Franz und das Schwarz. Marius Rehwalt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marius Rehwalt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754101452
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krallte sich einen Zipfel seines Hemdes und zog an ihm.

      Es war ein Graus für Franz’ Kopf. Jede Bewegung, die er machte, trieb ihn einen Schritt nach hinten. Dahin, wo er keine Augen hatte, immer tiefer in die verstörende Finsternis hinein. Schon nach wenigen Schritten schloss sich vor ihm das Dickicht. Die Brücke war weg, der kleine Hügel verschwunden. Düster war es nun geworden und seine Blicke huschten nervös hin und her. Aber er setzte weiter seine Schritte, einen nach dem anderen.

      Manchmal versuchte Franz, hinter sich zu blicken, doch er konnte nicht weit sehen. Er sah nur, wie der Wald sich weiter wandelte und einen Weg freigab. Lange konnte er so nicht gehen, ehe ihn sein Nacken schmerzte.

      Nach einer ganzen Weile glaubte Franz, dass es ein wenig heller wurde. Der Wald war in ein tiefes, dunkles Blau getaucht, dem sich ein Hauch von Lila untermischte. Die Bäume blieben weiter fahl, grau und wie abgestorben. Einige wirkten, als ob hier und da ein Feuer gebrannt hätte. Manchmal meinte er sogar, noch eine Glut oder einen dünnen Rauchschwaden zu sehen. Er war sich dessen aber nie ganz sicher. Zu viel Bewegung befand sich im Geäst.

      Plötzlich stolperte er und stürzte auf den Rücken. Er stieß sich den Kopf und schrie auf. Als er sich aufsetzte, erkannte er eine Wurzel, die dick war wie ein Oberschenkel.

      »Warum hast du nichts gesagt, Iocus?«

      Das Wesen schaute ihn dümmlich an und schwieg. Zwischendurch zuckten kurz seine dünnen Flügel.

      »Hey, ich rede mit dir! Was soll das? Du kannst doch alles sehen und geradeaus fliegen. Warum legst du mich so herein?« Franz wurde sauer. Dieser Ort, so fremd und gespenstisch, ein Wesen mit einem seltsamen Namen … Ihm wurde das alles viel zu viel.

      Doch in diesem Moment lachte das Wesen lauthals los. Es rollte sich auf seinen Po, landete auf dem Rücken und lief purpurrot an.

      »Hihihi … hohoho …«

      »Was gibt es da zu lachen? Hast du das mit Absicht gemacht? Mich eiskalt über diese Wurzel stolpern lassen?«

      Iocus wurde lauter, lachte und gluckste. Tränen kullerten aus seinen Augen, unter dieser dicken Fettschicht hervor.

      Franz stand auf und wollte das Wesen fassen, es ergreifen und schütteln. Doch es war zu flink. Es schnellte hoch und umsurrte ihn weiter lachend. Franz ballte seine kleinen Hände zu Fäusten und senkte seinen Blick.

      Nach einer ganzen Weile sagte er: »So langsam weiß ich, was du wohl für ein Wesen bist. Du musst der Argwohn sein. Nichts andres fänd’ ich passend.«

      Augenblicklich hörte das Wesen auf zu lachen und zu surren. Gerade noch war es hinter Franz, nun setzte es sich vor ihm hin.

      »Oh, er spricht also auch mal ein paar kluge Sätze. Ja, ja, so in der Form hat mich auch das Weib betitelt. Bist der Zweite, der das sagt. Ach, i wo! Damit kann ich wohl leben. Was ist schon dabei, am Leid der anderen? Am Unglück, hä?«

      »Das ist nicht schön. Das tut den anderen weh. Wenn nicht körperlich, dann wohl im Herzen. Wer kann dir sagen, wer nicht schlafen kann – wohl wegen deiner Taten? Ich finde dich entsetzlich, nun, wo ich dein wahres Gesicht erblicken musste.«

      »Bist du wohl still? Halt die Fresse!« Das Wesen wurde wütend und wuchs pulsierend heran, bis es Franz um mehrere Köpfe überragte.

      Seine Stimme war nun nicht mehr piepsig, quiekend böse traf es eher.

      »Bist du wohl selbst schuld, du Nichtsnutz! Hast den Schwarzen Mann gewähren lassen, der alles infizierte. Früher war ich lustig, witzig. Jeder wollte mit mir lachen. Fell hatte ich und große Augen. Sieh mich an, was mit mir passierte! Aus Humor hast du den Argwohn geboren. Tölpel! Wie sehn’ ich mich zurück nach wahrem Witz!«

      Franz beruhigte sich. Ihm erschien nicht alles klar, doch er bemerkte, dass das kleine Wesen auf eine Art recht hatte. Er spürte, dass es mit Grund nicht erfreut über seine Worte war.

      Und so entschuldigte sich Franz höflich bei dem Argwohn.

