Dark Moon Creek, Minnesota
Bernart Dierolf langweilte sich.
Und das war noch nie gut gewesen, das wusste er selbst. Nicht gut für ihn, eben weil er sich langweilte, und zwangsläufig auch nicht gut für seine Umwelt, da er in einer solchen Stimmung nach Abwechslung suchte und das meistens zu Ärger führte.
In seiner derzeitigen Lage war das eher lästig.
Seit einem Jahr wohnte er jetzt in der ehemaligen Jackson-Hütte, die ihren Namen irgendwie nicht loswerden wollte, obwohl sie inzwischen seiner Tochter Hannah O’Brian, gebürtige Riemann, gehörte.
Der Name und auch die Dauer seines Aufenthalts störten ihn nicht weiter. Er sah diesen Ort eh nur als Durchgangsstation an. Rudelführer Tucker O’Brian hatte ihm deutlich gesagt, dass er ihn erst ziehen lassen würde, wenn er davon überzeugt war, dass Bernart Dierolf keinen Ärger mehr machen würde. Aber natürlich war allen klar, dass er nur blieb, weil er es selbst so wollte. Dass er es eine Zeitlang sogar genossen hatte, sich nicht mehr vor anderen Wölfen verstecken zu müssen, würde er natürlich niemandem verraten. Es war zwar ärgerlich, dass er vom alten Kontinent verbannt worden war, doch dafür lebte er und hatte die Chance, noch viele Jahre mit Hannah zu verbringen. Und mit Tucker O’Brian. Leider.
Dierolf schnaufte unmutig und hob das Gesicht zur Sonne. Er hockte auf einer Holzbank vor dem Haus, während er seine düsteren Gedanken sortierte. Dies war sein Lieblingsplatz. Er hatte die Bank selbst zusammengebaut und an die sonnenreichste Stelle vor der Hütte gestellt. Im Laufe des Jahres war sie jeden Monat mit dem Sonnenstand gewandert. Und jetzt im November musste man jede Minute davon ausnutzen.
Der Gedanke an O’Brian war da eher störend.
Er mochte den Mann. Keine Frage. Und das lag nicht nur daran, dass Tucker O’Brian seine Tochter geheiratet hatte und jetzt sein verdammter Schwiegersohn war. Ehrlich gesagt gab es wohl kaum einen besseren Ehemann für die temperamentvolle Hannah. O’Brian war ein knurriger, besserwisserischer und kompromissloser Bastard und würde Hannah niemals fallen lassen, davon war Dierolf fest überzeugt. Allerdings wurmte es ihn gewaltig, dass dieser Jungspund einen Hauch dominanter war als er selbst und ihn das auch immer wieder spüren ließ. Normalerweise hätte er sich schon längst verkrümelt und diesen Kontinent erkundet, doch da war eben noch Hannah.
Sie genossen es, nach langen Jahren der Trennung wieder zusammen zu sein. Und er konnte ihr noch eine Menge beibringen, was frau besser wissen sollte, wenn sie einen Rudelführer als Ehemann hatte. Wölfe tickten in manchen Dingen eben doch anders als Menschen. Und die ersten, die das zu spüren bekamen, waren normalerweise ihre menschlichen Frauen.
Zu seiner Erheiterung schien Hannah den Rudelführer allerdings bestens im Griff zu haben. Dafür war sie eben doch zu sehr seine Tochter.
Er grinste zufrieden vor sich hin und überlegte, wie er O’Brian als Nächstes ärgern konnte. Ob er den Kids beibringen sollte, wie man auch eine Wolfsnase austrickste? Die kleinen Biester waren immer wieder bemüht, ihren Anführer mit dummen Sprüchen und Bildern zu ärgern, ohne dabei erwischt zu werden, scheiterten aber regelmäßig. Kinderspiele, doch sehr unterhaltsam für alle Dorfbewohner. O’Brian spielte mit. Er erwischte jeden, aber seine Strafen fielen immer milde aus und zeugten von erzieherischer Konsequenz.
Dierolf musste zugeben, dass er selbst mit Sicherheit nicht so viel Geduld gezeigt hätte. Aber er war ja auch kein Rudelführer. Eigentlich auch kein echtes Rudelmitglied. Nur ein geduldetes. Die meisten akzeptierten ihn und einige der Dorfbewohner halfen ihm, wenn es nötig war. Lediglich zu Theo und Ethan hatte sich so etwas wie eine Freundschaft entwickelt.
Theo war ein junger Wolf mit einer Leidenschaft für Automotoren. Seit einiger Zeit bastelten sie miteinander an einer alten Harley herum, die Dierolf auf einem Schrottplatz aufgetan hatte. Das schweißte zusammen.
