Soladum - Suche des Sonnenpatrons. Danny Fränkel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Danny Fränkel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754937150
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Schatten, Umrisse und der Glanz der an den Seiten stehenden Geräte; das Quietschen zwischen Parkett und Sohlen der herumalbernden Schleizer Gymnasiasten; der bittere Geschmack von Galle, die seine Speiseröhre hinaufschoss; und Christines Anblick in ihrem gelben und voll geschwitzten Trainings-Shirt sowie den haselnussbraunen Augen. Diese wechselten den Blick zwischen ihm und Sebastian Schulz, als könne sie sich nicht für einen der beiden entscheiden. Bis sie sich plötzlich an Schulz’ Taille schmiegte. „Er ist es nicht wert.“ Sie sah lächelnd auf. „Ich aber umso mehr – oder Basti?“

      Thomas hörte Schulz’ Schlucken und konnte sich vorstellen, was dieser sich für heute Nacht ausmalte.

      „Nur weil ihr gewonnen habt?“ Schulz’ böses Funkeln wich der Vorfreude.

      Gegen Thomas’ Kehle drückte ein Kloß. Was Frauen nicht alles für eine ansehnliche Zukunft gaben? Schulz’ Vater war eben der Chef eines renommierten Waffenhandels in Westdeutschland.

      Aber war Thomas aus dem Martyrium heraus. Er sah Sasha an und winkte ihm hektisch in Richtung Umkleide.

      Obwohl Thomas nach der Pause den Ball fing und sogar den Korb traf, verlor die Jungenmannschaft. Die Spieler vergaßen ihre Niederlage schnell als sie ausgelassen ihre Tagespläne austauschten. Allein Sebastian Schulz kochte vor Wut.

      Es war später Nachmittag, als sich die Zwölft-Klässler– umgezogen – vom Sport verabschiedeten. Schulleiter, Lehrer und Schüler waren längst daheim.

      Thomas und Sasha durchquerten gerade das Haupttor. Da aber saß Schulz mit den Glatzköpfen auf dem Bürgersteig. Sie hielten Bierflaschen in der Hand und rülpsten. Schulz grinste Thomas zu. „Was glotzt du so? Hast wohl Langeweile? Die treiben wir dir schnell aus!“ Zum Glück waren diese Drei die einzigen Neonazis der Stadt, dafür umso skrupelloser.

      Alarmiert begannen die beiden schneller zu laufen. Schulz’ Konvoi setzte nach. Sie rannten nicht den Hauptweg hinunter, sondern die Nebengasse zur Bushaltestelle. Dort würden sie die fünfhundert Meter zur nächsten Haltebucht fahren und hätten die Neonazis abgehängt.

      Der Rucksack scheuerte an Thomas’ Schultern. Er hörte die Sprünge der Springerstiefel lauter werden. Sasha keuchte, während er Thomas einholte: „Der nimmt die Niederlage ernst!“

      Sie stürmten vorbei am abgerissenen Regelschulgelände, an Parkverbotsschildern, Gartenzäunen und Hecken. Da war die Hauptstraße. Sasha sprang durch eine Verkehrslücke. Vor Thomas aber rauschten dutzende Klein- und Lastwagen vorbei, deren mitgezogener Wind ihn zurücktaumeln ließ.

      Sasha rannte in den wartenden Bus und bat die Fahrerin zu warten. Die tippte auf ihr Armaturenbrett. „Wir haben einen Zeitplan, Junge“, und fuhr an.

      Thomas versucht krampfhaft über die Straße zu kommen, da rissen ihn nicht kräftige Hände zurück. „Das war’s, Blindschleiche“, rief Schulz, der seine Schultern fast zerdrückte. „Jetzt wirst du büßen.“

      Er sah nur noch den Bus davon rauschen, während sie ihn zu dritt zurück zerrten; Richtung Schule. Was hatten sie mit ihm vor? In einen Spint sperren? Thomas wusste zu gut, dass ‚dieser’ Neonazi nicht mit solchen Spielen scherzte. Spürte es zugleich: Ein Nasenhaken und Thomas schleppte sich benommen hinterher. Er nahm bloß wahr, wie sie ihn unter eine abgesperrte Terrasse – über dem der Sportplatz lag – zerrten. In den schattigen Winkeln, die kaum sichtbar waren, warfen sie ihn hin. Er prallte gegen scharfe Metallteile. Überall lagen Berge aus Schrott und Sperrmüll, den nie jemand entfernt hat.

      Abrupt packte Schulz ihn am Kinn und quetschte daran. Er wollte sich wehren, doch versagten seine Kräfte.

      „Du hältst dich für besonders schlau – was?“ Schulz verpasste ihm eine Ohrfeige. „Lässt dich von Christine beschützen. Ich weiß, dass du es mit ihr treiben willst. Sie gehört mir, klar!“, und schupste Thomas erneut in den scheppernden Schrotthaufen.

      Als er sein zerkratztes Gesicht erhob, stieß Schulz’ Stiefel gegen seine Brust und presste solang darauf, bis er ohnmächtig wurde.

