Ein paar Schüler schleichen an mir vorbei. Ein Junge davon trägt seine Kappe verkehrt herum auf dem Kopf und hält sein Skateboard unter dem Arm. Er grinst ein blondes Mädchen neben ihm verschmitzt an. Vielleicht ist diese Schule ja gar nicht so schlecht.
Lukas „Dieses Jahr wird alles anders!“, ruft Markus aus.
„Das hast du letztes Jahr auch schon gesagt“, antworte ich voller Belustigung.
„Aber dieses Mal meine ich es auch so! Es gibt neue Mädels, Hashtag: Elftklässlerinnen“, bei diesem Satz verzieht Markus verführerisch die Augenbrauen und sieht mich an, als wäre ich der größte „Schul-Casanova“ höchst persönlich.
„Die jungen Mädels stehen doch auf solche reifen und attraktiven Männer wie uns“, Markus streicht sich seine dunkelbraunen Locken glatt und sieht dabei wirklich mehr als lächerlich aus. „Glaub mir, die werden Schlange stehen, wenn sie dich sehen!“
Ich lache laut auf. „Das glaube ich eher nicht.“
„Wieso nicht?“
Ich sehe meinen besten Kumpel eindringlich an, um ihm zu zeigen, dass ich meine kommende Aussage ernst meine. „Weil ich meinen Singlestatus nicht so an die große Glocke hänge wie du.“
Markus lacht amüsiert.
„Außerdem war die Auswahl letztes Jahr schon nicht so herausragend“, ergänze ich noch schnell.
Markus‘ Grinsen wird breiter, als würde er etwas ahnen. „Dein Traummädchen ist bestimmt dieses Jahr dabei! Ich fühle es!“ Dann holt mein bester Freund seinen Block aus seinem Rucksack.
Wir sitzen schon seit fünf Minuten in unserem neuen Klassenzimmer, das anfangs gar nicht so leicht zu finden war. Es ist noch nicht 08:00 Uhr, also beschließe ich, noch kurz die Toilette aufzusuchen.
Melissa Irgendwo muss es doch sein! Bei der Klassenbezeichnung „W11a“ müsste man doch eigentlich davon ausgehen können, dass es eines der ersten Klassenzimmer ist, aber das ist hier anscheinend nicht der Fall. Die Regeln an dieser Schule, scheinen von der praktischen Realität etwas abzuweichen. Ein klarer Minuspunkt auf meiner Bewertungsliste, die ich still im Geiste führe. Ich komme mir vor, wie bei einem Bewertungsportal.
Ich halte den Gebäudeplan in meinen Händen und bin so mit dem Studieren des Plans beschäftigt, dass ich kurzzeitig nicht aufpasse, wo ich hinlaufe. Anders als bei Harry Potter, sieht man auf diesem Plan leider nicht, wo man sich gerade aufhält. Man begreift eher, wo man falsch sein könnte, vorausgesetzt, die Orientierung stimmt.
Halte ich den Plan überhaupt richtig herum? Irgendetwas ist hier faul. Laut diesem müsste ich vor dem Lehrerzimmer stehen. Wenn ich aber nach vorne blicke, ist vor mir eine Toilette. Auch noch das Männer-WC!
Ich schaue auf die laut tickende weiße Quarzuhr an der Wand, um mich zu vergewissern, dass ich noch genug Zeit habe, bevor der Unterricht losgeht.
Ich will gerade die Tour durchs Labyrinth fortsetzen, als mich meine innere Stimme zurückhält und ich einen Moment zögere.
Plötzlich öffnet sich die Tür der Toilette und ein junger Mann kommt heraus. Er hat extrem kurze bräunliche Haare und ein kantiges Gesicht.
Wow! Der wäre definitiv mein Typ! Er sieht zu mir herüber, was ohne Vorwarnung meinen Puls zum Steigen bringt. Oh nein! Dieses Problem kenne ich schon und ich mag es nicht sonderlich.
Ehe ich den wie üblich resultierenden roten Kopf bekomme, drehe ich mich weg und tue so, als wäre die Karte in meinen Händen gerade die interessanteste Lektüre, die mir je zwischen die Finger gekommen ist.
Lukas Die Worte von Markus gehen mir immer noch durch den Kopf. Ja, ich bin Single, aber aus gutem Grund. Ich will eben kein Mädchen für eine heiße Nacht, sondern eine Frau für mehrere Nächte und Tage, für mein ganzes Leben. Eine Frau, die so denkt wie ich, eine, die meine Hobbies teilt oder sie zumindest versteht. Eine Frau, die mir zeigt, was es bedeutet, zu leben.
