Das einfache Leben. Ernst Wiechert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wiechert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754180945
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grauen Stämmen hin. Dann aber gewann die Sonne wieder das Feld, trocknete Straßen und Pfade, das Eis in den Buchten schmolz, und über der jungen Saat hingen hoch im Blau die singenden Lerchen. Immer aber gingen die großen Wälder mit ihm mit, wechselnd zwischen Laub- und Nadelholz, aufblauend, erglühend und sich wieder verdunkelnd mit dem Gang der Sonne, und mit ihnen die strenge und reine Luft, die das Atmen leicht machte und die sorgenlosen Jahre wieder heraufrief, als er hoch über Segeln und Meer im Mastkorb gesessen hatte.

      Der Rat des Mannes aus dem Waldkrug hatte sich als nützlich erwiesen, einige Angebote fand er gut und sogar verlockend, doch hielt er die Zusage noch hin, weil ihm das Letzte noch zu fehlen schien, die jähe Zustimmung des Herzens, von der er meinte, daß sie einmal kommen werde, und die ihm wichtiger schien als Verstand und kühle Berechnung.

      So kam er am späten Nachmittag des zehnten Tages zu einem Meilenstein an einer breiten Landstraße, von dem ein schmaler Weg zu einer Försterei abbog, und da der Wald ihm schöner schien als jeder andere, den er bisher durchfahren hatte, von Birkenschonungen und alten Eichen durchsetzt, so ließ er den breiten Weg und meinte, er werde zur Nacht schon unterkommen, wenn nicht im Forsthaus, so doch wenigstens in einer Feldscheune oder in einem der Wildheuhaufen, die er hier und da in den Schonungen angetroffen hatte. Die Luft war milder geworden, ein südlicher Wind ging durch den Wald und brachte den schweren Duft des Seidelbastes mit, der an den sonnigen Hängen blühte.

      Der Förster trat aus dem Hoftor, als Thomas das Gehöft erreichte. Er war ein großer, gebeugt gehender Mann, die Schläfen unter dem Hut schimmerten schon weiß, und der Blick seiner ganz hellen Augen ging durch Thomas hindurch, als sehe er gar nicht ihn, sondern hinter ihm einen anderen, der unbemerkt in seinen Spuren stände. So einsam schien er Thomas vor dem schweigenden Gehöft, daß er meinte, es sei nicht recht, ihn anzusprechen und seine Bitte vorzutragen, so daß er stumm dastand, die Hände auf der Lenkstange des Rades und den Fuß schon wieder auf dem linken Pedal, als sei er sofort bereit, umzukehren, wenn jener den Wunsch dazu zu erkennen gebe.

      Doch trat der Förster wider Erwarten auf ihn zu, hob die Hand grüßend an den Hut und fragte ihn mit leiser Stimme ohne Vorbereitung, ob er ein Seemann sei. Und als Thomas das mit einiger Verwirrung bejahte, nahm der andere ihn sanft beim Arm, bat ihn, ein Stück Weges mit ihm mitzukommen, und meinte dann, als der Wald sie schon wieder aufgenommen hatte, er dürfe nicht verwundert sein, es habe jeder harte Beruf seine Kennzeichen und wäre es hier auch nur eine bestimmte Helligkeit der Augen und die Schärfe der Linien von den Nasenflügeln zum Munde. Zudem kenne er sich etwas aus unter Seeleuten, da sein Sohn selbst einer gewesen sei, und es freue ihn, hier in seinem Walde einen wiederzusehen, der wahrscheinlich auch »dabeigewesen« sei.

      Ja, dabeigewesen sei er allerdings, erwiderte Thomas.

      Das habe er gedacht, meinte der Förster, und er brauche nun vor seinem Hause nicht umzukehren, sei als Gast willkommen und müßte ihn zuerst nur auf den Schnepfenzug begleiten, da er gern zunächst allein mit ihm sein möchte. Etwas wunderlich sei seine Frau, ja vielleicht sogar sehr wunderlich, wie nach dem Kriege ja überhaupt seltsame Menschen übriggeblieben seien, als habe der Tod sie nicht gewollt nach all dem jungen Blut, das er getrunken habe.

      Zuerst schwieg Thomas, auf eine merkwürdige Weise ergriffen von der Art dieses Mannes, der wie nach einer langen Krankheit sprach, leise, eilig, als wisse er nicht genau, ob die Gespenster des Fiebers noch um ihn ständen oder ob er schon voller Vertrauen zu den Wachenden und Gesunden von den Gesichtern seiner Träume sprechen dürfe. Dann aber begann er zu erklären, wer er sei – immer noch der Steuermann auf großen Dampfern – und weshalb er hier sich umsehe. Auch daß er eigentlich vorgehabt habe, der großen Straße bis zur Stadt zu folgen, und nur etwas nicht Bewußtes ihn veranlaßt habe, zur Försterei zu fahren. Wahrscheinlich, weil der Wald ihm so gut und vertraut vorgekommen sei, oder auch nur, weil der Südwind ihn müde gemacht habe.

