Der Weg in den Himmel. Julie Burow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julie Burow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783753198705
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       Der Weg in den Himmel

       Julie Burow

      Inhaltsverzeichnis

       Erstes Kapitel.

       Zweites Kapitel.

       Drittes Kapitel.

       Viertes Kapitel.

       Fünftes Kapitel.

       Sechstes Kapitel.

       Siebentes Kapitel.

       Achtes Kapitel.

       Neuntes Kapitel.

      Erstes Kapitel.

      An der äußersten nordöstlichen Grenze Preußens liegt, gleichsam einen Markstein bildend, gegen das ungeheure Russland, ein Landstrich von rauer Natur, das Fürstentum Litauen. – Die Bewohner desselben haben sich im Laufe der Jahrhunderte, die alle andern Völkerstämme jener Gegend germanisierten, ihre Nationalität, ihre Sprache, ja sogar ihre uralte, schöne Tracht bewahrt, und mit Erstaunen und Interesse sehen die englischen, französischen und deutschen Schiffer, welche der Handel nach Memel führt, in dieser Stadt deutscher Zunge und nordischer Art, auf dem Markte die schlanken, hohen Gestalten der litauischen Bauern in ihren Bastschuhen und blauen Tuchkitteln, und die meist sehr hübschen Mädchen mit dem kurzen, gewürfelten Rock, den drei bis vier saubern, rot gestickten Schürzen, dem Silber geschnürten Mieder und den reichen, blonden, mit bunten Bändern umwundenen Zöpfen, die von einigen rings um den Kopf gewickelt, von andern nach Art der drusischen Frauen in zwei dicken Knoten an den Seiten der Stirn befestigt werden. Ein Schleier von weißem Linnen, ebenfalls rot gestickt, ist auf dem Haupte befestigt und die Trägerinnen verstehen es nicht selten sich mit demselben in wahrhaft plastischer Weise zu drapieren. – Die Sprache dieser Kinder einer rauen Natur ist von einer solchen Weichheit und Süße, dass sie unter einem südlicheren Himmel entstanden zu sein scheint, und in der Tat versichern die Philologen Königsbergs, dass das Litauische eine Stammverwandtschaft mit dem Griechischen habe. Die Sanftheit und Biegsamkeit der litauischen Sprache begünstigt die Poesie, und in der Tat besitzt das litauische Völkchen einen Schatz von Dichtungen, welchen der Vergessenheit zu entreißen und der Welt bekannt zu machen, das Bestreben einiger wackeren Gelehrten Königsbergs schon am Ende des vorigen Jahrhunderts war.

      An einem Junitage, jener und nun schon längst vergangenen Zeit, saßen zwei litauische Kinder auf dem Dünensande im Sonnenschein und spielten mit Muscheln. Es waren Geschwister, ein Mädchen und ein Knabe, und sie waren Waisen, wenigstens Waisen von einer Seite, denn die Mutter, eine hübsche, fein aussehende Frau von etwa dreißig Jahren, saß nicht weit von ihnen auf dem grauen Kiel eines alten Bootes und flocht oder webte vielmehr aus gedrehter Seide, ohne anderes Werkzeug als einige kleine Holzspäne, ein schönes, buntes Band, das sie in Memel zu verkaufen pflegte, und sah von Zeit zu Zeit mit einem Blicke der tiefsten Mutterliebe auf ihre fröhlichen, rosigen Kinder. –

      »Juragis«, sagte das kleine, etwa achtjährige Mädchen, »sieh Dir einmal den Himmel an, Gold, lauter Gold und roter Flimmer, wie das Hochzeit band von der Tochter des reichen Donaleitis.«

      »Pah«, entgegnete der neunjährige Knabe, »was sprichst Du, Margeita, ein Band, was ist ein Band? Da unten weit hinter dem Meere, wo die Sonne untergeht, da müssen ganze Ströme von Gold und rotem Flitter sein, und wer dahin käme, müsste darin baden und untertauchen können, und die goldenen und roten Wellen schlügen zusammen über seinem Kopf.«

      »Ja, wer da hinkommen könnte«, sagte Margeita, »aber hier ist das weite, weite Meer und hinter dem ist die Welt zu Ende.«

      »Unser Vater ist dort«, flüsterte Juragis, die großen, hellen Kinderaugen nachdenkend auf den flammenden Sonnenuntergang heftend.