      »Nun gut. Ich nehme sie an, deine Entschuldigung. Es sei verziehen. Aber merk dir eins, mein lieber Znarf, verletz’ hier niemanden! Du hast sie alle so gemacht. Du hast sie sich so verwandeln lassen.«

      »Gut, mein Freund. Es tut mir leid.« Franz reichte Iocus seine Hand.

      Iocus schlug mit seiner kleinen Pranke ein und pulsierte sich kurz darauf wieder auf seine eigentliche Größe.

      Ab diesem Moment machte der Argwohn hin und wieder einen kleinen bösen Witz. Meist, um sich über ihn oder irgendwelche Bewohner dieser Welt, die Franz aber alle unbekannt waren, lustig zu machen. Hier und da schmunzelte er mit oder machte auch einmal den einen oder anderen Witz. Aber natürlich meist über sich selbst. Er machte sich nicht gern über andere lustig, wusste er doch zu gut, wie es sich anfühlte, das Opfer von Hohn und Verachtung zu sein. Gleichermaßen erschrak er über sich, da ihm dennoch hin und wieder etwas einfiel, was er bei anderen abwertend oder spöttisch betrachtete. Und so war er gespalten in seinen Reaktionen, sein guter Geist mochte die Späße des Argwohns zumeist wirklich nicht, nein, sie missfielen ihm regelrecht. Doch dann pochte etwas Fremdes in ihm auf und er musste schmunzeln.

      Wo kommt das nur her?

      Immer wieder sprach der Argwohn über ein altes Weib, zu dem sie hinmüssten. Sie könne an jedem Ort mit Franz und auch den anderen Wesen in dieser Welt reden.

      »Sie sieht alles!«, sprach Iocus ganz frei heraus.

      »War sie die laute Stimme vorhin, als du mir nicht hast antworten wollen?«

      »Ja, ja. Das war sie. Denk nur scharf nach! Du weißt, wer sie wohl ist. Ist geprägt von Urbeginn. Kann dir Hinweise geben, Korrektur, Anmerkungen wohl. Kommt nur nicht raus, muss bleiben drin in ihrer Hütte. Der Schwarze Mann vertreibt sie sonst. Ach, was sag ich! Auslöschen würde er sie, wenn sie nicht bliebe im Licht.«

      Franz hatte keine Ahnung, wer sie sein sollte. Er zermarterte sich den Kopf, entschied dann aber, dass es ihm nichts brachte. Wenn er sie sah, würde er sie fragen. Und wer oder was war eigentlich der Schwarze Mann?

      So liefen sie weiter und weiter. Franz nach wie vor rückwärts, Iocus schwebte vor ihm, hinter ihm oder neben seinem Kopf. Gelegentlich setzte er sich auf seine Schulter, wenn er müde schien vom Fliegen. Manchmal aber hockte er auch auf Franz’ Kopf. Immer so, wie es ihm gerade beliebte. Es wurde immer dunkler und Franz fragte sich, wie lange sie schon gingen. Doch sein Zeitgefühl hatte ihn vor einigen Stunden schon verlassen. Der Argwohn achtete nun genau darauf, Franz immer rechtzeitig zu warnen, damit er nicht noch einmal fiel. Auch wenn man dem Argwohn anmerkte, dass es in ihm brannte, Franz noch ein weiteres Mal zum Stolpern zu bringen.

      Dann endlich quiekte das Wesen von seinem Kopf: »Wir sind da. Miss Almadeamor, Miss Alma, wir sind da!«

      Über seine Schulter sah Franz eine kleine Hütte. Sie hatte die Form eines Dreiecks, war zwei Mann hoch. Die Dachseiten reichten bis in die Erde und waren mit Moos, Gras und einem kurzen, dünnen Bäumchen bewachsen. Eine kleine, bucklige Esse befand sich im hinteren Bereich des Daches. Vor der Hütte sah Franz eine Veranda, deren Geländer an einigen Stellen gebrochen war. In der ihm zugewandten Dachseite gab es ein Fenster. So klein, dass Franz nicht einmal seinen Kopf hindurchstecken könnte. Ein schwaches, warmes Licht strahlte aus dem Inneren.

      Franz wurde von einem Moment zum anderen bitterkalt. Er zitterte und schwitzte gleichzeitig. Seine Bewegungen wurden immer langsamer, er schien Stück für Stück einzufrieren. Dann hörte er etwas, das alles in ihm zusammenfahren ließ. Ein Tuscheln. Ein Raunen. Zähne klapperten und Sabber hörte er triefen.

      »Rrrrmph … Rrrrmmmph …«, machten tausende Stimmen in unterschiedlichen Höhen und Stimmlagen.

      Andere raunten und zogen immer wieder geräuschvoll die Nase hoch. Gequälte Schreie mischte sich dazwischen.

      »Schnell!«, schrie der Argwohn Franz an und zog an ihm. »Die Schwärze hat sich gleich geschlossen. Schnell, nun komm!«

      Franz stürzte die Veranda hinauf, kam ins Fallen und rollte rückwärts über