Seerosenzauber. Heidi Oehlmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Oehlmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753190600
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es einen Grund dafür gibt, aber er würde mich nie danach fragen.

      »Sie hat Ärger mit Pascal«, sage ich und winke ab.

      »Ärger?«, kreischt meine Freundin, die plötzlich hinter mir steht.

      Ich zucke vor Schreck zusammen.

      »Ich habe keinen Ärger mit dem Mistkerl! Er betrügt mich!«, sagt sie wütend und geht zu meinem Opa und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.

      Meine Großeltern mochten Gini schon immer. Sie war für sie fast wie eine zweite Enkelin.

      Wir kennen uns seit dem Kindergarten. Anfangs hätte wohl niemand gedacht, dass wir irgendwann Freundinnen werden könnten. Am ersten Tag in unserer Kindergartengruppe hatten wir uns angezickt. Wir schlugen uns gegenseitig mit Sandkastenschippen und beschmissen uns mit Sand. Unsere Erzieherin hatte alle Hände voll mit uns zu tun.

      Unser Krieg ließ erst nach, als wir beide von einem Jungen geärgert wurden. Er zog uns immer an den Haaren und beleidigte uns, sobald unsere Kindergärtnerin nicht hingesehen hatte. Alleine hatte keine von uns eine Chance, aber irgendwann taten wir uns im Kampf gegen ihn zusammen. Um genau zu sein, half sie mir. Als er mir mal wieder an den Haaren gezogen hatte, schlich sich Gini von hinten an und zog ihm einfach die Hose runter. So schnell, wie er mich losgelassen hatte, konnte ich gar nicht gucken. Anschließend hatte er noch wenige Male versucht, eine von uns zu ärgern. Jedoch war die andere sofort zur Stelle. Meist lief es aufs Hoserunterziehen hinaus. Ihm gefiel das überhaupt nicht. Deshalb hörte er schnell auf, uns zu piesacken und suchte sich neue Opfer.

      Seitdem sind Gini und ich miteinander befreundet. Wir merkten damals, dass die jeweils andere doch nicht so doof ist, wie wir dachten.

      Ginis Kindheit war kaum besser als, meine. Obwohl sie bei ihren Eltern aufgewachsen war, sie beide Elternteile bis heute noch hat, war sie viel allein. Sie war ein sogenanntes Schlüsselkind. Ihre Eltern waren nie da. Gini musste sich um sich selbst kümmern.

      Ich hätte es ja verstanden, wenn die Zimmermanns so viel gearbeitet hätten, um über die Runden zu kommen. Doch sie hatten keine Geldsorgen. Sie wollten einfach Karriere machen. Das war ihnen wichtiger als ihre eigene Tochter. Deshalb war Gini oft bei uns. Als ich noch bei meinem Vater wohnte, nahm ich sie nachmittags mit zu mir. Wir machten unsere Hausaufgaben zusammen und unternahmen dann etwas.

      Nachdem mein Vater nicht mehr da war und ich bei meinen Großeltern lebte, kam sie mit dorthin. Sie wurde wie ein weiteres Familienmitglied integriert.

      Spätestens um neun Uhr am Abend wollte sie immer zu Hause sein, damit ihre Eltern nichts merkten. Aber ich glaube kaum, dass sie gemerkt hätten, wenn Gini komplett bei uns eingezogen wäre.

      »Dann schmeiß ihn raus!«, brummt mein Großvater. Sein Blick ist zornig. Ich bin mir sicher, wenn Pascal jetzt vor ihm stünde, würde mein Opa ihm die Hölle heißmachen.

      Er findet sowieso keinen Kerl gut genug für eine von uns. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nie jemanden mitbringe. Das hatte ich ein Mal versucht, damals lebte meine Oma noch. Es dauerte keine fünf Minuten, bis ich es bereute. Mein Opa stellte David, dem armen Kerl, so viele Fragen. Es hatte nur noch gefehlt, dass er seine Fingerabdrücke genommen und eine DNA-Probe verlangt hätte.

      David verschwand unter einem Vorwand und meldete sich nie wieder bei mir. Dabei fand ich ihn nett. Wir waren gerade in der Kennlernphase. Mehr als ein bisschen Rumgeknutsche und Händchenhalten lief bei uns nicht.

      Nach dieser Erfahrung traf ich mich mit Jungs nur an neutralen Plätzen. Aus Angst, mir könnte ebenfalls so eine Befragung blühen, traute ich mich nicht, zu einem der Jungs nach Hause zu gehen. Es sei denn, derjenige hatte sturmfreie Bude.

      »Ich bin gegangen«, antwortet Gini verlegen. Inzwischen ist ihr klar, dass sie ihn hätte rausschmeißen sollen, statt selbst zu gehen.

