Der Gang über die Brücke
Das reine Denken schaut in das Innere der Welt mit ihren Ideen
Hinter der Brücke
Der Geist auf der Höhe ist die Wirklichkeit
Sonnenaufgang über dem Platz in der Fremde
Der Geist durchdringt die zellulären Strukturen
Noch auf dem Platz in der Fremde
Der Geist steht über der Dingwelt des Daseins
Zwei hockende Männer halten je ein Kind
Im Geist kommen Gegenstand und Begriff zusammen
Vier Männer tragen den blinden Lehrer
Vorwort
Zur Bedeutung des Lebens bezüglich Würde und Moral – Vom Geist der Schöpfung. Bei all der Enge ist für den Einblick in das Universum noch genügend Freiheit, um durch reflektierendes Denken zu lernen, was die Bedeutung des Lebens im tieferen Sinne ist, sein kann und sein soll.
Was und wo ist Heimat
Daniel. Die Heimat liegt in Trümmern, es gab Tote und Verletzte. Frauen und Kinder stehen und weinen um den Verlust. Was kann ich euch noch raten? Nehmt das Kalifat und die anderen Staaten, da sind wir doch verloren und verraten.
Yasin. Was im Allgemeinen fehlt, das sind Wahrhaftigkeit und Ehre. Da können wir noch Jahre lamentieren, sie werden uns die Faul- und Feigheit voll Bitternis quittieren. Was uns bleibt, das ist das Leben in der Wüste mit den Zelten und der restlichen Spärlichkeit.
Hasan. Selbst das bisschen Wasser ist hier brackig, schmeckt nach bittrem Sand und mehrt den Durst. Es ist das kargste Land ganz ohne Wiesen, auf dem es weder Rinder noch Schafe gibt.
Yasin. Bedenkt, der Frieden ist verspielt, Dörfer und Städte sind verwüstet und verloren, Ganze Völker brechen entzwei. Was uns blüht, wir werden es sehen, auch wenn wir es nicht sehen wollen, und keiner kann sich vor dem verstecken, was uns erwartet mit dem Elend und der Not. Drum geht in eure Zelte zurück und lebt in der Magerkeit, die Nacht wird das Weitere lehren. Ermahnt jene, die da lauthals klagen und wimmern, dass sie die Zeiten, wie sie sind, nicht ändern können.
Sarah. Seht Herr, ich bin schwanger, bringe ein Kind in die zerbrochene Welt. Ich frage euch, wo führt das hin, wenn neues Leben in das Lager kommt, das schon überfüllt mit mageren Menschen ist?
Yasin. Was ich dir sagen kann, ist die traurige Botschaft, denn von der Heimat sind wir getrennt, sind abgeschnitten an den Wurzeln unserer Herkunft, sind verwaist von dem, was uns erzog und uns gehörte.
Sarah. Wer kennt die Menschen, wie sie sind und das hier im Lager mit dem Elend und den Menschen draußen in der Fremde? Die Not drückt, es wird mir angst und bange, je länger wir in der Verlorenheit stehn und hausen.
Yasin. Was du siehst, ich glaub’s, ist doch nicht alles, viel mehr ist’s, was hinter den Hügelhöhen sich verbirgt und unter der ersten Wüstenschicht begraben liegt. Es sind die Wunden der geschundenen Moral, dass auseinanderbricht, ja in Brocken und Stücke zerfällt, was seit Menschengedenken zusammengehört.
Sarah. Wie sollen die Stücke zusammengesetzt werden, dass wieder ein Ganzes daraus wird und das Leben seinen Sinn und wieder seine Ordnung bekommt?
Yasin. Ich sage dir: ich bin weder ein Philosoph noch ein Prophet, doch sehe ich den Himmel ohne Wolken. So sag ich dir aus meiner Sicht, dass es auch in diesem Jahr keinen Regen geben und das Fiasko bleiben wird. Denn ohne Regen gibt es weder Reis noch Korn.
Sarah. Das heißt, dass der Schmerz des Hungers bleibt.
Yasin. Ja nicht nur bleibt, sondern bei der Zahl der Menschen größer werden wird. Die Wunden werden schlechter heilen bei der weiten Magerkeit, und die Kinder werden zu Skeletten vertrocknen, denn ohne Milch und ohne Mais und Wasser geht das Leben nicht.
