Sanne fuhr herum. „Waas? Ihr auch?“
Ich nickte und spürte, wie es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. „Ja, wir auch! Ich bin um fünf davon aufgewacht. Deswegen bin ich auch so früh mit Lazy runter. Da hab ich Tommy getroffen. Er hatte genau denselben Traum. Und jetzt du …“
Sanne schaute uns mit weit aufgerissenen Augen an. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte sie stockend. „Meint ihr …?
„… dass es wieder losgeht?“ Tommy blickte nachdenklich auf den Monitor. „Ich bin fast sicher. Du weißt ja noch nicht alles. Am Haus fehlt ein Stein.“
„Ein Stein?“, fragte Sanne irritiert. „Was für ein Stein?“
„Ein Mauerstein“, sagte ich. „Ein simpler Mauerstein. Vielleicht hat es ja nichts zu bedeuten, aber …“
„… vielleicht ja doch“, unterbrach mich Tommy. „Wir wollten mit euch zusammen noch einmal hingehen. Joe und ich fanden es schon unglaublich, dass wir beide das Gleiche geträumt haben, aber jetzt du auch noch … das ist garantiert kein Zufall mehr. Ich könnte jede Menge Chips wetten, dass auch Janine den gleichen Traum hatte. Es ist ein Zeichen oder eine Nachricht der unbekannten Herrscher für uns.“
„Aber warum?“, fragte ich heiser. Tommy zuckte die Schultern. „Das weiß ich auch nicht. Wann kommt Janine? Um elf?“
Sanne nickte.
„Am besten warten wir noch auf sie und beratschlagen dann“, meinte mein Freund. „Sag mal, Sanne, steht da noch mehr?“
Meine Schwester drehte sich um und vertiefte sich eine Zeitlang schweigend in den Bericht. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Nicht mehr viel. Es soll mehrere Eingänge mitten in der Wüste geben, und verbindet man sie mit einer gedachten Linie, weisen sie auf den Sphinx hin.“
„Sphinx?“, fragte ich erstaunt. „Ist das nicht dieser große Steinlöwe vor den Pyramiden?“
Tommy nickte. „Stimmt. Es ist mehr ein Löwenmensch mit einem Raubtierkörper und einem Menschenkopf. Man weiß nicht genau, wie alt er ist. Manche Forscher sagen, er ist viel älter als die Pyramiden. Vielleicht mehr als zehntausend Jahre.“
Sanne klickte noch hier und da auf einen Link, fand aber nichts Interessantes mehr.
„Soll ich ihn ausschalten?“
Tommy hatte sich schon zu dem Tablett auf meinem Teppich begeben und es sich bequem gemacht.
„Mach ruhig aus“, meinte er und griff sich ein Brötchen. „Was uns auch immer erwartet, ich muss jetzt einfach was essen, sonst kann ich nicht mehr denken!“
Ich musste lachen und gesellte mich zu ihm. Sanne fuhr den Computer runter und sah auf die Uhr.
„Noch eine Stunde, bis Janine kommt!“, stöhnte sie. „So lange kann ich auch nicht mehr warten.“
„Wir können ja zweimal frühstücken“, grinste ich und langte zu.
Die Stunde, die wir auf Janine warten mussten, verging wie im Flug. Obwohl ich vor Aufregung herumzappelte, hatte ich einen Bärenhunger und verdrückte sage und schreibe vier Brötchen. Unsere Köpfe rauchten, so sehr grübelten wir darüber nach, was die Träume und der fehlende Stein bedeuten konnten. Als ich einen Moment lang einmal nicht an Janine gedacht hatte, sprang Jever plötzlich auf, und im selben Augenblick ging die Tür auf und unsere Freundin kam herein. Und sie war nicht allein.
„Hallo ihr drei!“, rief sie mit fröhlichem Gesicht. „Habt ihr uns noch was übrig gelassen?“
Kaum hatte sie ausgesprochen, war ihr schon Jever in die Arme gesprungen. Lachend wehrte sie ihn ab.
„Hey, du kleiner Lümmel! Hat dich Tommy immer noch nicht richtig erzogen? Nimm dir ein Beispiel an Lazy!“
Mein eigener Hund hatte sich mittlerweile tatsächlich schon hoch gewuchtet und watschelte auf Janines Begleiter zu, der ein wenig unsicher dastand und nicht recht wusste, wie er sich verhalten sollte. Ein blonder Junge von vielleicht zwölf Jahren, mit pausbäckigem Gesicht und neugierig umher schauenden Augen. Lazy schien ihn zu mögen, denn er setzte sich direkt vor seine Füße und entließ ein leises Grunzen.
