In der neu definierten Latenz operieren auch Bioterroristen. Sie nehmen die Dimension des unwahrnehmbar Kleinen in ihr Angriffskalkül auf und bedrohen die Umwelt des Feindes mit unsichtbaren Angreifern.
Im Gegensatz zu Heideggers „Heimatlosigkeit“ als existenzielles Kennwort des Menschen im Ge-stell-Zeitalter, -im modernen Zeitalter der Technik-, das auch eine Ausbürgerung der Menschen aus der natürlichen Lufthülle in klimatisierte Räume oder den Exodus aus allen möglichen Nischen der Geborgenheit in der Latenz gelesen werden konnte steht Sloterdijks andere Überzeugung: dass auch die Gegend und Heimathafen Verhältnisse im Zeitalter der Hintegrundexplikation, wo sie lokal noch gelingen, nicht einfach als Gabe des Seins hingenommen werden können, sondern von einem hohen Aufwand an formalem Design, technischer Herstellung, juristischer Betreuung und politischer Gestaltung abhängen.
Die folgenden Ausführungen beschreiben einen historischen Bogen zunehmender
Ausdrücklichkeit bei der Problematisierung des menschlichen Aufenthalts in Gas- und Strahlenmilieus. Damit ist allerdings nicht die Unterstellung verbunden, die Geschichte der Atmosphärenexplikation sei mit dem Ablauf des kalten Krieges zu einem Ende gelangt.
Die Einbeziehung von bislang unentfalteten klimatischen, radiophysikalischen und neurophysiologischen Hintergunddimensionen menschlicher Existenz in militärische Projekte der Weltmacht, bedeutet die Schwelle der neunziger Jahre eher ein Neubeginn.
Am 17. Juni 1996 präsentierten sieben Offiziere des Department of Defense ein genehmigtes Papier das die Umrisse einer zukünftigen Ionosphärenkriegsführung: „Wetter als Kampfkraftmultiplikator: Wetterherrschaft im Jahre 2025“ abstecken sollte.
Der alltägliche Aufenthalt in der Latenz wird zunehmend unruhig.
Zwei Arten von Schläfer treten dabei in Erscheinung:
Sie macht die einen zu Mitarbeitern an der Explikation der Hintergrundbedingungen
von Natur und Kultur, -zu Agenten eines strukturellen Terrors gegen diese- während die anderen zu inneren Aborigines, Regionalisten und freiwilligen Kuratoren der eigenen Unzeitgemäßheit verwandelt –in tatsachenfreie Reservate den Vorteil pflegen, an Weltbildern und symbolischen Immunverhältnissen des Latenzzeitalters festhalten zu dürfen.
3 Air / Condition
Unter den Offensiven der Moderne hat besonders der Surrealismus die Einsicht zugespitzt, dass das Hauptinteresse der Gegenwart der Explikation der Kultur gelten muss. Der Surrealismus gehorcht dabei dem Imperativ, im Modernisierungsfeldzug die symbolischen Dimensionen zu besetzen. Sein Ziel: schöpferische Prozesse explizit zu machen und ihre Quellgebiete technisch aufzuschließen. Auch er bediente sich dabei des Begriffs der „Revolution“. Was er erreichte war aber keine Umwälzung, sondern ausschließlich eine Umverteilung der symbolischen Hegemonie.
Am Beispiel Surrealismus zeigt sich, wie sie Teil der explizitivistischen Bewegung der Moderne war, weil er sich unmissverständlich als latenzbrechendes und hintergrundauflösendes Verfahren vorstellte. Damit wurde er immer wieder zum Bürgerschreck das aber seine Lektionen immer wieder schnell lernte. Am Beispiel einer bekannten und nicht gelungenen surrealistischen Offensive durch Salvador Dali –sein Auftritt im Taucheranzug- illustriert, dass bewusste Existenz als ein explizites Kontexttauchen gelebt werden muss. Wer sich in der Multi-Mileu-Gesellschaft aus dem eigenen Lager herauswagt, hat sich seiner „Taucherausrüstung“, das heißt seines physischen wie mentalen Immunsystems beziehungsweise seiner sozialen Raumkapsel, gewiss zu sein.
Der fast Unfall – bei seinem Auftritt im Taucheranzug hatte man die Luftzufuhr vergessen- legt auch die systemischen Risiken der technischen Atmosphärenexplikation und der technischen Erzwingung des Zugangs zum anderen Element offen. Die Moderne als Hintergundexplikation bleibt in einem phobischen Zirkel gefangen: indem sie Angstüberwindung durch angsterzeugende Technik anstrebt, muss sie ihr Ziel immer erneut verfehlen.
