„Lass das, Jo; es ist so knabenhaft.“
„Eben darum thue ich’s.“
„Ich hasse unhöfliche Mädchen mit unfeinen Manieren.“
„Und ich hasse zimperliche Zierpüppchen.“
„Die Vögelein vertragen sich in ihrem kleinen Nest,“ sang Lieschen, die Friedensstifterin, mit so schalkhafter Miene, dass die beiden scharfen Stimmen zum Lachen übergingen, und der Streit für den Augenblick ein Ende hatte.
„Wirklich, Mädchen, ihr seid beide zu tadeln,“ sagte Margaret, indem sie begann, sie in ihrer Weise als ältere Schwester zu ermahnen. „Du bist alt genug, um die Knabenmanieren abzulegen und dich besser zu benehmen, Josephine. Es kam nicht soviel darauf an, als du ein kleines Mädchen warst; aber jetzt, wo du so gross bist und dein Haar aufsteckst, solltest du dich doch erinnern, dass du eine junge Dame bist.“
„Das bin ich nicht! und wenn das Aufstecken des Haares mich zur jungen. Dame macht, so will ich es in zwei Zöpfen tragen, bis ich zwanzig Jahre alt bin,“ rief Jo, indem sie ihr Netz vom Kopfe riss und ihre kastanienbraune Mähne schüttelte. Ich hasse den blossen Gedanken, dass ich heranwachsen, Fräulein March genannt werden, lange Kleider tragen, und wie aus der Lade genommen erscheinen muss. Es ist schon schlimm genug, ein Mädchen zu sein, da ich Knabenspiele, Knabenarbeit und Knabenmanieren liebe.
Ich kann mich nicht darüber trösten, dass ich kein Knabe bin, und jetzt weniger als je, denn ich sterbe vor Sehnsucht, an Papa’s Seite zu kämpfen, und muss zu Hause sitzen, und stricken, wie ein jämmerliches altes Weib;“ und Josephine schüttelte den blauen Soldatenstrumpf, dass die Nadeln wie Castagnetten klirrten und ihr Knäuel durch das Zimmer flog.
„ Arme Jo, es ist wirklich gar zu schlimm; aber es lässt sich nicht ändern, und so musst du dich damit begnügen, deinen Namen so knabenhaft zu machen wie möglich und unsern Bruder zu spielen,“ sagte Lieschen, indem sie mit einer Hand, deren Berührung alles Abstäuben und alles Schüsselwaschen nicht unsanft zu machen vermochte, den rauhen Kopf streichelte, der sich an ihre Kniee lehnte.
„Was dich betrifft, Amy, “ fuhr Margaret fort, „so bist du zu eigen und legst zuviel Werth auf Aeusseres. Du giebst dir oft ein ganz kömisches Ansehen und du wirft ein Gänschen werden, wenn du dich nicht in Acht nimmst. Ich liebe deine netten Manieren und deine feine und höfliche Ausdrucksweise, so lange du nicht die Elegante zu spielen versuchst; aber deine albernen gesuchten Ausdrücke sind oft ebenso schlimm wie Jo’s Studentensprache.
„Nun, wenn Jo ein Knabe ist, und Amy eine Gans, was bin ich denn?“ fragte Lieschen, die auch ihren Antheil an der Vorlesung haben wollte.
„Du bist ein liebes Geschöpf, und nichts anderes,“ antwortete Margaret warm, und niemand widersprach ihr, denn die ,kleine Maus‘ war der Liebling der Familie.
Da junge Leser gewöhnlich gern wissen wollen, ,wie die Leute aussehen,‘ so wollen wir diese Gelegenheit wahrnehmen, um ihnen eine kurze Beschreibung der vier Schwestern zu geben, welche im Dämmerlicht da sassen und strickten, während draussen der Decemberschnee ruhig niederfiel und drinnen das Feuer gemüthlich knisterte. Es war ein behagliches altes Zimmer, obgleich der Teppich verblichen, und die Möbel sehr einfach waren; denn einige gute Gemälde hingen an den Wänden, Bücher füllten die Nischen, Goldlack und Weihnachtsrosen blühten vor den Fenstern, und ein wohlthuender Hauch häuslichen Friedens war über dasselbe ausgegossen.
Margaret, die älteste der vier Schwestern, war sechzehn Jahre alt und recht hübsch; sie war rund und hatte die zarte Gesichtsfarbe einer Blondine, grosse Augen, eine Fülle weichen braunen Haares, einen lieblichen Mund und weisse Hände, auf welche sie ein wenig eitel war. Die fünfzehnjährige Josephine war sehr hoch aufgeschossen und braun; sie erinnerte an ein Füllen und schien nicht recht zu wissen, was sie mit ihren langen Gliedern anfangen sollte, die ihr sehr im Wege waren. Sie hatte einen entschiedenen Mund, eine komische Nase und scharfblickende graue Augen, die alles zu sehen schienen und abwechselnd wild, schalkhaft oder gedankenvoll waren. Ihr langes dichtes Haar war ihre einzige Schönheit; aber es war gewöhnlich in ein Netz gesteckt, um ihr nicht im Wege zu sein. Josephine hatte runde Schultern, grosse Hände und Füsse; ihre Kleider hingen lose um sie herum, und sie glich einem Mädchen, das widerwillig rasch zur Frau heranwächst.