Als ich das im letzten Schuljahr Markus erzählt habe, meinte er, ich solle zum anderen Ufer schwimmen. Da wäre die Auswahl größer. Ich habe überhaupt kein Problem mit Leuten von der anderen Insel, aber für mich persönlich wäre das nichts.
Ich schaue auf und erstarre: Mir steht ein junges Mädchen gegenüber. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen, sie muss wohl zu den Neuen aus der elften Klasse gehören.
Unsere Blicke treffen sich kurz, doch dieses kurz kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Sie dreht sich rasch weg, als sie mich bemerkt, und huscht unsicher davon, als möchte sie sich so schnell wie möglich von hier entfernen.
Sie sieht niedlich aus. Ihre Kleidung, bestehend aus Lederjacke und Jeans, hat einen positiven Eindruck auf mich hinterlassen. So laufe ich selber gerne herum. Außerdem stehe ich total auf Brünette. Also hat sie gleich mehrere Pluspunkte auf ein Mal.
„Hey, kann ich mal?“
Ich fahre vor Schreck zusammen, als mich ein anderer Junge bittet, von der Tür wegzutreten. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich immer noch vor ihr stand. Fasziniert habe ich dem fremden Mädchen hinterhergeschaut, ohne es selbst wahrzunehmen.
Inzwischen ist sie längst verschwunden und ich beschließe, es ihr gleich zu tun: Ab zurück ins Klassenzimmer.
Melissa Unglaublich, aber wahr! Nachdem ich drei Mal im Kreis gelaufen bin, habe ich tatsächlich mein Klassenzimmer gefunden! Die Schule hat inzwischen ihren Minuspunkt wieder wettgemacht. Stattdessen gab es einen Pluspunkt für niedliche Jungs.
Der junge Mann vor der Toilette hat es mir jedenfalls angetan. Wegen ihm scheint es mir gerade unmöglich, mich zu konzentrieren. Ausgerechnet jetzt, wo ich dringend aufpassen sollte, sonst bin ich hier noch orientierungsloser als vorher. Schließlich bleibt mir später im Bus noch genug Zeit für Tagträume.
„Ihr habt daher immer fünf Minuten früher Pause, damit kein Stau beim Pausenverkauf entsteht. Letztes Jahr haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich die 13er oft vordrängeln, obwohl man eigentlich davon ausgehen müsste, dass man mit dem Alter schlauer wird.“
Ein lautes Gelächter schallt durch die Klasse, als sie die witzige Bemerkung unserer Klassenleitung, Frau Wolf, gehört haben. Ich lache mit, denn ich will schließlich nicht gleich am ersten Tag schon als humorlos gelten.
In welcher Klasse er wohl ist? Hat er mit mir angefangen? Nein, dafür wirkte er schon älter. Er muss mindestens eine Klasse über mir sein.
Wieder lachen meine Klassenkameraden, dieses Mal über einen Witz, der mir entgangen ist.
Frau Wolf rückt die goldene Brille auf ihrer Nase zurecht und stiert aufmerksam in die Klasse. „Anwesenheitskontrolle! Jeder, der seinen Namen hört, hebt die Hand!“
Wir sind eine große Klasse, bestimmt um die dreißig Schüler. Mein Name ist ziemlich in der Mitte zu finden. Ich höre mir die Namen der anderen an und bin schon gespannt, wie lange es dauern wird, bis ich sie alle auswendig weiß.
Wie er wohl heißt? Seine blau leuchtenden Augen haben mich irgendwie verzaubert. Selbst, wenn es vielleicht höchstens eine Sekunde war, als sich unsere Blicke kreuzten.
„Klein, Melissa!“
Ich schaue auf.
„Melissa Klein?“
„Ja, hier!“, ich hebe den Arm und laufe rot an. Na toll, Fettnäpfchen Nummer eins hat mich schon in der allerersten Unterrichtsstunde gefunden.
Lukas Im Pausenhof hat sich über die Sommerferien auch nichts verändert. Die einzigen Unterschiede im Vergleich zum letzten Jahr sind weniger Schüler in der Klasse und natürlich der Lehrer- und Fächerwechsel.
Unbewusst sehe ich mich auf dem Platz