. Vielleicht ist es gar von der kleinen Insel über dem blauen Wasser nach hier gekommen?« sprach er in einem milden und sanften Ton. Da auf diese Rede keine Erwiderung kam, wandte er sich um. Dabei fielen seine Augen auf die schweigsame Gestalt des indianischen Läufers, der die unwillkommene Nachricht vom vorigen Abend in das Lager gebracht hatte. Obgleich der Wilde das aufgeregte und geräuschvolle Hasten nicht beachtete, so lag doch in seiner äußeren Ruhe ein mürrischer Trotz. Der Eingeborene trug den Tomahawk und das Messer seines Stammes. Die Farben auf seinem nach Kriegerart bemalten Gesichte waren ineinandergeflossen und machten seine Gesichtszüge noch wilder. Einen Augenblick nur begegnete sein forschender Blick dem verwunderten Auge des anderen.
Eine allgemeine Bewegung unter den Dienern kündigte das Nahen der erwarteten Personen an. Ein junger Mann, in der Uniform eines Offiziers, führte zwei Damen zu den Pferden. Nachdem die Damen und der Offizier aufgesessen waren, verbeugten sich alle drei gegen General Webb, der auf der Schwelle seiner Wohnung erschienen war. Dann ritten sie, von der Dienerschaft gefolgt, nach dem nördlichen Eingang der Verschanzungen. Während des kurzen Rittes entfuhr der jüngeren Dame ein erschreckter Ausruf, als sie den indianischen Läufer erblickte, der vorüberglitt und auf der Heerstraße ihnen vorauseilte.
2. Kapitel
»Sind solche Gespenster häufig in diesen Wäldern zu sehen, Heyward? In diesem Falle bedürfen Kora und ich großen Mutes, ehe wir dem gefürchteten Montcalm begegnen.«
»Der Indianer dort ist ein Läufer des Heeres und gilt bei seinem Volke für einen Helden«, versetzte der Offizier. »Er hat sich erboten, uns auf einem fast unbekannten Pfad schneller und angenehmer nach dem See zu bringen.«
»Der Mensch gefällt mir auch nicht«, sprach die ältere Dame. »Sie kennen ihn doch genau, Duncan, sonst vertrauten Sie sich doch nicht so unbedenklich seiner Führung an?«
»Ich kenne ihn genau. Man sagt, er sei ein Kanadier – und doch diente er unseren Freunden, den Mohikanern, Wie Sie wissen, gehören die Mohawks zu den mit uns verbündeten Stämmen. Er wurde durch einen seltsamen Vorfall zu uns gebracht, bei dem Ihr Vater beteiligt war und der Wilde hart behandelt wurde – aber ich vergaß die Geschichte, jetzt ist er unser Freund.«
»Wenn er meines Vaters Feind war, so gefällt er mir noch viel weniger!« rief das nun wirklich erschrockene Mädchen. »Wollen Sie nicht mit ihm sprechen, Major Heyward, damit ich seine Stimme höre?«
»Das wird vergeblich sein. Wenn er auch Englisch versteht, so tut er doch so, als verstünde er nichts davon. Aber er bleibt stehen, wahrscheinlich beginnt dort der geheime Weg, den wir einschlagen sollen.«
Die Vermutung Major Heywards war richtig. Als sie an die Stelle kamen, wo der Indianer stand, wies er mit der Hand auf ein Dickicht zur Seite der Heerstraße, und ein schmaler Pfad, der nur eine Person aufnehmen konnte, wurde sichtbar.
