Stelle aus Waldseemüllers „Cosmographiae introduction, wo vorgeschlagen wird, die Neue Welt „Amerika“ zu nennen.
Waldseemüllers Vorschlag fand bei vielen Geographen der damaligen Zeit Anklang. Da Columbus bereits im Jahre 1506 gestorben war, und niemand auftrat, um den wissenschaftlichen Irrtum zu berichtigen, so fand der von dem deutschen Gelehrten vorgeschlagene Name rasch Annahme. Schon 1510 konnte der dem „Vogesischen Gymnasium“ angehörende Walter Lud in seiner „Grammatica Figurata“ mit Stolz erklären, „dass St. Dié jetzt eine in der ganzen Welt bekannte Stadt sei, weil sie America den Namen gegeben habe“.
Es war die einzige Großtat, durch die das Gymnasium bekannt wurde, denn als Herzog René starb, löste sich die kleine Gelehrtengemeinde auf. Waldseemüller zog nach Straßburg, wo er bei Jean Grüninger die fünfte Ausgabe seiner „Cosmographiae introductio“ drucken ließ. Nachdem der Straßburger Jean Schott die Druckerpresse und den Typenvorrat des „Vogesischen Gymnasiums“ erworben hatte, gab Waldseemüller hier auch im Jahre 1513 die von jenem Gymnasium geplante Neuausgabe des Atlas des Ptolemäus heraus. Inzwischen hatte er seinen Irrtum bezüglich des Entdeckers der Neuen Welt erkannt, denn er trug auf die schöne, dem Atlas beigegebene Karte von Amerika an der Stelle, wo Columbus zuerst seinen Fuß auf das Festland der Neuen Welt gesetzt hatte, folgenden Satz ein: „Hec terra adjacentibus insulis inventa est per Columbu ianuensem ex mandato Regis Castelle“, „Dies Land und die benachbarten Inseln wurden durch Columbus unter der Regierung des Königs von Kastilien entdeckt“. Über die Reisen des Vespucci findet sich im ganzen Atlas kein Wort. Aber der frühere Irrtum konnte nicht wieder gutgemacht werden. Der Name Amerika hatte sich bereits so eingebürgert, dass er trotz aller Bemühungen, ihn durch die passendere Bezeichnung „Columbia“ zu ersetzen, der Neuen Welt bis heute verblieb.
Titelblatt des als „Neue Zeitung aus Jucatan“ bekannten deutschen Flugblattes
Den Reisebeschreibungen Vespuccis folgten zahlreiche „Newe Zeitungen“, welche die Entdeckungen der Portugiesen in Südamerika, die kühnen Eroberungszüge der Spanier in Yucatan, Mexiko und Peru schilderten. Sie umfassten meist nur wenige Seiten.
Von solchen, aus leicht erklärlichen Gründen, der Verzettelung unterworfenen Flugblättern haben sich leider nur wenige erhalten. Von diesen nenne ich die wahrscheinlich im Jahre 1520 gedruckte „Copia der Newen Zeytung auß Presillg Landt“ (Brasilien); die „Newe Zeittung von dem Lande, das die Spanier funden haben im 1521 jare, genannt Yucatan“. Von den mexikanischen Eroberungszügen erzählen Flugschriften, die im Jahre 1520 bei „Friyderichen Peypus in Nürmberg“, 1522 in Augsburg, 1534 bei Georg Ulricher in Straßburg und 1550 bei Philipp Ulhart in Augsburg erschienen. Über den Raubzug Pizarros berichtet ein 1535 gedruckter Brief, der mit den Worten anhebt: „Item es ist vor etlichen Jaren durch Kay. May. beuelch (auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers) außgefaren auß Hispania ein hispanischer Her Francisco de Pysaria ...“ usw.
Im Verein mit den von den Geographen und Geschichtsschreibern in umfangreichen Erdbeschreibungen niedergelegten Nachrichten übten diese neuen Zeitungen einen ungeheuren Eindruck auf das deutsche Volk. Man verschlang die Beschreibungen der mit goldenen Schätzen und seltsamen Götzenbildern gefüllten Tempel und Paläste der Inkas und Montezumas; staunend las man von den volkreichen Städten Tenochtitlan, Cholula, Tlaskala und Cuzko, von ihren großen Märkten und Festen. Man hörte von der Fahrt des Ritters Ponce de Leon nach Bimini, wo eine Quelle existiere, deren Wasser ewige Jugend verleihe. Man vernahm vom Eldorado, einem indianischen König, dessen Körper tagtäglich derart mit Goldstaub bedeckt werde, dass er einer Goldfigur gleiche.