      Trotz der Genugtuung spuckte Schulz auf sein Gesicht: „Du und Christine habt meine Ehre verletzt! Dafür wird auch sie bezahlen.“ Noch ein kräftiger Hieb gegen seine linke Schulter und Schulz wandte sich der leblosen Gestalt ab. Hier sollte er bleiben, bis die Ratten an ihm nagten oder er in der spätherbstlichen Nachtluft erfror.

      Doch ließ ein Nerv in Thomas’ Hirn nicht los. ‚Christine.’ Er musste ihn aufhalten, und keuchte: „Du und Ehre! Du hattest nie welche, feiges Schwein!“

      Kaum fiel er wieder ins Halbdunkel zurück, rissen ihn zwei Hände hoch. „Was? Willst du mich provozieren?!“

      Thomas lächelte nur. Da brodelte etwas in ihm, was stärker war als Wut: Ein Gefühl der Verantwortung. Er musste Christine vor einer Vergewaltigung bewahren. Wie viele Gräuelgeschichten hatte er über Schulz’ frühere Freundinnen gehört.

      Abrupt hob er Schulz das Knie in die Hoden. Er schien ihn loszulassen, stöhnte vor Schmerz, wurde kreidebleich … und stieß Thomas in die Eckwand. Sein Kreuz knackte. Schulz holte aus, schlug ihm ins Gesicht, immer und immer wieder. Er wollte nicht umfallen. Schulz schlug ihm in den Bauch, trat gegen die Knie und seine Kehle. Schließlich sank Thomas ohnmächtig zusammen.

      Schulz wollte weiter auf ihn einprügeln, zerrten ihn nicht die Glatzköpfe weg. „Es reicht, Basti. Er merkt eh nix mehr.“

      „Das Schwein hat mich verstümmelt!“

      „Leg’ was Kühles drauf. Die Kleine kann doch bis morgen warten.“

      So ließen sie Thomas im Schrotthaufen zurück. Keiner ahnte, was die Drei im toten Winkel der Terrasse getan haben. Nur eine wurde stutzig.

      Ein dumpfes Pochen ließ ihn erwachen. Sofort brannten die Schmerzen in Gesicht, Bauch und Knie auf. Dennoch fröstelte ihn in der Dunkelheit.

      Wie durch einen Reflex griff er nach der Decke und zog sie hoch. „Was?“ Sofort riss er die Augen auf. Obwohl sie schmerzten, als hätte Säure seine Tränen ersetzt, sah sich der Achtzehnjährige um. Was er sah, erkannte er nicht als Krankenhauszimmer oder Schrottplatz wieder. Es war ein Zimmer, an dessen Wänden Grönemeyer, Stürmer und andere Poster deutschsprachiger Charaktere hingen. Auf einem kleinen Tisch am Fenster stand ein Notebook sowie verstreute Musik-CD’s. Auf der Decke, die Thomas umhüllte, waren buddhistische Mandalas eingestickt. Dieses Zimmer kam ihm bekannt vor.

      Er entsann sich, dass ihn jemand abgestützt hat und er zu kämpfen hatte, nicht tiefer in Ohnmacht zu sinken, während sie liefen.

      Bloß: Wo war er? Er versuchte sich aus dem Bett zu stemmen. Doch fiel er zurück. Wogen aus Muskelkatern jagten durch seinen Leib. Er unterdrückte einen Schrei. ‚Wer hält mich in dieser Welt gefangen?!’

      Plötzlich öffnete jemand die Tür. Eine verschwommene Gestalt trat herein. Als sie sich näherte, stockte ihm der Atem: Er lag in Christine Munzes Reich. Vor ihm stand sie, mit ihrem warmen Lächeln und den lehmbraunen Augen. Sie gebot ihm mit der Hand, liegen zu bleiben.

      Zu spät. Er spürte Schmerzen durch seinen Rücken hinabfahren, als wären einige Rippen geprellt. Sein gesamter Körper fühlte sich wie zerhackt an. Schließlich gelang es Thomas zu stottern. Seine Zunge war trocken und verklebt. „Was … ist passiert?“

      Christine antwortete mit schierer, wutverzerrter Miene: „Sebastian und seine Clique haben dich verprügelt. Ich sah sie von der Sportterrasse weggehen. Darunter habe ich dich gefunden und mitgeschleift. Wie viel wiegst du eigentlich?“

      Beide begannen zu lachen. Thomas vergaß das Martyrium. „Siebzig Kilo. Mehr ist an mir nicht dran.“

      Doch legte Christine ihr Grinsen rasch ab. „Geht es dir etwas besser?“

      „Keine Ahnung. Alles ist taub.“ Er betrachtete kurz seine aufgeschürften Hände. „Hast du einen Spiegel?“

      Sie zuckte zusammen, bis sie nickte und aus dem Schrank einen Handspiegel nahm. Um den Moment zu verkürzen, drückte sie ihn Thomas rasch in die Hand.