»Dahin also geht unser Weg«, sprach der junge Mann mit gedämpfter Stimme. »Zeigen Sie kein Mißtrauen!«
»Kora, was denkst du?« fragte das junge Mädchen. »Ist es nicht besser, wenn wir mit der Truppe reisen, selbst wenn es für uns unangenehm ist?«
»Sie sind mit den Kunstgriffen der Wilden zu wenig bekannt, Alice«, fiel Heyward ein. »Wenn sich der Feind überhaupt schon in unserer unmittelbaren Nähe befinden sollte, dann geht er sicher darauf aus, die Kolonne zu umzingeln, weil es hier am meisten zu skalpieren gibt. Die Straße, auf der das Detachement marschiert, ist bekannt, während unser Weg erst vor einer Stunde beschlossen wurde und somit für ihn ein Geheimnis sein muß.«
»Sollen wir dem Mann mißtrauen, weil seine Sitten nicht die unseren sind und seine Haut dunkel ist?«
Alice zögerte nicht länger. Sie gab ihrem Pferde einen Schlag mit der Gerte, drückte die Zweige des Gebüsches beiseite und folgte dem Läufer den dunklen, verschlungenen Pfad entlang. Der junge Mann bahnte nun ebenfalls einen Weg für die andere Dame, die Kora genannt worden war. Die Diener folgten auf der Heerstraße der Kolonne, eine Maßnahme, die der Führer angeraten hatte, um nicht zuviel Spuren zu hinterlassen. Sobald der Wilde merkte, daß die Damen wieder freier über ihre Pferde verfügen konnten, schlug er ein rascheres Tempo an. Doch schon nach kurzer Zeit blieb die Gruppe stehen, da entfernte Hufschläge zu hören waren. Bald sah man ein Füllen durch die Fichtenstämme schlüpfen und gleich darauf die Person des eigenartigen Mannes, der durch seine seltsame Gestalt bereits vor der Abreise der Gesellschaft aufgefallen war. Er trieb sein mageres Tier zu größter Eile an. Der Eifer und die Bewegungen des Reiters waren nicht minder merkwürdig als die seines Rosses. Bei jeder Bewegung erhob der Reiter seine hagere Gestalt in den Steigbügeln und bewirkte durch die ungebührliche Verlängerung seiner Beine ein ständiges Wachsen und Zusammensinken seiner Gestalt.
Die ärgerlichen Falten, die sich auf der offenen männlichen Stirn Heywards gesammelt hatten, glätteten sich, und um seinen Mund flog ein leichtes Lächeln, als er den Fremden betrachtete.
»Suchen Sie jemand?« fragte Heyward, als der andere näher gekommen war.
»Ja gewiß«, erwiderte der Fremde. »Ich hörte, Sie reiten nach ›William Henry‹, und da ich den gleichen Weg habe, möchte ich mich Ihrer Gesellschaft gern anschließen.«
»Wenn Sie nach dem See reisen wollen«, versetzte Heyward, »dann sind Sie nicht auf dem rechten Weg, die Heerstraße liegt eine halbe Meile hinter uns.«
»So ist es«, entgegnete der Fremde. »Ich müßte stumm gewesen sein, wenn ich mich nicht im Fort ›Edward‹ nach dem Weg erkundigt hätte. Und wäre ich stumm, dann könnte ich auch meinen schönen Beruf als Gesangsmeister aufgeben.«
»Lassen Sie den Fremden in unserem Gefolge reisen, Heyward«, bat Alice, und fuhr in gedämpftem Tone fort, »vielleicht kann er als Freund im Falle der Not unsere Kräfte verstärken.«
Heyward gab ihrem bittenden Blicke nach, stieß seinem Pferde die Sporen ein und war mit wenigen Sprüngen wieder an Koras Seite.
»Es freut mich, Sie zu treffen«, fuhr Alice fort, dem Fremden mit der Hand winkend, weiterzureiten. »Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, die Meinungen und Erfahrungen eines Meisters des Gesanges zu hören.«
»Es ist erfrischend für Geist und Leib, sich durch Singen von Psalmen zu erquicken«, erwiderte der Fremde. »Doch vier Stimmen sind erforderlich, um eine Melodie schön auszuführen. Die Stimme ist dem Menschen wie andere Talente zum Gebrauch gegeben.«
»So haben Sie denn Ihre Kunstversuche auf den heiligen Gesang beschränkt?«
»Ja, wie die Psalmen Davids jede andere Poesie weit übertreffen, so übertrifft auch die Psalmodie, die von den Gottesgelehrten und Weisen des Landes ihnen angepaßt worden ist, alle weltliche Musik.«
Während dieser Lobpreisung hatte der Fremde ein Buch aus seiner Tasche gezogen und eine in Eisen gefaßte Brille auf seine Nase gesetzt. Dann begann er mit vollen Tönen mehrere Strophen