Ethan, Koch und Verwalter der Siedlung, hatte ihn anfangs erst misstrauisch begutachtet, dann aber gegrinst und ihm auf die Schulter geschlagen.
„Freut mich, Wolf. Ich hab das Gefühl, du wirst unsere Langeweile vertreiben. Kannst du kochen? Ich will ein paar deutsche Rezepte ausprobieren, aber Hannah war da bisher eher keine Hilfe.“
Bernart Dierolf hatte gegrinst und genickt. Dass seine Tochter miserable kochte, war kein Geheimnis. Er selbst kochte ganz passabel und so hatten die Männer schnell einen Draht zueinandergefunden.
Aber mehr Freundschaften ließ er nicht zu. Er wartete lieber ab.
Seine Ohren zuckten und er lauschte konzentriert in die Höhe. War das ein Hubschrauber? Er flog Richtung Dark Moon Creek. Vermutlich wieder Besuch aus der Ranger-Zentrale. Ab und zu kam dieser Kriegerwolf Mort Byers vorbei, um seine Frau zu besuchen. Vor einigen Monaten war er Vater von einem strammen Jungen geworden, der alle Anzeichen in sich trug, ein genauso beeindruckender Krieger zu werden wie sein Vater. Seitdem kam Byers öfters, als es den Bewohnern von Dark Moon Creek vermutlich recht war. Ein Grund mehr, heute nicht ins Dorf zu laufen. Kriegerwölfe waren anstrengend und Mort war dazu noch ein Kaliber für sich. Dierolf hatte nicht schlecht gestaunt, als er diesem Wolf das erste Mal begegnet war. Im Laufe seines langen Lebens hatte er schon viele Fellträger getroffen. Mort Byers war mit Abstand der Größte, und das Aggressionspotenzial des Kriegers ließ jedes Mal Dierolfs Instinkte aufjaulen. Keine Frage, von diesem Ranger hielt er sich besser fern.
Und Byers Partner, dieser Henry, war noch spezieller.
Henry Graves. Er hatte den Namen schon einmal vor vielen Jahrzehnten gehört. In Europa. Das war noch zu Zeiten gewesen, als man ihn selbst nicht gejagt hatte.
Ein Blick hatte ihm genügt. Henry Graves war der zweitdominanteste Wolf, dem er je begegnet war. Und das hieß schon was. Er selbst war schließlich weit herumgekommen. Und die Intelligenz, die in den grünen Augen stand, war ihm Warnung genug. Niemals würde er diesen Krieger unterschätzen, das nahm er sich fest vor.
Noch besser, er lief ihm gar nicht mehr über den Weg.
Er schloss die Augen und überlegte, welches der Kids das meiste Potenzial hatte, O’Brian so richtig zu nerven.
Ein Automotor riss ihn aus seinen Überlegungen. Den Motor kannte er. Er hatte ihn schon oft mit Theo repariert.
Langsam stand er auf und sah dem Wagen angespannt entgegen. Es kam selten jemand vorbei. Und wenn, dann waren es meistens Hannah oder ihr nervender Ehemann. Selbst die Besuche von Theo und Ethan konnte er an einer Hand abzählen.
Der Wagen hielt kurz vor ihm. Theo saß am Steuer und grinste ihn schief an. Er wirkte nervös, was Dierolf nicht wunderte, als eine weitere Person auf der Beifahrerseite ausstieg.
Bernart Dierolf murmelte einen leisen Fluch. Von allen Wölfen auf dem Planeten musste er ausgerechnet diesem über den Weg laufen! Aber wenn er ehrlich war, war das nur eine Frage der Zeit gewesen.
Schweigend wartete er ab. Theo wendete den Wagen und gab mehr Gas, als nötig war. Dierolf konnte es ihm nicht verdenken. Am liebsten hätte er auch Fersengeld gegeben. Aber das ließ sein Stolz nicht zu.
Niemand würde ihn jemals von hinten sehen, auch nicht Chief Kale Bryan, Kriegerwolf und Anführer der Minnesota-Rangers.
„Hallo Bernart, lange nicht gesehen.“
Dierolf vermied es, in die stechenden Augen zu sehen. Er hatte vor einigen Jahrzehnten ein halbes Jahr mit Bryan in der französischen Fremdenlegion verbracht und bereits am ersten Tag hatte der Krieger klargestellt, dass er Widerspruch nicht duldete. Bis heute hatte Bernart keinen Wolf getroffen, der dominanter war als Kale Bryan. Dummerweise hatte dieser in jener früheren Zeit rangmäßig auch noch deutlich höher als Bernart gestanden und damit gab es keine Chance, seinen Anweisungen zu entgehen. Und Bryan war schon damals ein harter Knochen gewesen. Dierolf hatte unter ihm Blut und Wasser geschwitzt und ihn permanent verflucht.
„Von