Syme biss hungrig in sein Brot und schluckte ein paar Bissen hinunter, dann sprach er weiter, mit jener Art von Leidenschaft, wie sie nur Pedanten haben. Sein dünnes, dunkles Gesicht war lebhaft geworden, seine Augen hatten ihren spöttischen Ausdruck verloren und einen fast verträumten Ausdruck angenommen:
„Es ist solch eine wunderschöne Sache, die Zerstörung von Worten! Selbstverständlich sind hauptsächlich die Verben und Adjektive überflüssig, aber es gibt auch Hunderte von Substantiven, die sich ebenso entfernen lassen. Es sind nicht nur die Synonyme, sondern auch die Antonyme. Welche Rechtfertigung gibt es schließlich für ein Wort, das einfach das Gegenteil eines anderen Wortes beschreibt? Ein Wort enthält sein Gegenteil bereits in sich selbst. Denke nur an good: Wenn es ein Wort wie good gibt, welcher Bedarf besteht dann noch an einem Wort wie bad? Ungood ist genauso gut – sogar noch besser, weil es ein genaues Gegenteil bezeichnet, bad aber eben nicht. Oder welchen Sinn hat es wiederum, wenn eine Steigerung von good erforderlich ist, dafür eine ganze Reihe von unbestimmten, also nutzlosen Worten zu verwenden wie excellent und splendid oder dergleichen? Plusgood deckt die Bedeutung völlig ab oder auch doubleplusgood, wenn noch etwas Stärkeres erforderlich sein sollte. Natürlich verwenden wir diese Formen bereits, aber in der endgültigen Fassung von Newspeak wird es nichts anderes mehr geben. Am Ende wird die gesamte Begrifflichkeit von ‚gut oder schlecht‘ mit nur noch genau sechs Worten abgedeckt werden können; tatsächlich mit nur einem einzigen Wort, nämlich good, von dem alle anderen abgeleitet werden. Siehst du nicht das Schöne daran, Winston? Es war ursprünglich eine Idee von BB, selbstverständlich“, fügte er im Nachhinein hinzu.
Eine Art faden Eifers huschte bei der Erwähnung von Big Brother über Winstons Gesicht. Dennoch bemerkte Syme sofort einen gewissen Mangel an Begeisterung.
„Dir fehlt einfach die wahre Wertschätzung für Newspeak, Winston“, sagte er fast traurig. „Selbst wenn du es schreibst, denkst du immer noch in Oldspeak. Ich habe einige der Artikel gelesen, die du gelegentlich in der Times verfasst. Sie sind gut genug, aber es sind Übersetzungen: In deinem Herzen ziehst du es vor, bei Oldspeak zu bleiben, mit all seiner Unbestimmtheit und seinen nutzlosen Schattierungen der Bedeutung. Du begreifst einfach nicht die Schönheit der Zerstörung von Worten. Wusstest du, dass Newspeak die einzige Sprache der Welt ist, deren Wortschatz jedes Jahr kleiner wird?“
Selbstverständlich wusste Winston das. Aber er lächelte nur (ausreichend sympathisch, hoffte er) und traute sich nicht, etwas zu sagen.
Syme biss ein weiteres Stückchen des dunkel gefärbten Brots ab, kaute es kurz und fuhr fort: „Verstehst du denn nicht, dass das ganze Ziel von Newspeak darin besteht, die Bandbreite der Gedanken zu verringern? Am Ende werden wir jegliches thoughtcrime buchstäblich unmöglich machen, denn es wird keine Wörter mehr geben, um es zu begehen. Jedes Konzept, das jemals benötigt werden kann, wird durch genau ein, in seiner Bedeutung starr definiertes Wort ausgedrückt werden, und alle Nebenbedeutungen werden ausradiert und vergessen sein. Bereits in der elften Ausgabe sind wir nicht mehr weit von diesem Punkt entfernt. Aber dieser Prozess wird noch lange nach deinem und meinem Tod weitergehen. Jedes Jahr wird es immer weniger Wörter geben, und die Reichweite des Bewusstseins wird dadurch immer weiter ein wenig kleiner werden. Selbstverständlich gibt es auch jetzt noch keinen Grund oder eine Entschuldigung für thoughtcrime. Es zu vermeiden, ist lediglich eine Frage der Selbstdisziplin, der reality control. Aber am Ende wird es auch dieser Anstrengung nicht mehr bedürfen. Die Revolution wird vollständig sein, wenn die Sprache perfekt sein wird. Newspeak ist Ingsoc, und Ingsoc ist Newspeak “, fügte er mit einer Art mystischer Befriedigung hinzu. „Ist dir jemals aufgefallen, Winston, dass spätestens im Jahr 2050 kein einziger Mensch mehr am Leben sein wird, der ein solches Gespräch verstehen könnte, wie wir es jetzt führen?“
„Außer...“, begann Winston zweifelnd, unterbrach sich dann aber. Es hatte ihm auf der Zunge gelegen zu sagen: „Außer den Prolls“, aber er überprüfte sich selbst und war sich nicht völlig sicher, ob eine solche Bemerkung nicht auf die eine oder andere Art unorthodox wäre.
