In einer Szene bedient Ex-Regisseur Max v. Mayerling den Projektor von Desmonds Heimkino, um während des üblichen Diven-Zeremoniells einen ihrer früheren Filme zu zeigen – dabei läuft in Wirklichkeit der verrufenste aller Von-Stroheim-Filme, der sowohl die Karriere v. Stroheims beschädigte als auch am Ende der großen Swanson-Zeit stand. Die Szene, die ohne diesen Hintergrund ganz anders, weitaus banaler wirken würde, gewinnt an Brisanz durch die Geschichte, welche die beiden Stummfilmrelikte Swanson und v. Stroheim miteinander verbindet: Gemeinsam hatten sie 1928/29 für die damals astronomische Summe von rund 800.000 Dollar „Queen Kelly“ aufgenommen; noch während der Dreharbeiten sorgte Swanson für v. Stroheims Rausschmiss. Ebendieser Film flackert nun zwei Jahrzehnte später in „Sunset Blvd.“ über die Heimkinoleinwand von Norma Desmond (Swanson), während v. Stroheim als Butler am Projektor steht. Und sogar Hedda Hopper (1885–1966), neben Louella Parsons (1881–1972) eine der beiden berühmt-berüchtigten Klatschreporterinnen der klassischen Hollywoodära, ist sich nicht zu schade, sich selbst zu spielen: Als ein Polizist am Tatort den Gerichtsmediziner verständigen will, wirft ihn die längst in Desmonds Schlafzimmer sitzende Hedda Hopper aus der Leitung – ihr Anruf, bei ihrer Zeitung natürlich, sei wichtiger. Von Stroheim und Hopper sind Beispiele dafür, wie „Sunset Blvd.“ nicht nur Anleihen bei der Realität nimmt, sondern wie hier Fiktion und Wirklichkeit miteinander verwoben werden.
Nicht auszudenken, hätte Wilder seine ursprünglichen Präferenzen für die beiden Hauptrollen genommen. Bevor Wilders Regiekollege George Cukor die Swanson vorschlug, hatte den erloschenen Stern eigentlich der Dreißigerjahre-Star Mae West spielen sollen; als daraus nichts wurde, dachte Wilder erst an die Stummfilmikone Pola Negri und anschließend an Mary Pickford, den Inbegriff des Filmstars und die erste Großverdienerin vor der Kamera. Sie alle wären ebenfalls Inkarnationen des Star-Mythos, den Brackett und Wilder auseinandernehmen wollten, gewesen – aber es wäre doch ein anderer Film geworden. Und das gilt auch mit Blick auf Montgomery Clift, für den eigentlich die Holden-Rolle geschrieben worden war, der aber kurz vor Drehbeginn absagte.
Wilder vermutete, weil Clifts Agent dem Darsteller von dieser Rolle abriet, sie zu verdorben sei; angeblich habe Clift, der gerade mit Olivia de Havilland „The Heiress“ (1949) gedreht hatte, jedoch schlicht keine Lust mehr auf Liebesszenen mit älteren Frauen gehabt; aber vielleicht sagte Clift auch ab, da er damals selbst einer älteren Schauspielerin nahestand und die zu spielende Leinwandbeziehung nicht als Realitätsbezug missverstanden wissen wollte. Jedenfalls trauerte Wilder dieser Casting-Idee noch Jahrzehnte später nach – auch wenn viele sagen, gerade William Holden sei ein Leinwand-Alter-Ego Wilders gewesen, weshalb dieser ihn auch so gern gecastet habe (für einen anderen Wilder-Film, „Stalag 17“ von 1953, gewann Holden den Hauptdarsteller-Oscar, ferner spielte er unter Wilders Regie noch 1954 in „Sabrina“ und 1978 in „Fedora“). Aus dem Register der verfügbaren Paramount-Vertragsschauspieler schien der damals von Star-Ruhm noch unbefleckte Holden jedenfalls für Brackett und Wilder als die geeignetste Clift-Alternative herauszustechen. Und womöglich kitzelte das ungehobene Potenzial, das Wilder in Holden sah, auch den Ehrgeiz des Regisseurs, Holden endlich die gebührende Leinwandgeltung zu verschaffen.
Ein genialer Aspekt von „Sunset Blvd.“, den Swanson unerhört stark umgesetzt hat, besteht in der bizarren Gleichzeitigkeit von Stumm- und Tonfilm-Ära. Swanson spricht zwar, doch verkörpern ihre weit aufgerissenen Augen, ihre übertriebenen Hand- und Kopfbewegungen die vor dem Tonfilm unverzichtbare Kunst, sich ausschließlich über Mimik und Gestik auszudrücken. Ähnlich wie bei der Montage von Real- und Zeichentrickfiguren à la „Mary Poppins“ (1964) treffen hier mit Gloria Swanson und William Holden zwei Schauspielepochen und Hollywoodzeitalter aufeinander. Wie sehr dieser Unterschied wirkt, lässt sich daran ermessen, dass Holden wenigstens fünfzig Jahre später in einem Film des 21. Jahrhunderts nicht annähernd so fremd erscheinen würde wie Swanson in „Sunset Blvd.“, deren Stummfilmzeit damals aber wiederum bloß zwanzig Jahre zurücklag.