Die Angst liefert den anhaltenden Schub für den Fortgang des vergeblichen Prozesses; ihre Dringlichkeit rechtfertigt auf jeder Stufe der Modernisierung den Einsatz von weiterer latenzbrechender und hintergrundkontrollierender Gewalt –oder nach den herrschenden Sprachregelungen: Sie fordert Grundlagenforschung und Innovation in Permanenz. Die ästhetische Moderne ist ein Verfahren der Gewaltanwendung weder gegen Personen noch Sachen, sondern gegen ungeklärte Kulturverhältnisse.
War für Dali nach der Tauchanzugpanne eine Rückkehr in die gemeinsame Luftatmosphären möglich, so ist diese Lösung für die zivilisatorische Lage unbrauchbar, weil der Prozess der Atmosphärenexplikation kein zurück zum bisher implizit Voraussetzbaren erlaubt: Menschen die sich momentan oder habituell in ausgeprägten indoors-Situationen aufhalten, müssen an ein unterstützendes „Luftversorgungssystem“ angeschlossen werden.
Die fortgeschrittene Atmosphärenexplikation erzwingt eine durchgehaltene Aufmerksamkeit auf die Atembarkeit der Luft –zunächst im physikalischen Sinne, dann auch zunehmend im Hinblick auf die metaphorischen Dimensionen des Atmens in kulturellen Motivations- und Sorgenräumen.
Nach Ablauf des 20 Jhdt. gewinnt die Lehre von homo sapiens als Zögling der Luft
pragmatische Konturen. Es geht um die Kulturwissenschaften als Wissenschaft von der Beatmung sinn-abhängiger Lebewesen durch informierende und imperative Milieus. Die technisch-naturwissenschaftlich-militärisch-juristisch-architektonisch-bildnerischen Aspekte haben dabei einen nur schwer einholbaren Vorsprung vor der kulturtheoretischen Begriffsbildung erreicht. Die am weitesten ausgearbeitet und alltagsrelevante Expertise dabei ist der Wetterbericht, die „klimatologische Lagebesprechung“.
Moderne Großkommunen verwandeln sich in dorfartige Nachbarschaften, in denen man sich darüber austauscht, dass „das“ für die Jahreszeit nicht das passende Wetter ist. Massen verwandeln sich dann zwischen Heiligabend und Epiphanias zu Wetterdissidenten. Wetter ist halt das, das sich ausschließlich selber macht und was unaufhörlich von einem gegeben Zustand in den nächsten prozessiert. Diverse Klima Faktoren die unter dem Einfluss der Sonneneinstrahlung ein äußerst komplexes Muster des Energieaustausches ergeben.
Sie lassen sich ohne Bezug auf eine anfänglich planende oder nachträglich eingreifende Intelligenz in rein naturwissenschaftlicher Haltung darstellen. Eine adäquate Analyse erweist sich als so komplex, dass sie einen neuen Typus von Physik erzwingt, die imstande ist, mit unvorhersagbaren Strömungen und Turbulenzen umzugehen –ohne Rückgriff auf eine transzendente Intelligenz.
Sie steht in der Tradition des abendländischen Rationalismus der von Beginn der Neuzeit an jeden möglichen Gott beurlaubt. Der Gott der neuzeitlichen Europäer ist klimainaktiv.
Die moderne Meteorologie steht aber im Bündnis mit einer progressiven Subjektivierung des Wetters:
Die klimatischen Gegebenheiten beziehen sich immer mehr auf die Bevölkerungen denen das Wetter in Bezug auf ihre Projekte nicht gleichgültig ist; weil das objektive Klima zunehmend als Effekt der Industriegesellschaftlichen Lebensform beschrieben wird. Neuzeitliche Menschen sind Wetterklienten und Wettermitverursacher. Sie erlauben sich Urteile über Sachverhalte in die sich frühere nur in stummer Ergebenheit fügen durften.
Europäische Kulturen sind selber Klimamächte geworden. Die Menschen begegnen seither im Wetter den atmosphärischen Auswürfen ihrer eigenen industriell-chemotechnischen, militärischen, lokomotorischen und touristischen Tätigkeiten. Eine Meinung über das Klima zu haben bereitet den Wandel der Grundhaltung vor, sich vom „Herren“ und „Besitzer“ der Natur zu Atmosphärendesigner und Klimawärtern umzubilden –man sollte sie nicht mit Heideggers „Hüter des Seins“ verwechseln.
Hier begegnet man nun dem anthropogenen Treibhauseffekt als die Klimaspur eines zivilisatorischen Projekts, das auf den erleichterten Zugang zu großen Mengen fossiler Brennstoffen dank Kohlebergbau und Ölförderung beruht. Beide sind die objektive Stütze der Frivolität, ohne die es keine globale Konsumgesellschaft, keinen