Sandy - Entwurzelt zwischen den Kontinenten. Bridget Sabeth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bridget Sabeth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752901344
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hatte Manfred die Arbeit an den Forschungen eingestellt. Aus dem angrenzenden Bad erklang indes sein ausgelassenes Pfeifen. Wie schafft er es, so mühelos die Begegnung mit dem Bruder zur Seite zu schieben?

      »Autsch!«, fluchte Mary, als heißes Nudelwasser emporspritzte. Rasch drehte sie die Temperatur vom Herd herunter, sah auf die Uhr. Zwei Minuten, dann müssten die Spaghetti al dente sein.

      Ihre Gedanken wirbelten weiter durcheinander. Mary kannte solche Kerle, wie Kurt, zur Genüge aus ihrer Zeit in England, an die sie sich ungern erinnerte. Sie war ohne Eltern aufgewachsen, von einem Heim ins nächste gereicht worden. Als Teenager hatte sie bemerkt, dass sie ihren Körper gewinnbringend einsetzen konnte. Zumindest schien ihr diese Option besser, als mit Drogen zu dealen oder kriminell zu werden.

      Anfangs hatte sie geglaubt, es wäre leicht verdientes Geld, in einem Etablissement anzuschaffen. Ich hab mich so geirrt!, haderte sie mit ihrem alten Leben. Ich verkaufte meinen Körper und die Seele, bin schwanger geworden, habe einen Sohn geboren. Eine Abtreibung wäre die einfachere Variante gewesen. Aber das wollte ich zu keinem Zeitpunkt! Um den Kleinen und mich selbst zu ernähren, bin ich weiter dem Gewerbe nachgegangen. Kolleginnen, die frei hatten, kümmerten sich unterdessen um mein Baby. So hab ich Manfred getroffen ...

      Mary erinnerte sich an seine traurigen grauen Augen, in die sie sich gleich verguckt hatte. Zusammengesunken war er im Etablissement gesessen, als hätte er sich verlaufen. Nie ist es ihm um Lust, Sex oder Gier gegangen, sondern um Nähe. Jedes Wort seinerseits öffnete mein Herz ein Stückchen mehr. Als er mich fragte, ob ich mit ihm nach Österreich käme, wollte ich es nicht recht glauben. Nicht einmal, als er meinen kleinen einjährigen Bengel gesehen hat, machte er einen Rückzieher. Er schloss Mario in sein Herz, als wäre es sein eigenes Kind.

      »Ist das Mittagessen fertig?«

      Mary zuckte erschrocken zusammen. Manfred kam zur Tür herein, geduscht und umgezogen.

      »Mist! Die Nudeln!« Sie schüttete die Spaghetti ins vorbereitete Sieb, ließ kaltes Wasser darüber laufen. »Bestimmt sind sie zu weich!«

      Manfred trat heran, kostete. »Sie schmecken hervorragend.«

      »Schwindler.« Mary seufzte. Mit zittriger Hand vermengte sie die Pasta mit der roten Fleischsoße. Da nahm Manfred ihr den Kochlöffel ab, zog sie in seine Arme.

      »Du musst ihm die Formel geben, vielleicht lässt er uns dann in Ruhe«, brach es aus ihr hervor.

      »Ich soll mich allen Ernstes von ihm kaufen lassen?!«

      »Du unterschätzt ihn.«

      Er schob sie eine Armlänge zurück. »Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst. Aber Kurt wird weder eine Chance erhalten, sich erneut an dir zu vergehen, noch werde ich es zulassen, dass er uns anderweitige Schwierigkeiten macht.«

      »Wie willst du das verhindern? Hast du deine Bedenken mit der heißen Dusche abgewaschen?«

      »Die Polizei ist informiert. Es war gut, dass du dich seinerzeit durchgerungen hast, ihn anzuzeigen. Sie haben versprochen, sich gleich der Sache anzunehmen«, sprach er ernst.

      »Die Polizei!«, stieß Mary verächtlich aus. »Sie hat ihn damals nicht gefasst, und wird es nun genauso wenig tun. Und wo ist sie, deine Polizei?« Mary trat ans Fenster, blickte hinaus. »Nirgends zu sehen!«

      In Manfred drängte ein alter Groll nach oben. »Mir ist der Gedanke zutiefst zuwider, er könnte mit meinen Forschungsergebnissen seinen dunklen Machenschaften nachgehen. Verstehst du das nicht?«

      »Kurt hat dir eine Million Euro geboten! Er geht niemals ohne die Formel!«

      »Vielleicht war es bloß ein Bluff seinerseits, um mich zu ärgern. Wenn er schlau ist, befindet er sich längst auf den Rückweg nach Nordamerika.«

      »Du bist naiv. Deine Lüge, dass du alle Aufzeichnungen zerstört hast, glaubt er dir niemals! Und was ist mit deinem Kollegen – mit Markus? Du hattest von vornherein ein ungutes Gefühl, dass sein Tod ein gewaltsamer war! Oder hältst du es nun doch für möglich, dass er sich selber den goldenen Schuss gesetzt hat?«

      »Er war niemals drogenabhängig, trank weder Alkohol noch rauchte er!«

      »Siehst du! Und genau deshalb hast du alle Daten vom Rechner gelöscht und die Aufzeichnungen versteckt.«

      Manfred ächzte. »Ja, und das ist ein weiterer Grund dafür, weshalb Kurt um keinen Preis die Formel von mir erhalten wird. Höchstens über meine Leiche.«

      Mary taumelte entsetzt. Sie stützte sich auf der Arbeitsplatte in der Küche ab.

