Stattdessen: abriegeln, einsperren, Armee.
Es fragt sich allerdings, ob man mit staatlicher Unterdrückung ein Virus besiegen kann – wie es die Vorstellung nahelegt und wie es auch die hiesige Wissenschaft bekräftigt: „Chinas Vorteil in der Pandemie-Bekämpfung: Sie können die Menschen einfach zwingen.“ (Nils Grünberg, Mercator Institut18). Zwingen – wozu?
Versuchen wir hier eine vorläufige Richtigstellung.
Im November 2019 wurden in der Stadt Wuhan Lungenentzündungen einer bis dahin unbekannten Art registriert. Die Stadtverwaltung, gerade mit der Ausrichtung eines Parteijubiläums o. ä. befasst, reagierte mit einer Mischung von Ignorieren und Bagatellisieren auf die ersten Meldungen ihrer Mediziner. Einem Augenarzt, Li Wenliang, der seine Warnungen öffentlich machte, wurde Panikmache vorgeworfen und mit schweren Konsequenzen gedroht, falls er keine Ruhe gebe.
So weit, so üblich und so mies.19 Nachdem die staatliche Führung die Bedeutung der Erkrankungen begriffen hatte, reagierte sie allerdings zügig.
Am 31.12.2019 informierte die chinesische Regierung die Weltgesundheitsorganisation WHO, als 41 „atypische Erkrankungen“, aber noch kein Todesfall vorlagen. Taiwan hat darauf alle Flüge nach Festland-China ausgesetzt und mit weiteren Maßnahmen reagiert. Schon am 7.1.2020 übermittelten die chinesischen Wissenschaftler das entschlüsselte Genom des neuen Virus an die WHO.
In Wuhan und der gesamten Provinz Hubei (58,5 Millionen Einwohner) wurde der Gesundheits-Notstand ausgerufen. Die Grenzen der Provinz wurden geschlossen, um eine weitere Ausbreitung ins Rest-Land zu verhindern; Ausgangssperren erlassen, die Versorgung der Stadt (11 Millionen) wurde staatlich organisiert.
„Der Staat organisiert die Versorgung der Bevölkerung. Jene, die draußen arbeiten müssen, um die Versorgung der Bevölkerung mit Medizin und Nahrungsmitteln zu gewährleisten, tragen eine komplette Schutzausrüstung: Maske, Brille, Handschuhe, Ganzkörperanzug. Alle Straßenzüge wurden großflächig desinfiziert. Ein 24-Stunden-Dienst aus lokalen Kadern der kommunistischen Partei und Hausverwaltungsbeamten überwacht die Einhaltung der Regeln.“1 „Vom 17. Februar 2020 an galten für die gesamte Provinz Hubei weitere verschärfte Maßnahmen, die der Eindämmung der Epidemie dienen sollten. Insgesamt verhängte die Provinzregierung durch Erlass 15 Beschränkungen. Alle nicht wesentlichen öffentlichen Orte werden geschlossen, Massenveranstaltungen untersagt. Apotheken und Supermärkte bleiben geöffnet, müssen aber bei jedem Eingelassenen die Körpertemperatur bestimmen. Zusätzlich müssen von jedem Käufer von Husten- oder Fiebermitteln alle Personaldaten erfasst werden. In der gesamten Provinz werden die Zufahrten zu allen Dörfern und Gemeinden gesperrt, um Ausreisen zu kontrollieren und Externen den Zugang zu verwehren. Der Betrieb aller Fahrzeuge ist untersagt mit Ausnahme von Transport-, Feuerwehr-, Rettungs- und Polizeifahrzeugen. Zeitgleich lief eine dreitägige Tür-zu-Tür-Erfassungsaktion in allen Gemeinden an, mit dem Ziel, ausnahmslos alle bisher unerkannten Fälle zu identifizieren und aufzunehmen. (…) Eine wissenschaftliche Studie prüfte im April 2020 die Effektivität der Eindämmungsmaßnahmen und glich auch die aus China gemeldeten Daten mit dem in der Studie verwendeten mathematischen Modell ab. Die Autoren schrieben, die chinesischen Fallzahlen würden plausibel den Verlauf des Ausbruchs wiedergeben und seien in sich kohärent. Die Modellrechnung ergab, dass ab dem 7. Februar die Zahl der durch das System nicht erfassten Neuinfektionen einen Höhepunkt erreicht habe und somit die Ausbreitung entscheidend gebremst wurde. Die Forscher nannten die Maßnahmen effektiv und ursächlich für die Entwicklung der Fallzahlen; man könne allerdings keine Aussage über die Effektivität von Einzelmaßnahmen treffen, weil die Maßnahmen ‚paketweise‘ implementiert wurden.“2
„Auf Bannern, die in der Öffentlichkeit aufgehängt wurden, wurden die Menschen aufgefordert, Masken zu tragen, ihre Wohnung verstärkt zu lüften und regelmäßig die Hände zu waschen und diese möglichst auch zu desinfizieren. Dazu der Appell: Hört auf die Wissenschaft und nicht auf irgendwelche Gerüchte. Und man konnte sehen, dass die Leute das ernst nahmen. Wir (in Beijing, Zusatz d. Verf.) hatten keinen Lockdown wie in Wuhan, trotzdem ging kaum noch einer auf die Straße. Anders als zurzeit in Deutschland war es in Beijing nicht verpflichtend, im Supermarkt eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Es haben aber trotzdem fast alle gemacht. Selbst auf der Straße trugen bald 85 bis 90 Prozent der Menschen eine Maske. Weil den Leuten einfach klar war, dass das vernünftig ist.
