Der bondage artist hatte seine Arbeit fast beendet, nun brauchte er die Hilfe der vierten Person, des Fotografen. Dieser, ein faltenreicher, älterer Mann in tadellosem, dunklem Anzug mit Krawatte und Seidenhemd, hatte jede Phase der Fesselung penibel festgehalten: aus der Ferne, aus der Nähe, doch immer distanziert und zurückhaltend, selbst wenn er nahe an das Objekt heranrückte. Der Mann fotografierte so, wie er es gelernt hatte, so wie man in der dicht besiedelten Enge dieses Landes leben und arbeiten musste, distanziert und zurückhaltend. Er unterbrach seine Arbeit und half dem Fesselungskünstler das Mädchenpaket aufzuhängen, den Bauch und das Gesicht nach unten, den Rücken mit den verrenkten Gliedmaße nach oben. Es war kein Seil, kein Strick aus Reisstroh, an dem sie hing, sondern ein Gummiband, das aus mehreren dicken Strängen geflochtenen an einem starken Haken in der Decke befestigt war. Die Arbeit des bondage artist war vorerst beendet und der Fotograf setzte seine Arbeit an dem lebenden, hängenden Kunstwerk fort. Weitere Bilder entstanden, aus jeder denkbaren Perspektive, aus jeder Richtung, en gros und en detail: den verschnürten Leib, die feuchten, verkrampften Hände, die verrenkten Füße, die straff gezerrten Haare, die direkt mit den Füssen verbunden waren, den roten Textilballen in dem grell rot geschminkten Mund, die weit aufgerissenen, angstvollen Augen, die grotesk zugespitzten Brüste mit den steil aufgerichteten Warzen zwischen den Seilen und Knoten, den blonden Flaum um die tief eingekerbte Scham, die Symmetrie von künstlich geteiltem Bauch und natürlich geteiltem Hinterteil. Nachdem er dieses Paket des Schmerzes und der Lust zu genüge in unzähligen bits und bytes festgehalten hatte, nahm der Fotograf die Speicherkarte aus der Kamera, ging zu einem Laptop, der auf einem kleinen Tischchen etwas abseits stand und übertrug die Daten. Es dauerte, bis der eine Speicher geleert und der andere gefüllt war und es dauerte noch länger, bis die Dateien im Internet nach einer Reise um die halbe Welt bei dem Empfänger ankamen, der sie schon erwartete.
Der digital artist, der vor seinem Computer saß und wartete, sah auf die Uhr. Es würde bald hell werden. An sich war es Zeit, schlafen zu gehen, es war aber auch die Zeit, zu der die ersten Daten aus dem fernen Osten eintreffen würden. Er war sehr neugierig und wollte die ersten Bilder noch unbedingt sichten, bevor er an diesem langen Arbeitstag Schluss machte. Er streckte die Arme seitlich aus, verschränkte sie dann hinter dem Kopf und dreht den Oberkörper hin und her. Anschließend waren ein paar Übungen zur Dehnung und Lockerung der verkrampften Finger an der Reihe. Der Computer surrte leise, eine Melodie erklang, die Dropbox wurde geöffnet, doch noch war nichts eingetroffen. Der digital aritst stand auf und griff nach der Flasche, die in Reichweite auf einem Bord über dem Computer deponiert war. Ein tiefer Schluck war die beste Medizin gegen die aufkommende Müdigkeit, eine sichere Droge, um die schwindende Konzentration wieder herzustellen, ein probates Mittel, um die Arbeit mit neuem Elan fortzusetzen. Whisky war besser als Kaffee. Er trank immer Whisky, immer direkt aus der Flasche, immer billiges Gesöff aus dem Supermarkt. Noch ein Schluck, dann schloss er die brennenden Augen, die lange auf den Monitor gestarrt hatten. Hinter ihm lag harte Arbeit, aber harte Arbeit war er gewohnt. Er war gefragt und hatte Erfolg, weil er gut war, ein Meister der Bildbearbeitung, einer, der aus dem Rohmaterial digitaler Aufnahmen, anspruchsvolle Bilder machte, einer, der mit Hilfe des Computers und der besten Software, die es gab, die finalen Kunstwerke schuf. Diese Werke waren etwas Besonderes, Synthesen aus einzelnen Fotografien, Zusammenfassungen von zeitlichen Abläufen, komplexe Kompositionen. Er stellte regelmäßig Beispiele seiner Arbeit in das Internet, auf seine Homepage, in spezielle Kunstforen. Dadurch wurde er bekannt, dadurch bekam er neue Kunden und so erhielt er auch diesen seltsamen Auftrag. Den Auftraggeber kannte er nicht, nur das Pseudonym, das in den e-mails verwendet wurde, mit denen er sich gemeldet hatte. Die Recherchen des digital artists führten ins Leere. Er sollte Bilder für ein Projekt „bondage art“ schaffen, die vergängliche Kunst der Fesselung mit ihrer eigenartigen Ästhetik in einen fassbaren Zustand, in beständige Bilder überführen. Der Auftraggeber, dessen Mails immer sehr kurz und in schlechtem Englisch abgefasst waren, erwartete Drucke von höchster Qualität und Güte und dafür war er war bereit sehr gut zu bezahlen. Um seine Seriosität zu unterstreichen, hatte er, nachdem sie sich geeinigt hatten, ihm bereits einen ansehnlichen Vorschuss überwiesen und er hatte Folgeaufträge angekündigt, wenn er mit den Arbeiten zufriedn wäre. Den digital artist erwartete gutes Geld für harte Arbeit, doch jetzt wartete er immer noch auf die ersten Bilder, die endlich eintrafen.
Dieser Auftraggeber und Mäzen hatte die Zeit der Fesselung des Mädchens fast unbeweglich auf seinem niedrigen Sofa verbracht. Nun stand er auf und ging langsam zu dem lebenden, hängenden Packwerk, umrundete es mehrmals, betrachtete es aus verschiedenen Positionen, prüfte hier einen Knoten, strich dort über ein Stück der heraus gepressten Haut, fuhr die ganze Länge der blonden Haare ab, prüfte die Festigkeit einer der aufgerichteten Brustwarzen und roch sogar an einigen delikaten Stellen. Dann strich er sich über das Kinn und nickte. Das Werk schien zu seiner Zufriedenheit geraten zu sein, er hatte nichts auszusetzen, nichts zu bemängeln und gab dem Paket zum Schluss einen sanften Stoß, so dass es leicht hin und her schwankte. Mit kurzen, knarrenden Worten bedeutete er dem Fotografen, auch diese Bewegungen festzuhalten, was dieser umgehend tat.
Aber ganz zufrieden war der Alte doch nicht. Er ging nicht zu seinem Sofa zurück, sondern verharrte und starrte auf die verschnürte Frau, die gleichmäßig, gemächlich hin und her schwang, wie der Pendel einer altertümlichen Standuhr. Kaum kam das Pendel fast zur Ruhe, gab er ihm einen neuen Stoß und verursachte neue Ausschläge, immer ein wenig heftigere als zuvor. Wenn das Mädchen dicht bei dem Alten vorbei schwebte, schaute sie ihn jedes Mal hilfesuchend an. Ganz offensichtlich hatte sie genug von diesem Spiel und wünschte sich, dass ihre Auftritt nun beendet werden sollte. Es war doch