Am Landungssteg winkt ihr ein junger Mann zu. Das ist sicher Jusuf, er wird sie auf der Fahrt begleiten. Erstens verlangt dies die Regierung und zweitens, ist es sicher kein Nachteil, wenn sie jemand dabei hat, welcher sich mit den Örtlichkeiten auskennt und die Sprache versteht.
«Hallo, sie sind sicher Miss Hauser?», begrüsst sie Jusuf auf Englisch, «ich bin Jusuf», erklärt er und lächelt.
«Ja, ich bin Miss Hauser», lächelt sie zurück, «bitte nenne mich Olivia, das ist persönlicher.»
Mit kritischem Blick mustert Jusuf seinen Gast. Die blonden Haare und ihre Körpergrösse, von einem Meter siebzig, sind auf dieser Insel eher selten. Sie verwirren ihn. Dank ihren strahlenden blauen Augen findet er die Fassung wieder.
«Olivia, ein schöner Name. Komm ich zeige dir den Lastwagen», erklärt er voller Stolz.
Olivia folgt ihm durch das kleine Dorf. Die Häuser bestehen aus Bretterverschlägen und sind meistens mit Blechen von aufgeschnittenen Fässern bedeckt. Der Weg ist mit Schlamm bedeckt und sie ist froh um ihre guten Schuhe.
Hinter einem grossen Busch steht der stolz angekündigte Lastwagen. Doch Olivia findet nichts, worauf man stolz sein könnte. Der Lastwagen ist ein uraltes Relikt aus der Zeit, als man hier noch Tropenhölzer fällte und versuchte eine Holzindustrie aufzubauen. Dieser Versuch scheiterte zum Glück an den Bedingungen. Es gab keine Möglichkeit mit grossen Schiffen das Dorf zu erreichen. Deshalb wurde der Versuch relativ schnell aufgegeben und die Insel zum Naturschutzgebiet erklärt.
«Ein guter Lastwagen», erklärt Jusuf, «ist das einzige Fahrzeug in dieser Gegend.»
«Ich hoffe, das alte Ding läuft noch», entgegnet Olivia, «ein Fussmarsch wäre zu anstrengend.»
Mit einem zuversichtlichen Grinsen beantwortet Jusuf ihre Bedenken. Er ist etwa eins siebzig gross, mit braun glänzender Haut und breiten Schultern. Für Olivia dürfte er etwas grösser sein, doch er gefällt ihr recht gut.
Jusuf springt auf die Ladefläche und verstaut die Kisten, welche von den Frauen angeliefert werden. Lediglich den Rucksack mit Olivias persönlichen Sachen hängt sie sich selber um.
«Komm, ich zeige dir, wo du heute Nacht schlafen kannst», erklärt Jusuf, nachdem er eine Plane über die Kisten gespannt hatte, «wir haben für dich ein Feldbett, die Hängematten sind für Europäer etwas unbequem».
Ihr reicht es schon, dass sie ohne das Schwanken des Schiffes schlafen kann. Im Dschungeldorf wird sie sich später noch an die Hängematte gewöhnen müssen.
«Ich lade dich ein, auf dem kleinen Platz hinter dem Dorf werden heute Abend Fische gebraten und eine kleine Feier veranstaltet, es würde uns freuen, wenn du unsere Einladung annimmst.»
«Ja gerne, kann ich mich noch etwas frisch machen?»
Die Frage war eigentlich nicht nötig. Sie zieht die Schuhe aus und springt vom Steg, im Shirt und den Shorts in Meer. Schon beim untertauchen sieht sie, dass sie in ein Traumwelt eingetaucht ist. Die Augen brennen, aber diese fantastische Unterwasserwelt muss sie einfach sehen. Immer wieder taucht sie zu den Korallen ab und kann nicht genug sehen. Als sie kurz auftaucht, erinnert sie Jusuf daran, dass sie noch eingeladen ist und sich beeilen muss. Sie watet aus dem Wasser. Ihr Shirt klebt an ihrem Körper. Ihr BH zeichnet sich deutlich ab. Jusuf wird etwas verlegen und weiss nicht wo er hinschauen soll.
«Gibt es eine Dusche», fragt sie Jusuf.
«Natürlich, die Hütte hat nebst dem Bett auch eine einfache Dusche, ich warte am Feuer auf dich, du kannst es nicht verfehlen.»
Die Dusche war kalt und das Wasser reichte kaum aus, das Shampoon auszuwaschen. Dann suchte sie ihm Rucksack ihre besten Jeans heraus und machte sich mit hochgesteckten Haaren auf, zum Feuer.
Der über dem Feuer gebraten Fisch schmeckt ausgezeichnet. Trotzt erheblichen Sprachproblemen wird es ein lustiger Abend. Doch schon kurz nach Sonnenuntergang zieht man sich zurück. Man will morgen bei Tagesanbruch aufbrechen und Olivia braucht dringend noch etwas Schlaf. Wer weiss, wann sie wieder in einem Bett schlafen kann?
