Flackernde Fackeln beleuchten eine Szene in einem karg eingerichteten Raum dieses trutzigen Gebäudes. Die vier Wände aus Sandsteinquadern besitzen keinen Schmuck. In den Raum führt nur eine schmale, dunkle Tür. Fenster sind nicht vorhanden. Einen Kamin mit Feuerstelle gibt es nicht. Zu beiden Seiten der Tür und an allen vier Wänden verteilt, brennen blakend Fackeln in ihren Halterungen.
Fünf Personen in dunklen Umhängen sitzen in der Mitte des Raumes in einem Kreis beisammen. Sie beraten bereits seit Stunden.
»Wir haben uns lange genug von den »Oberen Drei« bevormunden lassen. Wir werden »Berater« genannt, doch hören sie auf unsere Ratschläge? Nein! In Abstimmungen sind die »Sieben Auserwählten« stets auf ihrer Seite, so dass unsere Meinung mit Leichtigkeit überstimmt wird. Für sie sind alle Menschen und Zauberer gleich wichtig, obwohl sie mit unterschiedlichen Eigenschaften ausgestattet sind. Nach ihrer Auffassung hat jeder, ob Mensch oder Zauberer, gleiche Rechte. Entsprechend der Position in der Gesellschaft sind lediglich die Pflichten unterschiedlich verteilt, ihre Handlungen sollen dabei immer dem Wohl aller dienen.
Wir sehen das aber differenzierter.
Die Talente von Menschen reichen keinesfalls an unsere Fähigkeiten heran. Was also offensichtlich bedeutet, dass sie uns dienen sollen. Gleiches gilt für weniger befähigte Zauberer, da diese nicht unsere Meisterschaft erreichen. Eine Verwirklichung ihrer Anschauungen und Wünsche sollte nicht gestattet werden, es sei denn, sie fördern damit unsere Ziele!« Der Redner blickt sich im Kreis um.
»Richtig gesprochen«, antwortet einer der anderen. »Wir müssen uns diese niederen Wesen unterwerfen! Sie haben keine Daseinsberechtigung, außer unserem Nutzen zu dienen!«
Ein dritter entgegnet: »Wir werden es den anderen beweisen, nur unsere Auffassung kann zu wirklicher Größe führen. Jeder der nicht für uns ist, ist ein Gegner und muss beseitigt werden!«
»Wie an dieser stattlichen Burg zu sehen ist, können Menschen und niedere Zauberer Großes schaffen, wenn sie entsprechend angeleitet werden. Es ist doch eine herausragende Leistung von ihnen, dass sie dieses Bauwerk innerhalb eines Jahres erschaffen konnten. Andere hätten bei der propagierten Selbstbestimmung mehrere Jahre benötigt, unsere Arbeiter waren Dank entsprechender »Anleitung« besser und schneller.« Hier grinst der vierte der Anwesenden, während er bei seiner Rede an die vielen Folterungen und Todesfälle denkt.
»Jedes Mittel ist erlaubt, der Zweck heiligt sie. Ärgerlich war nur, dass wir oft neue Arbeiter benötigten, die an unser System angepasst werden mussten. Aber es gab dafür genügend Nachschub in unserem Land. Armut und Hunger trieben uns die Bevölkerung zu. Reich wurden sie nicht, dafür gab es viel Arbeit und ausreichend Nahrung.« Der fünfte Sprecher ist sich sicher, dass er mit diesem Essen keineswegs zufrieden gewesen wäre. Es gab oft nur Haferbrei, der nicht appetitlich aussah. Aber die Arbeiter aßen ihn.
»Da wir die drei Oberen und die sieben Auserwählten nicht überzeugen können, müssen wir sie töten! Dann sind wir die mächtigsten der Zauberer, so dass sich uns kein anderer Magier zu widersetzen wagt. Die Oberen und die Auserwählten unterstützen sich gegenseitig, also wären sie uns in einer direkten Auseinandersetzung überlegen. Was ratet ihr, was wir unternehmen sollten?«, fragt der erste der Zauberer.
»Wir müssen sie einzeln vernichten. Wir töten nach und nach alle uns bekannten Zauberer, die nicht eindeutig auf unserer Seite sind. Wenn bei diesen Aktionen Menschen sterben, ist das nicht weiter schlimm«, kommt es sofort vom zweiten der Männer.
Der Dritte schlägt vor: »Einige der Zauberer könnten wir vorher foltern. Vielleicht erfahren wir dadurch, wo sich die Auserwählten oder die drei Oberen befinden. Dann würden wir imstande sein, sie dort zu töten.«
»Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Oberen oder die Auserwählten bedrängten Zauberern zu Hilfe eilen. Darum müssen wir stets gemeinsam agieren, um sie überwältigen zu können. Es könnte sogar sein, dass wir auf mehrere von ihnen treffen«, wendet der Vierte vorsichtig ein.
