Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness:. Joseph Conrad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joseph Conrad
Издательство: Bookwire
Серия: maritime gelbe Buchreihe
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754176207
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ganz tief verborgen, wie eingehüllt in das laute Gebrumm, etwas von der hellen, herzhaften Stimme des jungen Kapitäns der „RINGDOVE“ zu hören. Er fragte sich erstaunt, ob er sich wohl selbst im gleichen Maße geändert habe. Und es schien ihm, als hätte sich die Stimme seines alten Kameraden nicht einmal so sehr verändert – als wäre der Mann noch derselbe. Kein übler Bursche, der gefällige, lustige Ned Eliott, freundlich, scharf im Geschäft – und immer ein wenig zum Schwindeln geneigt. Er erinnerte sich noch, wieviel Vergnügen er seiner armen Frau gemacht hatte. Sie konnte in ihm wie in einem offenen Buch lesen. Wenn der „KONDOR“ und die „RINGDOVE“ zufällig zur gleichen Zeit im Hafen lagen, so bat sie ihn häufig, Kapitän Eliott zum Abendessen mitzubringen. Seit jenen alten Tagen hatten sie sich nicht allzu häufig getroffen. Vielleicht kaum einmal in fünf Jahren. Er sah unter seinen weißen Augenbrauen hervor nach diesem Mann, den er sich nicht entschließen konnte, an diesem Wendepunkt ins Vertrauen zu ziehen; und der andere fuhr mit seinen Herzensergüssen fort, weiter von seinem Zuhörer entfernt, als hätte er eine Meile weiter weg von einem Hügel herunter gesprochen.

      Nun hatte er wieder einige Scherereien wegen des Dampfers „SOFALA“. Schließlich musste er doch jeden festgefahrenen Karren im Hafen wieder flottmachen. Man würde ihn schon vermissen, wenn er in weiteren achtzehn Monaten einmal nach Hause gegangen und der Posten höchstwahrscheinlich irgendeinem Marineoffizier im Ruhestand zugeschanzt sein würde – einem Mann, der nichts verstehen und sich weniger Sorgen machen würde. Der Dampfer war ein Küstenfahrer, mit einer festen Handelsverbindung nördlich bis nach Tenasserim; das Böse war, dass kein Kapitän aufzutreiben war, der die regelmäßigen Fahrten hätte machen wollen. Kein Mensch wollte auf das Schiff. Er selbst hatte natürlich nicht die Möglichkeit, einen Menschen zur Annahme dieses Postens tatsächlich zu zwingen. Auf die Bitte eines Generalkonsuls hin konnte man ja einmal ein Übriges tun, aber...

      „Was ist mit dem Schiff los?“ unterbrach Kapitän Whalley gemessen. „Gar nichts ist los. Ein fester alter Dampfer. Der Eigentümer ist heute Nachmittag in meinem Kontor gewesen und hat sich die Haare gerauft.“

      „Ist er ein Weißer?“ fragte Whalley angeregt.

      „Er nennt sich einen Weißen“, antwortete der Arsenaldirektor grimmig. „Aber wenn er es ist, dann nur in der Haut und nicht tiefer. Das habe ich ihm heute ins Gesicht gesagt.“

      „Aber wer ist er denn?“

      „Er ist Maschinist des Dampfers. Verstehst du, Harry?“

      „Ich verstehe“, sagte Kapitän Whalley nachdenklich. „Der Maschinist. Ich verstehe.“

       Wie der Bursche dazugekommen war, gleichzeitig auch Reeder zu sein, das war eine ganze Geschichte. Er war als Dritter Offizier auf einem Schiff aus der Heimat vor etwa fünfzehn Jahren herübergekommen, wie Kapitän Eliott sich erinnerte, und nach einem bösen Krach mit seinem Ersten Offizier ausbezahlt worden. So oder so, die Leute schienen heilfroh, ihn um jeden Preis los zu sein. Offenbar ein aufsässiger Bursche. Nun, seither war er hier draußen geblieben, eine wahre Pest, ewig angeheuert und wieder ausgeschifft, unfähig, einen Posten sehr lange zu behalten; hatte wohl die Maschinenräume so ziemlich aller zur Kolonie gehörigen Schiffe durchgemacht. Dann plötzlich: „Und was glaubst du, was geschah?“

      Kapitän Whalley, der aussah, als hätte er eben im Stillen eine Summe zusammengezählt, fuhr leicht auf. Er konnte es sich wirklich nicht denken. Die Stimme des Arsenaldirektors bebte vor Erregung. Der Mann habe tatsächlich das Glück gehabt, den zweiten Haupttreffer in der Manila-Lotterie zu gewinnen. Alle diese Maschinisten und Deckoffiziere spielten ja in der Lotterie. Es schien ein förmlicher Irrsinn unter ihnen.