Der Junge ging in die Hocke und kraulte Lazy hinter den Ohren.
„Du bist nicht ganz so wild wie dein Freund, was?“, grinste er, und im selben Moment wurde er mir sympathisch.
„Na ja“, grinste ich. „Lazy ist nicht ganz so sportlich, dafür aber hochintelligent!“
„Lazy?“, lachte er und erhob sich wieder. „Dann heißt der andere Hund wohl Speedy?“
„Nein!“, lachte jetzt auch Tommy. „Er heißt Jever, weil er ausschließlich von Bier lebt!“
Janine ließ Jever vorsichtig wieder zu Boden und stellte ihren Freund vor.
„Das ist Leon. Er geht in meine Klasse, und ich mache mit ihm zusammen Hausaufgaben.“
Leon blickte Janine augenzwinkernd an. „Na ja“, meinte er, „eigentlich gibt sie mir Nachhilfe. Ich hab schon eine Ehrenrunde gedreht, und dieses Jahr war es auch knapp.“
Ich nickte verständnisvoll. „Letztes Jahr hätte es mich auch beinahe erwischt. Ich bin ein bisschen faul. Aber seit ich Tommy kenne, lerne ich mehr.“
„Echt?“ Leon verzog das Gesicht. „So einen Freund hätte ich auch gerne.“
Tommy machte eine einladende Geste in Richtung Teppich. „Ich hab gar nichts gemacht. Joe hat sicht eben nur mehr auf seinen Hintern gesetzt. Setz dich doch. Du kannst gern mit uns frühstücken. Es ist noch genug da. Ach ja … das ist Joe, seine Schwester Sanne und ich bin Tommy.“
„Freut mich“, grinste Leon. „Danke für die Einladung. Aber ihr wisst ja noch nicht, wie viel ich essen kann!“
Während wir uns alle wieder auf dem Teppich niederließen und es uns bequem machten, machte Tommy Sanne und mir ein Zeichen. Ich verstand. Tommy wollte, dass wir die Sache mit dem Traum und dem Stein noch nicht erzählten. Leon war zwar nett, aber dieses Geheimnis musste unter uns bleiben. Wir würden uns noch etwas gedulden müssen, ehe wir mit Janine reden konnten.
„Joe hat vier Brötchen gegessen“, meinte Tommy augenzwinkernd. „Den Rekord musst du erstmal einstellen!“
Leon und Janine langten ordentlich zu, und während wir anderen ihnen beim Futtern zuschauten, erfuhren wir mehr über den blonden Jungen.
„Hast du ein bestimmtes Fach, in dem du schlecht bist?“, wollte Tommy wissen.
„Nein“, grummelte Leon mit vollem Mund. „Ich bin überall schlecht.“
„Wirklich?“, fragte Sanne betroffen.
„Ja“, gab er zu. „Ich kann mir einfach nichts merken. Aber ich bin nicht faul …“ Er blickte in die Runde, um sich zu vergewissern, dass wir ihm auch glaubten. „Ehrlich nicht. Ich sitze jeden Tag bestimmt zwei Stunden an den Hausaufgaben und üben tue ich auch. Aber wenn ich eine Arbeit schreiben muss oder der Lehrer fragt mich ab, ist das meiste wieder weg. Das ging mir schon immer so. Es ist einfach, als würde es wieder aus meinem Kopf rausfallen.“
Ich goss mir nachdenklich noch einen Schluck Kakao aus der Kanne ein. „Ich bin schon faul“, gab ich zu. „Aber wenn ich mal büffel, bleibt es auch hängen. Ich hab nur keine Lust zu lernen.“
Sanne grinste. „Aber wann büffelst du schon!“
„Hey!“, wollte ich aufbrausen.
„Ist ja schon gut“, beschwichtigte mich meine Schwester. „In letzter Zeit lernst du ja wirklich viel. Aber nur, wenn dich was interessiert.“ Sie konnte es nicht lassen. Aber ehe ich etwas erwidern konnte, setzte Tommy nach.
„Ich