Es bedurfte nicht mehr, um das Wunderfieber und die Lust zu Abenteuern bei den Deutschen zu erregen. Diese beiden Neigungen steckten ihnen von jeher im Blute. Seit den frühesten Tagen des Mittelalters zogen fahrende Ritter, Reisige und Minnesänger von Burg zu Burg, von Hof zu Hof, um Speere zu verstechen oder beim Klang der Saiten die Gunst hoher Herren und schöner Frauen zu gewinnen. Neben ihnen gab es viel anderes ruheloses Volk: fahrende Gaukler, Spielleute, Schüler und Fräulein, fahrende Ärzte und Quacksalber, und nicht zuletzt der unabsehbare Tross der Landsknechte, die ihre Dienste bald diesem, bald jenem Herrn verkauften. Deutsche Landsknechte fochten in fast allen europäischen Kriegen. Wenn einer dieser rauen Söldlinge, Nikolaus Schmid von Regensburg, der für Philipp II. von Spanien in Marokko focht, in seiner poetischen Beschreibung der Kriege in selbstbewusstem Tone singt:
Uns Deutsche braucht man zu dem Spiel
wann man einen Krieg will fangen an.
ohn‘ uns wird nichts gerichtet aus,
wo wir nicht sein dabei im Strauß ...
so bezeichnete er die damalige Zeit in der zutreffendsten Weise.
Es konnte nicht ausbleiben, dass diese allzeit abenteuerlustigen Landsknechte durch die Nachrichten über die neu entdeckte Welt und deren Schätze mächtig angezogen wurden. Besonders diejenigen, welche unter den Fahnen des zum Erben des spanischen Thrones, und im Jahre 1519 auch zum deutschen Kaiser ausgerufenen Karls V. gen Spanien zogen. Dort kamen sie in Berührung mit jenen Abenteurern, die für diesen Herrscher die Länder der Neuen Welt eroberten. Mit Sicherheit dürfen wir annehmen, dass viele dieser deutschen Landsknechte sich für die Eroberungszüge in Amerika anwerben ließen. Leider wissen wir nur wenig über die Beteiligung solcher Deutschen. Dass sie aber keineswegs gering veranschlagt werden darf, geht daraus hervor, dass unter den 3.000 Soldaten des Pedro de Mendoza, der im Jahre 1534 nach dem südamerikanischen „Silberstrom“, dem La Plata, zog, sich 150 Deutsche befanden. Einer derselben war Ulrich Schmidel aus Straubing. Er verweilte 19 Jahre lang am La Plata und nahm an fast allen von Mendoza unternommenen Eroberungszügen teil. Als er nach zahllosen Abenteuern endlich wieder in die Heimat zurückkehrte, schrieb er seine: „Warhafftige Historien Einer Wunderbaren Schiffart, welche Ulrich Schmidel von Straubing von Anno 1534 biß Anno 1554 in Americam oder Neuwewelt, bey Brasilia und Rio della Plata getan. Was er in diesen neuntzehn Jahren außgestanden, und was für seltzame Wunderbare Länder und Leut er gesehen“ usw.
Noch absonderlichere Erlebnisse bestand der aus Homburg in Hessen stammende Hans Stade. In Brasilien geriet er in die Gefangenschaft „der wilden, nacketen, grimmigen Menschenfresser Leuthen“, deren Sitten er in einem 1556 zu Frankfurt a. M. gedruckten Büchlein höchst anschaulich beschrieb.
Sicher befanden sich auch viele deutsche Landsknechte bei jenen Expeditionen, die in den Jahren 1528 bis 1546 von den Augsburger Kaufherren Welser ausgesandt wurden, um Venezuela zu erobern. Diese Expeditionen, von denen die erste 50 Bergleute aus dem Erzgebirge mit sich führte, wurden sämtlich von deutschen Rittern befehligt. Von der am Karabischen Meere gelegenen Ortschaft Coro aus drangen sie in überaus waghalsigen Entdeckerzügen durch die tropischen Niederungen des Zuliagebietes bis auf die kalten Hochebenen Kolumbiens, in südlicher Richtung bis zu den oberen Nebenflüssen des Orinoco. Nikolaus Federmann schrieb über diese oft mehrere Jahre währenden Fahrten seine berühmte „Indianische Historia“. Der Junker Philipp von Hutten sandte gleichfalls hochinteressante Reisebriefe an seine in der Heimat zurückgebliebenen Angehörigen.
Alle diese Flugblätter, Zeitungen und Reiseschilderungen, zu denen sich noch viele in Erdbeschreibungen enthaltene umfangreiche Mitteilungen gesellten, erregten im deutschen Volke das lebhafteste Interesse für die Neue Welt. Die Folge war, dass im 17. und 18. Jahrhundert die auswanderungslustigen Deutschen sich nicht mehr ausschließlich nach Ungarn, Siebenbürgen, Polen und Russland wendeten, sondern sich auch an der Besiedelung der Neuen Welt beteiligten.