Es ist noch dunkel, als Jusuf an ihre Türe klopft. Sie windet sich aus dem Schlafsack und schiebt das Moskitonetz zur Seite. Verschlafen öffnet sie die Türe.
«In einer halben Stunde fahren wir los», erklärt Jusuf und stellt ihr einen Krug mit heissem Kaffee auf den Tisch, «beeil dich, der Fahrer wartet nicht gerne, jede Minute ist kostbar.»
Ein kurze Dusche und schon ist Olivia munter. Auf was hat sie sich da eingelassen? Doch für Bedenken ist es zu spät, jetzt kann sie nicht mehr abbrechen.
Sie setzt sich eben hin, um den Kaffee zu trinken, als von aussen ein ohrenbetäubender Lärm zu hören ist. Eine Fehlzündung nach der anderen weckt das ganze Dorf. Olivia befürchtet, dass der Motor nie in Gang kommt. Als sie den Kaffee getrunken hat, läuft der Motor bereits ohne Unterstützung des Anlassers. Noch könnte man ihn nicht belasten, immerhin, er tönt immer besser. Es wird Zeit, dass sie ihre Sachen in den Rucksack verstaut und zum Lastwagen eilt.
Während Jusuf hinten auf der Ladefläche sitzt, hat sie das Privileg, neben dem Fahrer zu sitzen. Ein wilder Kerl. Leider versteht er kein Wort Englisch, alles deutet auf eine langweilige Fahrt hin.
Noch immer ist der Fahrer bemüht, den Motor besser einzustellen. Durch sanftes Antippen des Gaspedals versucht er, den Motor in Schwung zu bringen. Der Motor beantwortet seine Bemühungen mit einer dicken schwarzen Rauchwolke, die aus dem über der Fahrerkabine angebrachten Auspuff in den Himmel entweicht.
Ein breites Grinsen des Fahrers deutet darauf hin, dass es gleich losgeht. Geräuschvoll legt er den ersten Gang ein. Dann gibt es einen kleinen Ruck und der Lastwagen setzt sich in Bewegung. Zuerst nur langsam und von heftigem Rucken begleitet, doch dann schafft er es, den zweiten Gang einzulegen, nun wird die Fahrt schneller und ruhiger. Die Strasse ist in einem recht guten Zustand und mit dem ersten Sonnenstrahl verlassen sie das Küstendorf.
Schon nach zehn Minuten wird die Strasse steiler und vor allem schlechter. Der Lastwagen braucht die ganze Strassenbreite. Die engen Kurven werden ohne abzubremsen durchfahren. Olivia hat am Anfang Angst, wenn jetzt einer entgegen kommt, dann kracht es. Erst allmählich wird sie ruhiger. Das Risiko, dass ein Fahrzeug entgegen kommt, ist ausgeschlossen, es ist ja das einzige Fahrzeug weit und breit. Zudem hört man sie sicher schon aus einigen Kilometer Entfernung.
Auch wenn der Fahrer kein Wort spricht, die Fahrt ist alles andere als langweilig. Mal rutscht der Lastwagen gefährlich auf die Seite und droht in den nun sehr dichten Dschungel auszubrechen, oder dann hängen Äste sehr weit hinunter. Geschickt weicht der Fahrer aus oder verlangsamt die Geschwindigkeit soweit, dass der Ast ohne Probleme von Jusuf weg geschoben werden kann.
Wenn die Büsche etwas Platz lassen, riskiert Jusuf einen Blick ins Heckfenster, das keine Scheibe mehr hat und erkundigt sich nach ihrem Befinden. Mit gehobenem Daumen zeigt sie an, dass alles in Ordnung ist.
Für Olivia ist die Fahrt durch den dichten Urwald ein Ereignis. Sie kann sich an der unterschiedlichen Pflanzenwelt nicht satt sehen. Bei ihrem Ethnologie Studium hat sie Biologie, also die Pflanzenfauna zur Zeit der Pfahlbauer in der Schweiz, als ihr Hauptthema gewählt. Deshalb hat sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen. Seit der Fernsehsendung über die Pfahlbauer interessiert sie sich für dieses Thema. Sahen die Wälder zur Zeit der Pfahlbauer in der Schweiz ähnlich aus, wie dieser Urwald? Nun, in sechs Wochen kann sie die Frage hoffentlich beantworten.
Sicher hatten die Pfahlbauer keine solch halsbrecherischen Fahrten mit einem Lastwagen zu bestreiten. Der Fahrweg steigt inzwischen stark an. Auf dem glitschigen Weg ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie nicht mehr weiter kommen. Olivia hält sich krampfhaft am Haltegriff fest. Noch geht es im Schritttempo vorwärts. Auf der Ladebrücke hält Jusuf ein dickes Holzstück bereit. Als es nicht mehr weiter