«Das wird das Problem sein, zuerst müssen Autofirmen sich mit den speziellen Anforderungen, die an ein Taxi gestellt werden, auseinandersetzen. Mit dem umweltfreundlichen Antrieb ist es noch nicht gemacht. Ein Taxi müsste noch weitere Bedingungen erfüllen. Komfort, Sicherheit und kleinere Grundfläche, müssen den speziellen Bedingungen angepasst werden. Da liegt noch viel drin.»
«Jetzt bin ich echt beeindruckt.»
«Wenn die Taxis kürzer werden und zudem dank Abstandssensoren enger aufschliessen können, könnten mehr Taxis in der gleichen Zeit eine Ampel passieren, der Verkehrsfluss würde verbessert», ergänzt Anna, «Wirtschaft bedeutet eben mehr als nur Zahlen und Statistik. Da brauch es eine Gesamtübersicht.»
«Ich merke schon, ich habe mit meiner Ethnologie ein Mauerblümchen unter den Wissenschaften ausgesucht, es ist anzunehmen, dass ich nie einen grossen Beitrag an die Menschheit weitergeben kann.»
Ein Telefonanruf unterbricht das Gespräch.
«Hallo», meldet sich Olivia.
«Hallo, ich bin’s Tim!»
«Ach du», meldet sich Olivia, «hast du schon das Neuste von Ray gehört?»
«Ja, er hat mich angerufen, sehr interessant. Ich habe darauf in den Archiven der Zeitungen von Asunción nachgeforscht und dabei einen Artikel gefunden. Ich schick dir den Artikel per Mail.»
«Gut, was steht den drin? Mach’s nicht so spannend.»
«Nur, dass er der Regierung für seine Einbürgerung eine halbe Million Dollar bezahlt hatte. Wenn man bedenkt, wie viel Geld das im Jahre 1952 war, sagt es einiges aus.»
«Ich vermute, dass er sehr schöne Diamanten gefunden hatte, sonst hätte er sich das nicht leisten können.»
«Gut, ich schau mir den Artikel an, hast du ihn schon geschickt?»
«Mache ich sofort nach dem Telefonanruf», erklärt Tim, «bis Morgen! Noch einen schönen Gruss an Anna!»
«Werde es ihr ausrichten, bis Morgen. – Tschüss Tim.»
«Komm, wir müssen das Mail von Tim lesen», drängt Olivia, «er hat etwas wichtiges herausgefunden.»
«Hast du nicht etwas vergessen?», fragt Anna nach.
«Was? Ach so, ich soll dich noch grüssen, aber das hast du ja gehört!»
«Natürlich, doch ich wollte es noch von dir hören.»
Die beiden starten den PC auf und öffnen das Mail von Tim. Da steht, dass Jörg Herbst sich in Paraguay einbürgern liess. Bei der Einbürgerungsfeier überreicht er dem Bürgermeister einen Scheck über eine halbe Million Dollar. Der Artikel erscheint auf der zweiten Seite. Ein Foto dokumentiert die Übergabe des Schecks.
«Der eine Mann auf dem Foto dürfte der Bürgermeister sein, der andere Mann ist Jörg Herbst», stellt Olivia fest.
Dass man jetzt weiss, wie dieser Herr aussieht, ist zwar erfreulich, doch weiter bringt es sie nicht. Man weiss ja nicht, wie die anderen beiden in Frage kommenden Herren aussahen.
Immerhin hat man jetzt eine Ahnung, mit wem man es zu tun hat. Der Herr ist blond und wird sicher um die ein Meter achtzig gross sein. Das Foto beweist, dass sich der Herr sicher fühlt, er musste zumindest in Asunción keine Angst haben. Die Vergangenheit scheint ihn nicht mehr zu belasten.
Besuch aus Zürich
Die beiden Frauen fiebern, ohne dass sie es zugeben würden, dem Besuch aus Zürich entgegen. Olivia war noch beim Friseur, Anna hat sich die Nägel machen lassen. Beide betonen, dass es nichts mit Ray zu tun hat. Der Termin beim Friseur sei schon vor vier Wochen abgemacht worden. Auch Anna erzählt jedem der es wissen will, dass sie die Nägel schon lange störten und sie sich deshalb endlich aufgerafft hat, sich diesen Luxus zu leisten.
Zu dritt holen sie Ray am Bahnhof ab. Danach geht es an die Uni. Sie werden im Labor eine Besprechung durchführen. Offizielles Thema, die Untersuchungen der Pflanzen die Olivia in der Uni Zürich analysieren liess. Doch bereits auf der Fahrt mit dem Tram, wurde über Jörg Herbst diskutiert. Anscheinend hat jeder etwas gefunden. Das Stöbern im Internet war erfolgreich. Nachdem man sich auf eine Person fokussiert hatte, wurde man beinahe bei jedem Suchvorgang fündig. Jetzt muss man sich nur noch ein Gesamtbild zusammenstellen. Bis es soweit war, hatte Olivia den Zürcher für sich, erst wurden die Pflanzen analysiert.