      Der Alte nickte dazu, auf eine sichere Weise, als wisse er das besser, und meinte, sie würden eine gute Nachbarschaft halten. Er sei dessen gewiß, denn er zweifle nicht daran, daß hier das Ziel des Gastes erreicht sei; doch wollten sie erst später darüber sprechen, jetzt aber ihren Stand einnehmen.

      Sie waren unterdes an den Rand niedriger Schonungen gekommen, gingen einen grasbewachsenen Weg hinaus, bis sie über einem kleinen Bruch standen, in dessen Wasserblänken der Abendhimmel sich spiegelte, und blieben dann zwischen ein paar Wacholderbüschen, der Förster auf seinem Sitzstock und Thomas auf einem der breiten Baumstümpfe, die die Sonne des Tages eingesogen hatten.

      Noch nie meinte Thomas den Wald so groß und unberührt gesehen zu haben, fast daß er zum Fürchten hätte sein können, wäre nicht das hundertfältige Lied der Drosseln gewesen und der fremde Ton hoher Zugvögel, die mit dem Winde über den Wald zogen. Auch gingen seine Gedanken immer wieder zu dem Wort von der Nachbarschaft zurück, und von Zeit zu Zeit betrachtete er unaufdringlich den etwas vor ihm Sitzenden, der zwar das Gewehr über den Knien hielt, aber dessen Auge und Ohr weit von aller Jagd entfernt zu sein schienen, zu den Abendwolken aufgehoben, die schmal, lang und rotgesäumt in den nördlichen Horizont fuhren, ein schweigendes Geschwader, das den Schauplatz verließ.

      Als dann endlich die Drosseln verstummten, eine nach der andern, und zuletzt nur noch aus dem schwarzgewordenen Hochwald auf der andern Seite ab und zu ein Flötenton in das Schweigen fiel, meinte Thomas, seiner Jugendjahre sich erinnernd, daß es nun Zeit sei, alle Sinne auf die Jagd zu richten und auf den Ruf der Schnepfe zu warten, der bei aller Sanftheit so erregend in das Herz des Jägers fällt.

      Aber gerade da, als er leise aufstehen wollte, begann der Förster zu sprechen, und es war aus dem Klang seiner Stimme unschwer zu erraten, daß seine Gedanken die ganze Zeit nicht bei der Jagd gewesen waren.

      Beim Skagerrak sei er vielleicht auch dabeigewesen, fragte er behutsam. Und auf Thomas' bejahende Antwort, ob sogar vielleicht auf einem der Panzerkreuzer? Der »Seydlitz« etwa?

      Nicht gerade dort, aber auf einem Schwesterschiff, erwiderte Thomas und begann zu ahnen, worüber er Rede und Antwort zu stehen haben werde. Doch war nun gerade der Ruf der ersten Schnepfe zu hören, über die Schonungen sich nähernd, über den kleinen Bruch, immer näher und deutlicher, bis das graue, leise schwankende Bild aus dem Hintergrund des Abends sich löste, der im Suchen sich hin und her wendende Kopf mit dem langen Schnabel gerade über ihnen, der sanfte, wie tief aus der Kehle dringende Ton … und nun alles vorüber war, schon hinter ihnen, immer leiser wurde und verschwand.

      Thomas war aufgesprungen und hatte die Hand nach dem vor ihm Sitzenden ausgestreckt, doch ließ er sie beschämt wieder sinken, als er von der Seite das Gesicht sah, das einem fernen Vorgang zugewendet schien, einem Vorgang, der weit hinter der Erscheinung des Vogels seine Umrisse in den Abendhimmel zu zeichnen schien.

      »Sahen Sie … das Feuer?« fragte die leise Stimme.

      »Ja.«

      »Aus dem vorderen Turm?«

      »Ja, alle sahen es.«

      »Eine hohe Säule?«

      »Höher als die Masten … aber niemand hat Schmerz gelitten dort, niemand. Es muß gewesen sein wie unter einem Blitzschlag, vorbei, ehe man ahnt, daß es trifft.«

      »So sagen sie, und so schrieben sie auch, aber keiner ist dabeigewesen, den es nur versengt hätte, nur das Haar und die Augenbrauen, und er hätte es dann erzählen können …«

      Nun legte Thomas doch leise die Hand auf die gebeugte Schulter vor ihm. »Man soll das nicht ausdenken«, sagte er. »Wie sollten wir leben, tapfer und ordentlich, wenn wir das täten?«

      »Ja, ja … auch ich sage so, zu ihr, die darüber wunderlich geworden ist … nur … er fürchtete sich so vor dem Feuer, verstehen Sie? Da war so eine schreckliche Geschichte in seiner Kindheit … wir hatten den Backofen geheizt, zum Brotbacken. Die Glut war schon herausgenommen und dann auch die Brote. Der Backofen stand allein im Garten, abseits, wie auf allen Förstereien. Da kam er mit den Hunden hinter der Katze her, so im Spiel, und sie sprang hinein. Er lachte und warf die Türe zu, er wußte nicht, daß es glühend heiß war. Und im selben Augenblick schoß ich am Gartenzaun einen Hühnerhabicht. Da vergaß er alles,