Sarah. Der Herr, was meine Mutter sagt, ist dies: mein Kind bedenke, in einer Zeit wie dieser bringe kein Kind zur Welt, denn es fehlt am guten Boden, dass Hunger das junge Leben zerstört.
Yasin. Die Frau soll auch ans Wasser denken, bedenken soll sie, die Brunnen trocknen aus. Der Weg führt immer weiter weg, um das Wasser herbeizutragen, auch ist der Weg zum Brunnen vermint, wenn er weitab gelegen ist. Was ich damit sagen will, die Zeit ist uns nicht mehr freundlich gesinnt, und wir sind nicht mehr weit entfernt, dass uns alle der Hunger in die Knie zwingen wird, wenn nicht die Cholera und andere Unwesen uns vorher in den Tod geschickt haben.
Sarah. Ja, die Zeit ist uns nicht wohlgesonnen, und das Lager reißt die Würde von den Körpern, sprengt die Hoffnungen aus den Köpfen, zerfurcht die Gesichter immer tiefer, dass die Melancholie unschuldige Kindergesichter schlägt. Meine Tochter Dana sagt: Mutter, das ist kein Leben im Lager, hier wird jeder noch verrückt. Schau, wie die mageren Körper schlürfen, bald werden auch sie abseits der Zelte liegen, wenn ihnen der letzte Atem davongeflogen ist.
Yasin. Das ist, was mich nachts nicht schlafen lässt, weil mir die armseligen Gestalten mit dem fragenden Blick des Wie-lange-noch vor dem inneren Auge stehen und auf Antwort warten und meine Träume arg beschweren, dass an den Schlaf nicht zu denken ist.
Sarah. Da kommt zum äußeren Elend die innere Not dazu im Bewusstsein der verlorenen und zerstörten Heimat und der totalen Hoffnungslosigkeit des Wohin. Die Frage ist: Wo können wir noch menschenwürdig leben?
Yasin. Das ist die Frage des menschlichen Seins, des Daseins mit dem Hiersein, die doch die fundamentale Frage ist, wenn aus dem Flüchtlingsdasein mit all den bitteren Entbehrungen sich ein Sein von Wert und Würde anschließen soll.
Sarah. Und dieses Sein von Wert und Würde soll näher ans Lager herankommen und sich nicht ins Unabsehbare entfernen.
Yasin. Da stimme ich ihnen aus ganzem Herzen zu... Doch fürchte ich, dass ein Näherkommen von Wert und Würde in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Dafür hat sich die Not zu breit gemacht und eine Fläche erreicht, auf der das Elend zum Turm von unvorstellbarer Höhe geworden ist.
Sarah. Dann werden wir in der Wert- und Würdelosigkeit verenden, und die Kinder werden es nicht verstehen.
Yasin. Nein, sie werden fragen, warum sie in diese Welt gebracht wurden, wenn es an Nahrung und an Wasser fehlt, dass magere Menschen traurig blicken und an Stöcken gehen, wo sich alle nach Frieden und den besseren Zeiten sehnen.
Sarah. Und warum das alles so gekommen ist, das kann mit einfachen Worten mir keiner erklären.
Yasin. Außergewöhnliches braucht die besonderen Worte der Erklärung. Denken sie an die Herkunft der Menschen, denken sie an die Schulen, denken sie daran, was wir Traditionen und Kulturen nennen. Die Menschen sprechen unterschiedliche Sprachen und denken deshalb auch unterschiedlich über das Leben.
Sarah. Aber was gut und böse ist, das unterscheiden doch alle, ich meine, da stimmen die Menschen miteinander überein.
Yasin. Weil es traditionelle Unterschiede gibt, verlieren viele Dinge die Gemeinsamkeit, gehen die Meinungen und Kulturen auseinander und machen die Dinge kompliziert, dass es zu Kriegen mit den Morden an unschuldigen Menschen und ihren Kindern kommt. Es ist der Diskonsens mit dem Mangel an Verständnis und Verständigung, warum wir in diesem Lager eingepfercht vegetieren, denn ein Leben mit Würde kann man das nicht nennen, während