Im Labor übergab er ihr die Messergebnisse mit dem jeweiligen Kommentar des zuständigen Biologen. Diese Analysen brauchte Olivia zur Aufwertung ihrer Semesterarbeit. Es ist ihre letzte Chance aus ihrer Dschungelreise einen vernünftigen Bericht zusammenzustellen. Ihr ist schon längst klar, wenn es so weiter geht, kann sie dieses Jahr vergessen, sie kommt einfach nicht vom Fleck.
Während Olivia mit Ray im Labor arbeiten, hat Tim Anna zu einem Kaffee in die Kantine eingeladen. In einer ruhigen Ecke unterhalten sie sich über ihre eigenen Arbeiten, doch es reicht nur zu einigen oberflächlichen Bemerkungen.
Anna ist erleichtert, als die beiden mit einem Höflichkeitsabstand in die Kantine kommen. Ihr Alptraum war, dass die beiden eng umschlungen durch die Türe schreiten. Doch das will nichts heissen, man wird sehen.
«Wir sind fertig», meint Ray, als er an den Tisch kommt, «wie geht es jetzt weiter?»
«Am einfachsten ist, wenn wir auf unsere Bude gehen», meint Anna, «da können wir ungestört über unseren Mister Herbst diskutieren, wir haben auch etwas zum Essen vorbereitet.»
Es ist erstaunlich, wieviel man im Internet über eine Person herausfinden kann, selbst wenn die Zeit weit zurückliegt. Nachdem jeder seine Daten ausgebreitet hat, ist Jörg Herbst kein unbekannter mehr.
Wann er nach Paraguay einreiste, konnte man nicht genau herausfinden. Es dürfte 1949 gewesen sein. Erstmals tauchte er in einem Zeitungsartikel von 1950 auf. Auf seiner Gummiplantage streikten die Arbeiter. Auf der abgelegenen Plantage war alles im Besitz von Herrn Jörg Herbst. Beim Essen, Schlafen und den Drinks in der Kneipe, bei allem verdiente Herbst tüchtig mit. Der Streik wurde von einer privaten Sicherheitstruppe brutal beendet. Mehrere Arbeiter wurden dabei getötet. Es gab nicht einmal eine Untersuchung. Einen wilden Streik beurteilte die damalige Regierung als Aufruhr, die Sicherheitsleute hatten nichts zu befürchten.
Nur kurz ging der Ertrag der Plantage zurück. Der Grossteil der Belegschaft wurde durch brasilianische Arbeiter ersetzt. Jörg Herbst wurde immer reicher. Er lebte ausserhalb Asunción auf einer Hazienda. Diese war luxuriös, abseits des Wohnbereichs mit Pool und kleinem Park, glich die Hazienda einer Festung. Sie wurde von einer paramilitärischen Truppe bewacht. Mehrmals im Jahr veranstaltete er prunkvolle Partys. Diese waren auch der Grund, weshalb man von Herbst regelmässig in der Zeitung lesen konnte, denn auf diesen Partys tummelte sich die Prominenz von Paraguay, was die Paparazzi in Scharen anlockte.
Etwa zwei Jahre später heiratete Jörg Herbst, eine fünfzehn Jahre jüngere, in Paraguay sehr populäre Sängerin. Natürlich war die Zeitung voll mit Fotos vom diesem gesellschaftlichen Ereignis des Jahres. Herbst hatte in Paraguay politisches Gewicht. Sicher standen nebst der Presse, auch mehrere Beamte auf seiner Lohnliste. Die Geschäfte liefen sehr gut. Der Preis für Naturkautschuk kletterte, dank dem Auto Boom, immer höher. Herbst hatte aufs richtige Pferd gesetzt. Nebst dem Gummi, mischte er auch in anderen Geschäften mit. Im nördlichen Distrikt von Paraguay hatte er das Monopol für Alkohol. Alle Kneipen in dieser Gegend wurden durch seine Sicherheitsleute kontrolliert. Die meisten Kneipen wurden wie Bordelle geführt. Dazu kamen noch die Edelhölzer, die bei der Vergrösserung der Plantagen so quasi als Nebenprodukt, gute Gewinne abwarfen. Dieser Jörg Herbst führte sein Reich wie ein Patriarch und wurde immer reicher.
Nur eines konnte noch nicht geklärt werden, welcher der drei in Frage kommenden Männer war Jörg Herbst? Wer versteckt sich hinter dem Namen? Hatte er seinen Vornamen nur leicht verändert und den Familiennamen von Sommer abgeändert, oder war es sogar