      »Du weißt, unser Vater, der so prächtig aussah in den bunten Kleidern, als er uns zuletzt küsste. ›Ich geh’ von Euch, Kinder‹, sagte er, ›aber im Himmel kommen wir wieder zusammen.‹«

      »Unser Vater ist tot«, sagte das Mädchen und wischte sich die feucht werdenden Augen mit der gestickten Ecke des Schürzchens.

      »Sie nahmen ihn unter die Soldaten und da haben sie ihn totgeschossen, eine Kugel hat in seiner Brust gesessen und eine hat seinen Arm zerschmettert, so hat es der Herr Prediger der Mutter gesagt.«

      Der Knabe schauderte leise, dann aber hob er stolz und kühn den schönen Kopf empor und rief mit einem Anflug von Begeisterung:

      »Ja, aber er ist doch im Himmel, und wenn man über das Meer fährt, weit, immer weiter, so muss man zuletzt auch in den Himmel kommen. Liegt doch da, wo das rote Gold flammt, der Himmel auf der Erde fest, und wo die Sonne untergeht oder der Mond, da muss eine Tür sein, durch die sie in den Himmel zurückkehren, und ich sage Dir, Margeita, ich werde in den Himmel geh’n, den Vater zurückholen, ich kann die Mutter nicht immer und immer weinen sehen.«

      »Ja, aber Du musst erst groß und alt werden, Juragis«, erwiderte die Schwester, »erst wenn man alt geworden ist, kann man in den Himmel kommen, und bis dahin ist’s noch sehr, sehr lange hin.«

      »Ich bin alt genug in den Himmel zu gehen, Margeita. Was willst Du, ich habe Arme, schau‘nur wie lang, und ich kann des Donaleitis großes Boot regieren und ich brauche ja nur das kleinste Boot zu nehmen, und werde doch in den Himmel kommen, je kleiner das Boot ist, in dem ich fahre, desto leichter kann ich durch die kleine Tür schlüpfen, durch welche die Sonne hineingeht. Lass’ mich nur machen, Margeita.«

      »Aber wer in den Himmel gegangen ist, kehrt nicht wieder, Juragis.«

      »Ich werde wiederkehren, Margeita, und werde den Vater mitbringen. Verlass’ Dich darauf. Ich werde vor den Herrn Gott hintreten, er kann nicht böser aussehen, als der raue Apotheker in Kleipeda, und der schenkte mir die Medizin, wie die Mutter krank war, und ich werde sagen: Herr Gott, lass’ meinen Vater zur Mutter zurückkehren, und behalte mich hier, und müsste ich auch in der Hölle bleiben; die Mutter weint gar zu sehr.«

      »Aber, wenn Du nicht bei uns wärest, würde sie auch weinen, Juragis.«

      »Lass’ gut sein, Margeita«, sagte der Knabe mit einem schlauen Blick, »ich sage nur so, unser Herr Gott ist viel zu gut, der lässt uns beide zu Euch zurück, wenn ich’s ihm nur recht vorstelle.«

      »Ach Juragis, wenn das wäre«, seufzte das Mädchen – »die Mutter weint Tag und Nacht und kann gar nicht so viel arbeiten, uns Brot und Kleidung zu schaffen.«

      In diesem Augenblicke erhob die Mutter ihre Stimme und rief ihre Lieblinge:

      »Juragis, Margeita!«

      Sie liefen zu ihr, hängten sich in ihre Kleider und baten:

      »Mutter sing’ uns ein Lied beim nach Hause gehen.«

      Sie heftete die schönen zärtlichen Augen wechselsweise auf die Kinder und jedes an einer Hand führend, sang sie beim Gehen in ihrer weichen Muttersprache ein Lied, das in Chamissos trefflicher Übersetzung also lautet:

      »Her zogen drei Schwäne mit Kriegsgesang

      Zu Ross, zu Ross es dröhnend erklang

      Es reiten aus allen Höfen daher

      Die jüngern Söhne zu Kriegesheer.

      Es ist mit uns gar schlimm bestellt

      Und keiner bleibt, wenn einer sich stellt.

      Du ziehst, mein Bruder, mein