Daneben haben Wilder und Brackett (zusammen mit dem hinzugeholten D.M. Marshman Jr.) ihren letzten gemeinsamen Film vollgestopft mit Quintessenzen des Hollywoodlebens. Auf seiner verzweifelten Suche nach einer ausgelassenen Neujahrsparty außerhalb des klaustrophobischen Norma-Desmond-Museums beschreibt Gillis etwa die unteren Hollywoodschichten: „Writers without a job, composers without a publisher, actresses so young they still believe the guys in the casting offices.“ (Auf der Silvesterfeier haben auch die beiden Filmmusikschreiber Ray Evans und Jay Livingston Cameos, als sie inmitten der Partymeute am Klavier sitzen.) Und nach einem weiteren Selbstmordversuch knurrt die Desmond Gillis an: „Great stars have great pride.“
Überhaupt ist „Sunset Blvd.“ ein Meisterwerk geschliffener Drehbuchkultur. Seine wesentlichen Urheber, Billy Wilder und Charles Brackett, galten als ebenso unzertrennliches wie furioses Duo; eine Zeit lang waren sie die bestbezahlten Drehbuchentwickler Hollywoods. Wilder war NS-Flüchtling und alles andere als konservativ, Brackett hingegen ein republikanisch gesinnter Literat aus dem Ostküstenestablishment, kultiviert und fern von den neureichen Attitüden der übrigen Hollywoodelite. Für Brackett und Wilder bedeutete das Drehbuch alles, jedenfalls mehr als Schauspieler:innen und Kulissen. Wie später bei seinem zweiten großen Partner, I.A.L. Diamond, durchwanderte Wilder das Zimmer, während der andere an der Schreibmaschine saß – eine Schaffensgeografie, die Wilder und Brackett für einen kurzen Moment in einer Szene von „Sunset Blvd.“ spiegeln, in der Gilles durch das Büro von der am Schreibtisch tippenden Schaefer marschiert, nachdem er sich nachts aus der Desmond-Villa geschlichen hat. Insofern stand „Sunset Blvd.“ am Ende einer Ära, die 1938 mit der gemeinsamen Drehbucharbeit an der Ernst-Lubitsch-Romcom „Bluebeard’s Eighth Wife“ begonnen hatte – denn Wilder trennte sich nach zwölf Jahren der erfolgreichen Zusammenarbeit von Brackett.
„Sunset Blvd.“ markierte somit den Schlusspunkt einer der damals am meisten beneideten „Ehen“ Hollywoods. Dass sie nach „Sunset Blvd.“ dann getrennte Wege gingen, deutete sich an: Als Wilder im November 1948 seinen Partner Brackett in der Nacht der Präsidentschaftswahlen in derart aufgelöster Stimmung antraf, dass sie ihm noch niedergeschlagener vorkam als seine eigene nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, da war vielleicht noch einmal deutlicher als zuvor die politische Kluft, die zwischen dem liberalen Wilder und dem republikanischen Brackett lag, sichtbar geworden sein – Truman von den Demokraten hatte gewonnen. Insofern war die Beziehung der beiden Männer ohnehin brüchig gewesen.
Zudem war ihr vorheriges Projekt „The Emperor Waltz“ (1948) Wilder hinterher geradezu peinlich gewesen; dass sie bei „Sunset Blvd.“ auf den Dritten im Bunde, Marshman Jr., als frischen Ideengeber vielleicht stärker als sonst angewiesen waren, deutete bereits auf ihre ermüdete Beziehung hin. Wilder stellte die Trennung später oft als Studio-Edikt dar: Paramount habe sich von einer Aufsplittung des Autorengespanns schlicht einen doppelt so großen Drehbuch-Output versprochen. Angesichts ihres enormen Erfolges (das Bing-Crosby-Vehikel „The Emperor Waltz“ hatte immerhin viel Geld eingespielt) wirkt das indes wenig glaubwürdig. Und auch Brackett erzählte später im Privaten, dass ihn Wilders Ankündigung, nach Abschluss der Dreharbeiten getrennte Wege zu gehen, wie ein Schlag getroffen habe, von dem er sich nie wieder erholte. Die Trennung erfolgte daher wohl eher, weil sich Brackett bei „Sunset Blvd.“ noch stärker als sonst gegen etliche Wilder-Ideen gesträubt hatte, die dem reservierten Konservativen offenbar zu weit gingen; noch mühsamer als sonst hatte Wilder anscheinend seinem Partner seine Wünsche aufdrängen müssen. Und so sah Wilder vermutlich den Zeitpunkt gekommen, sich von Brackett loszueisen.
Heute blickt man auf „Sunset Blvd.“ ganz selbstverständlich als Meisterstück eines der besten Drehbuchschreibergespanne der Filmgeschichte zurück; aber damals hieß es bei manchen Kritiker:innen aus New York: „Since ‚Sunset Boulevard‘ contains the germ of a good idea, it’s a pity it was not better written.“ (Hamburger, Philip: Speaking of the Dead, in: The New Yorker, 19.08.1950.) Legendär ist auch die Begebenheit, als Paramount den Film im Studiokino einer Auswahl vergangener und aktueller Hollywoodgranden zeigte, darunter auch dem allseits gefürchteten MGM-Chef L.B. Mayer. Mayer, berüchtigt für sein Temperament, erregte sich nach dem Film über den Regisseur, der geteert, gefedert und aus Hollywood verjagt gehöre, wohl so sehr, dass