Ich wunderte mich über seinen braunen Trenchcoat, welchen er eigentlich immer nur während der Tätigkeit als Inspector und selten in der Freizeit trug. Da war nämlich ein gestreifter Hosenanzug sein Lieblingskleidungsstück. Mein Vorgesetzter vertiefte sich wieder in die Akte, die er in den Händen hielt.
„Hallo, Jeff!“ ertönte es hinter mir.
Diese Stimme kannte ich nur zu gut. Ich ging zu meinem Kollegen Cole Morkride, der seit vier Jahren im Dienst und mir nach seiner Anstellung als Detective zugewiesen worden war. Wir waren im Laufe der Zeit zu guten Freunden geworden. Doch nach dem Schuss auf ihn waren wir uns ein wenig näher gekommen. Vor mir tauchte das Bild des vergangenen Halloween auf:
Wegen des Streifschusses war er ins Krankenhaus gebracht worden, wo er eine Woche hatte bleiben müssen. Als er entlassen worden war, war es zu einem Kuss zwischen uns gekommen.
Ich musste zugeben, dass ich seine gelegentliche Berührungen, welche hin und wieder unvermeidbar waren, genoss. Doch der Kuss hatte alles gesprengt und bewirkt, dass ich mich endgültig in den dunkelblonden Fünfundzwanzigjährigen verliebt hatte. Ich wusste nicht, ob er auch so fühlte, denn wir sprachen nach diesem Kuss nicht mehr darüber. Wir behandelten ihn wie ein nicht existentes Ereignis, einen Traum oder eine Wunschvorstellung. Meine Wunschvorstellung.
„Du solltest dir heute vielleicht frei nehmen“ sagte mein Kollege und riss mich damit aus meinem innerlichen Gedankenkarussell.
„Wieso denn das?“
„Na, du wirkst nicht ganz bei der Sache. Bei einer Schießerei könnte das für dich fatale Folgen haben.“
Cole lächelte.
„Wer wurde denn vor fast genau einem Jahr angeschossen?“ gab ich neckend zurück.
„Okay, Punkt für dich. Das war aber nicht meine Schuld gewesen!“ protestierte Morkride sofort.
„Hast du schon den Inspector gesehen?“ lenkte ich die Unterhaltung in eine andere Richtung.
„Ja, er scheint den Tag heute nicht zuhause verbringen zu wollen“ mutmaßte Cole.
„Wieso? Denkst du, er hat Angst an Halloween?“ witzelte ich.
„Er scheint Probleme mit seinem Mann zu haben, schließlich verbringt er die meiste Zeit in diesen stickigen Büroräumen.“
„Was? Ich wusste gar nicht, dass er vergeben ist!“ gab ich verblüfft zurück.
„Ich weiß das auch erst von George, welcher mir das vorhin erzählt hat“ antwortete Cole.
„So viel dringt über sein Privatleben ja nicht nach außen...“ erwiderte ich.
„Wenn es bei dir nicht gut laufen würde, hättest du auch keinen Grund dazu, oder?“ wollte mein Kollege wissen.
Um etwas zu haben, was bei mir nicht gut läuft, müsste ich erst einmal vergeben sein, dachte ich und seufzte kurz mit Blick auf Cole.
Kapitel 2: Verliebt
Der Morgen verlief schleppend. Ich bereute es bereits jetzt, Überstunden für diesen Tag angekündigt zu haben. Um ehrlich zu sein, hatte ich dies nur getan, weil ich ebenso wie Bale nicht zuhause sein wollte.
Ich erwischte mich immer häufiger dabei, wie ich in meinem kleinen Apartment an Cole dachte. Ich war seit vielen Jahren Single und konnte mir eine feste Beziehung eigentlich nicht vorstellen. Dafür nahm die Arbeit als Detective einen zu großen Teil meines Lebens ein. Ich wusste nicht, wie Morkride darüber dachte und ob der Dunkelhaarige überhaupt etwas für mich empfand. Wir sprachen zwar auch über private Dinge und trafen uns ab und an bei dem anderen zuhause, aber das Thema Beziehung hatten wir in unseren bisherigen Unterhaltungen immer außen vor gelassen.