Elisabeth, oder Lieschen, wie sie allgemein genannt wurde, war ein rosenwangiges Mädchen von dreizehn Jahren, mit weichem Haar und glänzenden Augen; ihr Wesen war schüchtern, aber ihr friedlicher Ausdruck wurde selten getrübt. Ihr Vater nannte sie ,die kleine Stille,‘ und der Name war sehr bezeichnend für sie; denn sie schien in ihrer eigenen kleinen glücklichen Welt zu leben, aus welcher sie sich nur herauswagte, um sich mit den wenigen zu vereinigen, denen sie vertraute, und die sie liebte.
Amy, obgleich die jüngste der Schwestern, war eine höchst wichtige Persönlichkeit, wenigstens in ihrer eigenen Meinung. Ein rechtes Schneewittchen, mit blauen Augen und goldenem Haar, das in Locken auf ihre Schultern herabfiel. Sie war bleich und schlank und benahm sich immer wie eine junge Dame, die auf ihre Haltung und ihr Wesen achtet. Die Charaktere der vier Schwestern ausfindig zu machen, wollen wir dem Leser selbst überlassen.
Die Uhr schlug sechs, und Lieschen setzte, nachdem sie den Herd abgefegt, ein Paar Pantoffeln an’s Feuer, um sie zu wärmen. Es war, als wenn der Anblick der alten Schuhe eine gute Wirkung auf die Mädchen hätte; denn die Mutter musste gleich kommen, und jede machte ein freundliches Gesicht, um sie willkommen zu heissen. Margaret hielt in ihrer Vorlesung inne und zündete die Lampe an; Amy stand unaufgefordert aus dem Lehnstuhl auf, und Josephine vergass, dass sie müde war, richtete sich auf und hielt die Pantoffeln näher ans Feuer.
„Sie sind ganz abgetragen; die Mama muss ein Paar neue haben.“
„Ich dachte,“ sagte Lieschen, „ich wollte ihr für meinen Thaler ein Paar kaufen.“
„Nein, das werde ich thun,“ rief Amy.
„Ich bin die älteste,“ sagte Margaret, aber Josephine unterbrach sie in entschiedenem Tone: „Ich bin der Mann der Familie, jetzt da der Papa fort ist, und ich werde für die Pantoffeln sorgen, denn er trug mir auf, in seiner Abwesenheit besondere Sorge für Mama zu tragen.“
„Ich will euch sagen, was wir thun wollen,“ sagte Lieschen; lasst uns jede ihr etwas zu Weihnachten kaufen, und nichts für uns selbst.“
„Das sieht dir ähnlich, Lieschen!“ rief Jo. Was wollen wir kaufen?“
Jede dachte einen Augenblick ruhig nach; dann verkündete Margaret, als wäre ihr der Gedanke durch den Anblick ihrer eigenen hübschen Hände eingegeben worden: „Ich werde ihr ein Paar schöne Handschuhe kaufen.“
„Ein Paar Schuhe,“ rief Jo, die besten, die zu haben sind.“
„Einige gesäumte Taschentücher,“ sagte Lieschen.
„Ich werde eine kleine Flasche kölnisches Wasser kaufen; sie liebt es, und es wird nicht viel kosten, so dass mir etwas übrig bleibt, um eine Kleinigkeit für mich zu kaufen,“ fügte Amy hinzu.
„Wie wollen wir ihr die Sachen schenken?“ fragte Magaret.
„Wir wollen sie auf den Tisch legen, dann die Mutter hereinführen und zusehen, während sie die Pakete aufmacht. Erinnert ihr euch nicht, wie wir’s an unsern Geburtstagen zu machen pflegten?“ antwortete Josephine.
„Ich fürchtete mich so, wenn an mir die Reihe war, mit einem Kranze auf dem Kopfe auf dem grossen Sessel zu fitzen und euch alle herankommen zu sehen, um mir die Geschenke mit einem Kusse zu überreichen. Ich liebte die Sachen und die Küsse, aber euer aller Augen auf mich gerichtet zu sehen, während ich die Pakete öffnete, war schrecklich,“ sagte Lieschen, welche ihr Gesicht mit dem Brod zum Thee zugleich röstete.
„ Lasst die Mama denken, dass wir für uns selbst etwas kaufen, und sie dann überraschen. Wir müssen morgen Nachmittag unsere Einkäufe machen, Margaret; das Schauspiel für den Weihnachtsabend wird uns auch noch viel zu thun geben,“ sagte Jo, indem sie, die Hände auf dem Rücken und die Nase in der Luft, auf und abging.
„