Syme, wie auch immer, hatte erspürt, was gemeint gewesen war. „Die Prolls zählen nicht; die sind keine Menschen“, sagte er leichthin. „Bis 2050 – wahrscheinlich schon früher – wird jede echte Kenntnis des Oldspeak verschwunden und auch die ganze Literatur der Vergangenheit vernichtet worden sein. Chaucer, Shakespeare, Milton, Byron wird es nur noch als Newspeak-Versionen geben; nicht nur verändert in etwas anderes, sondern tatsächlich verwandelt in das Gegenteil von dem, was sie einmal waren. Auch die Literatur der Partei wird sich ändern. Sogar die Parolen werden sich ändern. Welchen Sinn sollte ein solcher slogan wie ‚Freiheit ist Sklaverei’ noch haben, wenn das gesamte Konzept der Freiheit nicht mehr verständlich und damit nicht mehr vorhanden ist? Das ganze Klima des Denkens wird anders sein. Tatsächlich wird es nicht einmal mehr Gedanken in der Form geben, wie wir jetzt noch das Wort ‚Gedanken’ verstehen. Orthodoxie bedeutet, nicht zu denken – nicht denken zu müssen. Orthodoxie ist Unbewusstheit.“
„Eines Tages“, dachte Winston plötzlich mit tiefer Überzeugung, „wird Syme vaporized werden. Er ist zu intelligent. Er sieht zu klar und spricht zu deutlich. Die Partei mag solche Leute nicht. Eines Tages wird er verschwinden. Es steht ihm ins Gesicht geschrieben.“
Winston hatte sein Brot und seinen Käse aufgegessen. Er setzte sich ein wenig bequemer hin, um seinen Becher Kaffee zu trinken. Am Tisch zu seiner Linken redete der Mann mit der schrillen Stimme immer noch erbarmungslos vor sich hin. Eine junge Frau, die vielleicht seine Sekretärin war und mit dem Rücken zu Winston saß, hörte zu und schien eifrig allem zuzustimmen. Ab und zu drang eine Bemerkung zu Winston durch wie: „Ich denke, Sie haben ja so recht; ich stimme Ihnen ganz und gar zu!“; vorgebracht mit in einer jugendlichen und kaum ernstzunehmenden weiblichen Stimme. Aber der Mann hörte nie auf zu reden, auch dann nicht, wenn das Mädchen gerade sprach. Winston kannte ihn vom Sehen, obwohl er nicht mehr über ihn wusste, als dass er ein wichtiges Amt in der Belletristikabteilung innehatte: ein Mann von etwa dreißig Jahren, mit einem muskulösen Hals und einem großen, beweglichen Mund. Er hatte den Kopf ein wenig zurückgeworfen, und wegen des Winkels, in dem er saß, spiegelte seine Brille das Licht wider, und so sah Winston nur zwei leere Scheiben anstelle der Augen. Was allerdings an alldem am schrecklichsten war: In dem Schwall von Lauten, der sich aus dem Mund des Mannes ergoss, war es fast unmöglich, einzelne Worte voneinander zu unterscheiden. Nur einmal hörte Winston den Teil eines Satzes heraus: „...vollständige und endgültige Beseitigung des Goldsteinismus’...“, was allerdings sehr schnell und in einem Stück gesprochen klang, als würde eine einzige, durchgezogene Schriftlinie ohne Pausen vorgelesen. Alles andere war nur Lärm, wie ein fortwährendes Klappern, Krächzen und Kreischen. Und obwohl nicht zu hören war, was genau der Mann sagte, so blieb doch kein Zweifel an der allgemeinen Natur seiner Worte: Vielleicht empörte er sich über Goldstein und forderte strengere Maßnahmen gegen thought-criminals und saboteurs, vielleicht war er wütend über die Gräueltaten der eurasischen Armee, vielleicht erging er sich auch in Lobpreisungen auf Big Brother oder die Helden an der Malabar-Front – es machte keinen Unterschied: Was auch immer es war, so konnte doch keinerlei Zweifel daran bestehen, dass jedes Wort davon reine Orthodoxie, reiner Ingsoc war. Als er das augenlose Gesicht mit dem sich schnell auf und ab bewegenden Kiefer beobachtete, hatte Winston auf einmal das seltsame Gefühl, dass dies kein echtes menschliches Wesen wäre, sondern eine Art dummy. Es war nicht das Gehirn des Mannes, das sprach; es war der Kehlkopf. Das Zeug, das aus