In Cole´s Wohnung gab es zudem keine Anzeichen eines Partners: keine Fotos, keine Liebesschwüre und keine doppelten Zahnbürsten. Überhaupt war Cole das Gegenteil von mir: während seine Wohnung bunt eingerichtet war, verzichtete ich auf sämtliche Dekorationen, da ich als Mitarbeiter von Scotland Yard sowieso kaum zuhause war. Während ich kurzes, braunes Haar hatte, trug mein Kollege es dunkelblond und etwas länger. Wenn ich ihm näher kam, konnte ich darin viele kleine Strähnen in einem helleren Blondton entdecken. Und wenn er sich mir so sehr näherte, dass ich in seine Intimzone eintauchte, konnte ich sogar seinen verführerischen Duft nach Zedernholz wahrnehmen. Darüber hinaus ließen ihn seine graugrünen Augen etwas mystisch erscheinen.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und versuchte, mich von den Gedanken an Cole Morkride abzulenken. Wir arbeiteten bei Scotland Yard und mussten stets professionell sein. Affären oder Beziehungen am Arbeitsplatz waren meistens ein Problem für alle Beteiligten und ich wollte meine gutbezahlte Stellung weder verlieren noch eine Versetzung in einen anderen Zuständigkeitsbereich riskieren.
Cole´s Schreibtisch befand sich meinem gegenüber, was nicht besonders hilfreich dabei war, nicht an den jungen Mann zu denken. Aber ich blieb streng mit mir selbst und blickte starr auf den flachen Monitor vor mir. Für diesen Tag hatte ich mir fest vorgenommen, liegengebliebene Polizeiberichte zu schreiben. Das war für mich immer lästig, da ich als Detective viel lieber bei den Einsätzen war. Doch nach der Verhaftung von Räubern und der Überführung von Vergewaltigern galt es, noch den Bürokram zu erledigen. Manchmal fuhren Cole und ich aber auch Streife.
Das ist wenigstens aufregender wie diese Arbeit hier, dachte ich leicht deprimiert.
Ich tippte einige Sätze ins Computerprogramm von Scotland Yard, bis mein Blick zum Schreibtisch meines Kollegen fiel.
„Cole, gibt es heute keine Torte?“ wollte ich wissen und biss mir sogleich auf die Zunge – ich konnte einfach nicht anders!
Er hatte es schon fast zu einer Gewohnheit gemacht, an Halloween für das gesamte Großraumbüro eine Torte zu backen. Meistens kamen auch die Polizisten der anderen Abteilungen in unser Stockwerk, nur um seine Torte zu probieren.
„Natürlich, aber ich habe sie bei den warmen Temperaturen hier lieber in den Kühlschrank gestellt“ antwortete er.
Ich wurde kurz rot, da ich dafür verantwortlich war, dass das Büro so gut beheizt wurde. Nachdem ich am frühen Morgen hereingekommen war, hatte ich die Heizung aufgedreht und später vergessen, sie wieder abzustellen.
Erst jetzt fiel mir das Raumklima auf, welches tatsächlich viel zu warm war. Ich stand auf und ging in den Flur des großen Büroraums. Dort befand sich das Thermostat, das alle Heizungen regelte. Ich drehte es auf eine sinnvolle Temperatur herunter und nahm erneut an meinem Schreibtisch Platz.
Kurze Zeit später war ich wieder in meinen Berichten versunken, weshalb ich nicht bemerkte, dass mein Kollege hinter mir stand.
„Was machst du da?“ wollte er wissen.
Seine Stimme vibrierte in mir. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich konnte seinen Atem auf meinem Nacken spüren, woraufhin mein Herzschlag auf ein Tempo beschleunigte, welches wohl jeden Mediziner ins Staunen versetzt hätte.
„Ich... ähm... ich schreibe Berichte“ erklärte ich verwirrt.
„Das sehe ich...“ grinste Morkride. „Ich wollte nur wissen, an welchen Berichten du genau arbeitest. Aber egal, ich bin froh, dass du dich darum kümmerst, denn ich hasse diese Arbeit!“
„Man kann nicht immer mitten im Geschehen sein, Cole“ erwiderte ich und versuchte, mich zu beherrschen.
„Ich weiß, aber diesem Papierkram kann ich nichts abgewinnen...“
Seine Stimme klang seltsam weich. Seine Hände legten sich auf meine Schulter, sodass ich kurz erschrak.
„Mach´ eine Pause, sonst schläfst du gleich vor Langeweile ein“ riet er mir.
Ein wohliger Schauer verdrängte meine Gänsehaut. Ich spürte, wie er seine Hände wieder wegzog und sehnte mich sogleich nach ihnen zurück.
Warum