      Mein Opa nickt ihr zu. »Du kannst hier bleiben, solange du willst. Maja macht dir bestimmt das Gästezimmer fertig.« Er sieht mich fragend an.

      Ich nicke ihm zu und schau dann zu Gini. »Wenn du möchtest?«

      »Gerne.« Gini lächelt gequält. Sie schaut zwischen mir und meinem Opa hin und her. »Danke, ich wüsste nicht, was ich ohne euch machen würde.«

      »Hey, das ist doch klar. Wir sind schließlich Freunde«, sage ich und bin froh, dass sie das Angebot meines Großvaters annimmt.

      Gini kann unheimlich stolz sein. Sie lässt sich nicht von jedem helfen und schon gar nicht von ihren Eltern. Eher würde sie in ihrem Auto schlafen, als sie um Asyl zu bitten. Dabei hätte sie das Haus die meiste Zeit für sich allein. An den Karriereplänen der Zimmermanns hat sich bis heute nichts geändert. Sie arbeiten nach wie vor rund um die Uhr. Zu Hause sind sie nur zum Schlafen.

      Gini hat den Kontakt zu ihren Eltern drastisch reduziert. Sie gratuliert ihnen noch zu ihren Geburtstagen und ruft zu den Feiertagen an, geht aber selten vorbei. Um sie zu besuchen, muss Gini schon eingeladen werden. Das passiert sogar ein paar Mal im Jahr, wenn die Zimmermanns Partys schmeißen. Zu den Anlässen darf die eigene Tochter nicht fehlen, damit sie die Vorzeigeeltern spielen können.

      Gini hat sich mit dieser Situation arrangiert. Was soll sie auch sonst machen? Schließlich kennt sie es nicht anders.

      Umso mehr tut es mir leid für sie, dass es mit Pascal nicht funktioniert hat.

      »Was machst du heute? Hast du frei?«, frage ich, als mir einfällt, dass Gini jetzt eigentlich schon arbeiten müsste. Sie arbeitet als Zahntechnikerin.

      Gini schaut mich irritiert an, so als wäre ich verrückt. »Heute ist Samstag. Da habe ich für gewöhnlich frei.«

      »Oh«, antworte ich und klatsche mir die Hand gegen die Stirn. In meinem Beruf als Köchin gibt es kein klassisches Wochenende. Dadurch komme ich häufig durcheinander.

      Meine Freundin lächelt mich zaghaft an. »Ähm, ich kann mir ja das Zimmer zurechtmachen und meine Sachen auspacken«, schlägt sie verlegen vor.

      »Das wäre toll«, antworte ich. »Ich weiß nämlich noch nicht, wie spät es heute bei mir wird. Seit gestern bin ich die stellvertretende Küchenchefin.«

      »Was?«, quietscht Gini. »Warum hast du denn nichts gesagt. Das ist ja …«

      »Anstrengend«, unterbreche ich sie.

      »Ja, aber du wolltest doch schon immer deinen eigenen Laden haben.«

      »Ja, klar. Im Moment habe ich nur eine Menge Verantwortung, ohne kreative Entscheidungen treffen zu können.«

      »Es ist doch eine gute Gelegenheit für dich, in die Selbstständigkeit hineinzuschnüffeln.«

      »Das stimmt. Ich weiß jetzt, dass ein eigenes Restaurant nicht nur kochen bedeutet.«

      »Du schaffst das!«, motiviert mich Gini. Dann dreht sie sich zu meinem Großvater. »Ich … Ich möchte aber nicht umsonst hier wohnen.«

      »Du brauchst keine Miete zahlen«, winkt mein Großvater ab. »Wenn du unbedingt etwas beisteuern willst, kannst du hin und wieder einkaufen gehen.«

      Gini schaut mich fragend an.

      Ich nicke ihr zu.

      »Na schön«, stimmt sie zu.

      »Ich muss mich langsam fertigmachen«, sage ich und springe auf. »Könnt ihr bitte den Tisch abräumen?«

      »Klar«, sagt Gini. »Ich habe heute jede Menge Zeit.«

      »Danke, du bist ein Schatz.«

      Ich drücke erst Gini einen Kuss auf die Wange, dann meinem Großvater, bevor ich nach oben verschwinde.

      Während ich immer zwei Stufen auf einmal nehme, fällt mir wieder der Brillenfund im Tiefkühlfach ein. Ich wollte Gini von dem Vorfall erzählen und sie bitten, ein Auge auf meinen Opa zu haben. Ich werde ihr später eine Nachricht schreiben.

      Obwohl ich die Sache mit Gini und Pascal traurig finde, bin ich froh, meine Freundin jetzt hier zu haben. Seit