      »Tut mir leid, das war ein blöder Spruch.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein, sei ehrlich zu dir selbst. Wenn du nicht zwischendurch essen, schlafen oder dich kultivieren müsstest, würdest du vierundzwanzig Stunden am Stück im Institut verbringen. Ich verstehe dich, denn niemand hätte erwartet, dass du als Kind die Hodenkrebserkrankung überleben könntest. In deinem Körper befanden sich zahllose Metastasen. Deswegen hast du dich der Forschung verschrieben. Wir – als Familie – kommen erst viel später. Jeder Tag ist für dich wie ein Gewinn, ohne Angst, es könnte irgendwann vorbei sein. Du wirkst im Gegenzug aufs Neue erstaunt, dass es dich nach wie vor gibt.«

      Manfred betrachtete Mary. Trotz der harten Worte schaute sie nicht anklagend, sondern eher besorgt aus. Er wusste, dass sie das Liebste beschützen wollte, was sie besaß: die Kinder und ihn.

      Er liebte Mary, weil sie ihn verstand, wie kein Mensch jemals zuvor. Sie hatte längst durchschaut, dass er ein Workaholic war, ein Besessener in seinem Tun. Mary unterstützte ihn, wie bei der Erziehung der Kinder, dem Haushalt, den Einkäufen, irgendwelchen Behördengängen … Tausend Dinge, die wie Kleinigkeiten wirkten, aber ohne sie, wäre er in seinen Forschungen nicht dort angelangt, wo er sich gegenwärtig befand.

       Ich war vor Jahren so knapp davor, aufzugeben. Mit der Forschung ging es nicht voran, fühlte mich ohne Liebe einsam. Damals, in England, da hatte ich eine tiefe depressive Phase. Ich wollte für ewig verschollen bleiben, der Heimat den Rücken kehren, habe ernsthaft über Suizid nachgedacht. – Mary hat mich aufgeweckt, mir meinen Kampfgeist zurückgegeben. Durch sie hab ich erkannt, dass es an mir liegt, wie ich das Leben gestalte. Mit ihrem Rückhalt sowie der Fürsorge wirkte auf einmal alles so leicht. Ich habe mein Glück gefunden und gelernt, Dankbarkeit zu empfinden!

      »Wenn du es hier für zu gefährlich hältst, solltest du mit Sandy ein paar Tage weggehen«, warf Manfred ein. »Entspannt euch in einer Therme, bis wir sicher sind, dass Kurt fort ist, oder die Polizei ihn gefasst hat. Mario befindet sich ohnehin in Graz. Doch ich lasse mich nicht vertreiben, ich bin nicht mehr der kleine Junge, den Kurt einst einschüchtern konnte.«

      »Bildest du dir etwa ein, dass er als dein älterer Bruder auf dich Rücksicht nehmen würde?«

      Von draußen erklang das Schließen der Haustür. Manfred öffnete den Mund, um seiner Frau zu antworten, aber Mary wehrte ab. »Psst. Wir reden später weiter. Sandy ist da.« Entschieden drückte sie ihn Richtung Esszimmertisch.

      »Mhm, Spaghetti!«, rief Sandy voller Begeisterung, als sie schnuppernd ins Esszimmer lief. Sie ließ ihre Schultasche achtlos in eine Ecke plumpsen. »Mein Lieblingsessen! Hey Paps, wie schön, du bist da! Noch dazu unter der Woche.«

      »Nimm Platz.« Mary rang sich zu einem Lächeln durch, auch wenn in ihr das vorherige Gespräch nachhallte.

      »Ist grad nicht viel los im Institut«, entgegnete Manfred, legte die Zeitung zur Seite, in der er keine Zeile gelesen hatte. »Wir haben nur mehr auf dich gewartet.«

      »Nun bin ich ja da.« Hungrig ließ Sandy sich auf dem Stuhl nieder.

      Mary stellte den Topf mit Nudeln in der Mitte des Tisches auf einer Korkplatte ab, aus dem sie sich bedienten.

      Die gemeinsamen Mahlzeiten gehörten für Sandra zu den Höhepunkten der Woche. Ihr Vater musste oft lange im Institut arbeiten, um seiner Forschertätigkeit nachzugehen, deswegen sah sie ihn meist selten. Am Tisch fehlte