»Damit hast du Recht! Auch wenn diese Art des Vorgehens wesentlich mehr Zeit beansprucht, werden wir dadurch letztlich erfolgreich sein!«
Alle stimmen nickend zu.
»Wir treffen uns jeden Tag hier, um unsere Informationen auszutauschen. Wir bestimmen daraufhin den nächsten Ort, an dem wir dann gemeinsam zuschlagen. Jetzt auf zum ersten Ziel im Osten.«
Die Zauberer fassen sich an den Händen und sind verschwunden.
Sommerferien
Das Internat Coimhead liegt etwa in der Mitte des Landes, nahe einer großen Stadt. Es ist ein ehemaliges Schloss und bildet ein Ensemble aus Gebäuden im klassizistischen Stil. Das Haupthaus hat drei Etagen mit vielen Fenstern. An den Seiten sind nach vorne ausgerichtete, ehemalige Kavaliershäuser mit zwei Etagen angeordnet.
Das Kellergewölbe des Haupthauses hat außer der Innentreppe einen weiteren Zugang von der Parkseite und wird als Vorratslager und Abstellraum genutzt. Das Archiv mit alten Dokumenten und Unterlagen ist vor einigen Jahren von hier unter das Dach verlegt worden. Die Feuchtigkeit im Keller begann die Dokumente zu schädigen. Im Erdgeschoss befinden sich ein großer Sportraum, einige Unterrichtsräume und der Wohnbereich der Schulleiterin Professor Rose Hlin.
Das Hausmeisterehepaar verlässt gerade seine Wohnung, die sich neben der von Professors Hlin befindet. Sie trennen sich. Die Frau geht hinüber in den angrenzenden, großen Speisesaal, in dem die langen Tischreihen bereits für das Abendessen gedeckt werden. Viele Helfer sind hier tätig. Jetzt betritt sie die Küche, um nach letzten Wünschen der Köchin zu fragen.
Der Hausmeister steigt über eine breite Innentreppe in die erste Etage hinauf. Er betritt eine große, umfangreich ausgestattete Bibliothek mit kleinem Lesebereich. Sie liegt direkt über dem Wohnbereich der Schulleiterin. Er stellt seinen Werkzeugkasten ab und untersucht die Fenster des großen Raumes. Eines davon lässt sich nicht richtig verriegeln, hatte ein Schüler berichtet. Nachdem die Reparatur erledigt ist, wirft er einen Blick in den nächsten Raum auf dieser Etage. Er wird nur selten für die medizinische Versorgung genutzt. Hier ist alles in Ordnung.
Anschließend betritt er den großen Versammlungssaal. Dieser wird für Veranstaltungen und Feiern, aber auch für Proben und Aufführungen des Schulorchesters und der Theatergruppe genutzt. Jetzt ist er prachtvoll geschmückt, da morgen die Schüler des letzten Jahrgangs hier ihre Abschlusszeugnisse erhalten sollen. Die meisten ihrer Eltern werden ebenfalls teilnehmen, so dass die vielen Stühle sehr eng angeordnet werden mussten. Aber hier gibt es für den Hausmeister nichts zu tun. Heute Morgen hatte er die letzten Girlanden angebracht.
Auf dieser Etage gibt es außerdem noch ein großes Lehrerzimmer sowie mehrere Klassenräume, in denen er in den nächsten Tagen kleinere Reparaturen ausführen wird. Diese eilen aber nicht, dafür hat er noch genügend Zeit in den kommenden Wochen der Ferien.
In der obersten Etage liegen mehrere Schlafräume für jeweils acht Schüler oder Schülerinnen der unteren fünf Jahrgänge, sowie Einzelzimmer für einige der Lehrer und Lehrerinnen. Der rechte Flügel ist für die männlichen, und der linke für die weiblichen Bewohner. Von dort hört er den Lärm vieler Kinderstimmen, während er wieder ins Erdgeschoss hinunter geht. Er lächelt verstehend. Die Schüler freuen sich auf die Ferien und packen ihre Sachen für die morgige Heimreise.
Die beiden ehemaligen Kavaliershäuser werden für die oberen drei Jahrgänge genutzt. Hier befinden sich auf zwei Etagen verteilt Zimmer für jeweils zwei oder drei Schüler bzw. Schülerinnen, sowie drei Einzelzimmer für Lehrer. Die Zuordnung der Kavaliershäuser ist wie die Aufteilung der obersten Etage im Haupthaus festgelegt: das rechte Haus ist für die männlichen, und das linke für die weiblichen Bewohner. Auch hier hat der Hausmeister demnächst Einiges zu tun.
Alle Gebäude sind aus rotem Backstein errichtet. Sie haben Fenster- und Türeinfassungen aus grau gelbem Sandstein. Dunkler