Es war dann auch sehr schnell so, dass alle, die irgendwo einen Eingang zu bewachen hatten, also zum Beispiel Rezeptionisten in Büro- oder Hochhäusern oder die Kontrolleure an den Zugängen zur U-Bahn, schnell mit elektronischen Fieberthermometern ausgestattet wurden. Diese haben dann bei jedem die Temperatur am Handgelenk gemessen. Das gleiche in Parks, die alle ein Tor haben und von Parkwächtern betreut werden. Und wer nur etwas erhöhte Temperatur hatte, wurde aufgefordert, sich testen zu lassen.
Sofort wurden auch die Nachbarschaftskomitees mobilisiert. Das sind die Graswurzelorganisationen der Kommunistischen Partei. Deren Mitglieder gingen von Wohnung zu Wohnung, fragten, ob alle gesund seien und verteilten Handzettel mit Informationen. Gleichzeitig haben sie halb Beijing durchdesinfiziert, die öffentlichen Toiletten in der Altstadt, die Nahverkehrsmittel usw.3
„Entgegen der Meinung der WHO haben die Chinesen Wuhan im Januar mit einem ‚travel ban‘ und einer Ausgangssperre lahmgelegt. Ich erspare es mir, auf die anderen Maßnahmen einzugehen, welche in China getroffen worden sind. Nach Meinung internationaler Forschungsteams hat China mit diesen früh und radikal einsetzenden Maßnahmen Hundertausenden von Patienten das Leben gerettet.“ 4
„Washington – Die Ausgangssperre in der chinesischen Stadt Wuhan hat einer Studie zufolge womöglich 700.000 Ansteckungen verhindert und die Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus signifikant verzögert.
Die drastischen Maßnahmen in Wuhan, das als Epizentrum der Pandemie gilt, innerhalb der ersten 50 Tage hätten anderen Städten im Land wertvolle Zeit zur Vorbereitung eigener Beschränkungen verschafft“, schreiben Forscher aus China, den USA und Großbritannien in einem gestern in der Fachzeitschrift Science (2020; doi; 10.1126/eabb6105) veröffentlichten Beitrag.
„Unsere Analyse legt nahe, dass es ohne das Reiseverbot in Wuhan und die nationale Notfallreaktion bis zu diesem Zeitpunkt mehr als 700.000 bestätigte COVID-19-Fälle außerhalb von Wuhan gegeben hätte“, erklärte Christopher Dye, Wissenschaftler der Universität von Oxford. „Chinas Kontrollmaßnahmen scheinen gewirkt zu haben, indem sie die Übertragungskette erfolgreich durchbrochen haben.“5
Für die nötige Gesundheitsversorgung in Wuhan wurden im Eiltempo zwei neue Krankenhäuser gebaut und weitere 12 Notfallkrankenhäuser eingerichtet. Alle Infizierten wurden in besonderen Aufnahmezentren untergebracht, auch wenn sie keine Behandlung brauchten, da sich herausgestellt hatte, dass die meisten Infektionen (75 %) in häuslicher Umgebung stattfinden. In diesen Zentren konnten sich positiv Getestete (bei nicht schwerem Verlauf) Gesellschaft leisten. Nicht erkrankte Menschen schickten die Behörden in eine streng überwachte häusliche Quarantäne. Für die Behandlung der Erkrankten wurde medizinisches Personal aus dem gesamten Land zusammengezogen (mehr als 40.000 Ärzte und Pfleger)20.
Es wurde auf eine strikte Trennung der Corona-Tests und Behandlung von Infizierten vom restlichen Gesundheitsdienst geachtet (das galt „nach Wuhan“ in ganz China); aufwendige Schutzkleidung für das medizinische Personal, dessen Arbeitszeit auf 6 Stunden (!) beschränkt wurde, um Infektionen durch nachlassende Konzentration zu vermeiden21.
Nach dem chinesischen Neujahrsfest (24.1.2020) wurde ein landesweiter Lockdown verhängt, bei dem Schulen geschlossen und ein nicht unerheblicher Teil der Produktion des Landes stillgelegt wurden, soweit die Arbeiten nicht zur weiteren Versorgung notwendig waren: „Dass China seine Wirtschaft mit einer Leistung von rund 13 Billionen Euro (Deutschland: 3,4 Billionen Euro) nach der massenhaften Verbreitung des Corona-Virus mal eben fast