      Nun erwartete jedermann, dass er sich mit seinem Gelde nach Hause machen und nach seiner Façon zur Hölle fahren würde. Durchaus nicht. Die „SOFALA“, für ihre Route zu klein und nicht modern genug befunden, war von ihren Reedern, die einen neuen Dampfer aus Europa bestellt hatten, zu einem sehr anständigen Preise zu haben. Der Mann griff schleunigst zu und kaufte sie. Er hatte nie irgendwelche Zeichen des Wahnsinns verraten, der durch den plötzlichen Besitz einer großen Geldsumme hervorgerufen werden kann, niemals – bis er ein Schiff sein eigen nannte; dann aber verlor er mit einem Schlag sein Gleichgewicht: kam lärmend in das Seeamt, um das Schiff auf seinen Namen überschreiben zu lassen, den Hut auf das linke Auge gedrückt und ein Stöckchen zwischen den Fingern wirbelnd, und sagte jedem der Beamten einzeln, dass ihn nun niemand mehr hinauswerfen könne. Die Reihe sei an ihm. Nun gäbe es auf Erden niemand mehr über ihm, und es würde auch niemand mehr geben. Er stolzierte zwischen den Tischen herum, sprach mit lauter Stimme und zitterte dabei am ganzen Leibe, so dass alle Amtsgeschäfte ruhten, solange er da war und jedermann in dem großen Raum mit offenem Munde seinem Gehaben zusah. Später konnte man ihn dann während der heißesten Tagesstunden mit feuerrotem Gesicht die Quais auf und ab rennen sehen, um sein Schiff von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten; er schien geneigt, jeden Fremden, der gerade des Weges kam, anzuhalten, um ihm mitzuteilen, dass ‚nun niemand mehr über ihm sei; er habe ein Schiff gekauft; nun könne ihn niemand mehr auf Erden aus seinem Maschinenraum hinaussetzen.’

       Wenn der Handel auch noch so gut war, so verschlang doch der Preis der „SOFALA“ so ziemlich den ganzen Lotteriegewinn. Er hatte kein Betriebskapital übrigbehalten. Das machte nicht so sehr viel aus, denn es waren ja die goldenen Tage des Küstenhandels, bevor noch einige der Reedereien daran gedacht hatten, an Ort und Stelle kleine Flotten zu schaffen, um die Hauptlinien zu versorgen. Sobald diese einmal eingerichtet waren, nahmen sie natürlich die größten Stücke aus dem Kuchen für sich weg. Und dann war bald die schöne alte Zeit für immer vorbei. Durch Jahre hatte die „SOFALA“ seiner Ansicht nach kaum mehr als den nackten Lebensunterhalt verdient. Kapitän Eliott hielt es für seine Pflicht, jedem englischen Schiff, soweit es anging, zu helfen; und es lag auf der Hand, dass die „SOFALA“, wenn sie erst einmal aus Mangel an einem Kapitän ihre Fahrten zu versäumen begann, sehr bald ihre Handelsbeziehungen einbüßen würde. Das war nun die Schererei. Der Mann war zu unverträglich. „Von Anfang an zu sehr ein Bettler auf dem Pferd“, erklärte er. „Schien mit der Zeit immer schlimmer zu werden. Während der letzten drei Jahre hat er elf Schiffer gehabt, hat es mit jedem einzelnen Menschen hier außerhalb der regulären Linien versucht. Ich hatte ihn früher schon gewarnt, dass sich das auf die Dauer nicht halten würde, und jetzt will natürlich niemand von der „SOFALA“ etwas wissen. Ich habe mir ein oder zwei Leute ins Amt kommen lassen und habe mit ihnen gesprochen; aber sie sagten mir alle, was es für einen Sinn haben sollte, einen Posten anzunehmen, um einen Monat lang ein rechtes Hundeleben zu führen und sich am Ende der ersten Reise vor die Tür setzen zu lassen? Der Bursche versicherte mir natürlich, das sei alles Unsinn; seit Jahren sei eine Verschwörung gegen ihn im Gange. Die sei nun ausgebrochen. Alle die verdammten Seeleute im Hafen hätten sich zusammengetan, um ihn auf die Knie zu zwingen, weil er nur ein Ingenieur sei.“

      Kapitän Eliott kicherte gurgelnd.

      „Und die Tatsache ist die, dass er sich, wenn er noch ein paar Fahrten versäumt, gar nicht mehr die Mühe zu nehmen braucht, nochmals auszulaufen. Der wird auf seiner alten Route keine Ladung mehr finden. Heutzutage gibt es viel zuviel Wettbewerb, als dass die Leute ihre Sachen liegenlassen und auf ein Schiff warten würden, das niemals kommt, wenn es fällig ist. Die Aussichten für ihn sind nicht gut. Er schwört, dass er sich lieber an Bord einschließen und in seiner Kabine verhungern, als das Schiff verkaufen wolle – selbst wenn er einen Käufer finden würde. Und das ist durchaus nicht wahrscheinlich. Nicht einmal die Japaner würden die Versicherungssumme dafür geben. Es ist nicht wie mit dem Verkauf von Segelschiffen. Dampfer werden eben nicht nur alt, sondern vor allem unmodern.“

       „Er muss sich aber doch ein schönes Stück Geld zurückgelegt haben“, meinte Kapitän Whalley ruhig.

      Der Arsenaldirektor blies seine dunkelroten Wangen zu erstaunlichem Umfang auf.

      „Keinen Pfifferling, Harry, keinen – einzigen – Pfifferling.“

      Er wartete; als aber Kapitän Whalley langsam seinen Bart strich und vor sich auf den Boden sah, ohne ein Wort zu reden, da tippte er ihn, auf die Fußspitzen gereckt, auf den Arm und krächzte flüsternd:

      „Die Manila-Lotterie hat ihn aufgefressen.“

      Dann