Die Sturmnacht. Marc Short. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marc Short
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742771551
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Ein verzweifeltes Gurgeln drang aus ihrer Kehle, Luftblasen stiegen dabei auf. Musste sie zu ihm zurück? Um ihn nicht zu erzürnen? Oder konnte, ja sollte sie kämpfen?

      Amphitrite besah ihre Hände mit den langen Nägeln. Soll ich sie zu Speerspitzen erstarren lassen und damit wie eine Furie herumwirbeln?, überlegte sie. Die Meerfrau schüttelte das Haupt im nächsten Moment so stark, dass die Ausläufe ihres Haars einer Peitsche ähnlich umher schwangen.

      Sie hatte keine Wahl. Nicht sie. Und auch kein anderer. Weder gottähnlicher Seefahrer, noch Mensch, noch eine unsterbliche Seele. Nicht gegen die Gewalt der Götter. Und doch war in ihr ein Teil, der das so nicht akzeptieren wollte. Ein leiser, kleiner Kern der Rebellion. Entschlossen erhob sie sich auf ihre Schwanzflosse. Und wenn es mein letztes Aufbäumen wird! Ohne Kampf werde ich nicht zu haben sein, sprach Amphitrite stumm zu sich. Auch Götter müssen sich beweisen. Schade nur, dass die meisten es taten, indem sie andere in den Untergang rissen. Poseidon insbesondere, indem er die Meere aufwühlte und den Ozean in einen brodelnden Kessel verwandelte.

      Nein, wer sie haben wollte, musste sie verzaubern.

      Entschlossen straffte sich ihr Körper. Dann verdrehte sie sich und formte eine in sich bizarre Struktur. Kurze Bewegungen ihres Flossenfußes und ausgleichende, richtungweisende Bewegungen ihrer Arme.

      Verzeih mir Atlas. Und danke für deinen Hort der Stille. Einst werde ich zurückkehren und dir meinen Dank zollen, dachte sie, einen letzten Blick auf die maskuline, stattliche Statue werfend, die auf ihren Schultern eine Kugel trug. Und dann war sie fort – auf und davon.

      2. Der Klabautermann

      Die STURMNACHT schaukelte dahin wie ein einsamer Riese im aufkeimenden Taifun. Der Kurs, den sie verfolgte, war Nicolas unbekannt. Auch, ob sie auf dem richtigen Weg waren. Für Nicolas Brighton zählte gerade etwas ganz anderes: sein weiterer Verlauf des Lebens auf dem Schiff. Denn das Scheppern und daraufhin folgende Brüllen war kein gutes Zeichen. Bei den Göttern des Meeres, was ist hier los?, fragte er sich, die Knie weich wie Pudding, die Arme schwer wie Eisblöcke. Sein eigener Körper zog ihn nach unten und am liebsten würde er im Deck versinken.

      »Nicolas Brighton! Ich sage es ein letztes Mal: Komm endlich hervor und lass diesen Unfug! Sprechen wir von Mann zu Mann. Jetzt. Und klären das endgültig.«

      Nico schluckte. Endgültig klären, hallte es in ihm nach. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Nur weiteres, endgültiges Übel. Und seine Verdammung. Er sah sich bereits den Gewalten des Meeres übergeben, als Spielball der Mächte des Wassers. Er würde ein gefundenes, wehrloses Fressen abgeben. Aber was sollte er, was konnte er dagegen tun? Nur eines: Sich stellen und nicht zulassen, dass er unterging. Schwer atmend und mit taumelnden Schritten machte sich Nicolas Brighton zu seiner Kajüte auf.

      Das ist Schicksal. Und jetzt geht es um mein Schicksal. Mit diesem Gedanken kam Nico an.

      »Du …« – die brummige Stimme unterbrach sich. »Aber du müsstest in der Kabine sein!«, sagte der Koloss von Mann mit gefährlich funkelnden Augen, die Stirn in tiefe Falten gezogen. Sein Missverständnis war ihm deutlich anzusehen. Der alte Mann schien zu überlegen. »Du wagst es, mich auf den Arm zu nehmen!«

      Nicolas schüttelte nur den Kopf.

      »Blueboy, ich will dir mal etwas sagen: Denkst du, du könntest hier so einfach« - Der Kapitän unterbrach sich selbst. Lauschte. Auch Nicolas. Ich habe es geahnt, dachte er. Die weitaus größere Gefahr lauert da unten. Direkt unter uns. Und keiner sieht sie.

      Ein Knacken wie bei morschem Holz war wiederholt zu hören. Der Kapitän schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. »Du kannst hier nicht einfach auf den Putz hauen. Die Kabine abschließen und darin wie ein Berserker wüten! Das ist nicht dein Eigentum.«

      Stille.

      »Ich hoffe, du bereust es schon. Zugegeben, die Flucht durchs Fenster – oder wie auch immer – war geschickt und« - wieder wurde der Kapitän unterbrochen. »Was zum Teufel…« - weiter kam der Mann diesmal nicht, denn sein massiger Körper wurde herumgerissen, ohne dass man sah, woher der Schlag wirklich kam. Aber jeder hier an Board musste ihn fühlen. Nicolas hatte zum Glück längst an einem mächtigen Balken des Schiffes Halt gesucht. »Was zum…« - hörte Nicolas den Kapitän wieder fluchen. Dann knallte es wie bei einem Schuss. Ein Krachen folgte. Schritte, die Schritte der Mannschaft. Nico zog ein Kreuz vor seiner Brust. Im nächsten Moment sah er wie Robby, der Kapitän, endgültig zu Fall ging. Ein Lächeln wollte sich auf sein Gesicht stehlen und gelang dennoch nicht. Die aufkeimende Genugtuung schwang in ein mulmiges Gefühl über und Nico warf einen scheuen Blick hinter sich über die Reling. Nein, er wollte nicht in die brodelnde Tiefe blicken. Wusste aber, dass es von dort kam. Aber was war dann das in seiner Kabine?

      Deutlich sah er vor seinen Augen das Bild, das sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatte: ein Männchen, klein und korpulent, in Matrosenkleidung – aussehend wie ein alter Seebär. Nur in Miniaturausgabe. Geschrumpft auf vielleicht dreißig Zentimeter. Also kaum auszumachen. Und doch hatte er es gesehen. Tausende von Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Und immer wieder dieses eine Bild: das Bild eines alten Seemanns mit blutrotem langem, lockigem Haar. Die Haut alt und von Bartstoppeln übersät. Und vor allem dieses Grinsen mit den grün stechenden Augen, die ihn angesehen hatten als wollen sie ihn verschlingen. Ein Klabautermann, dachte Nico mit Erschrecken. Eine Legende.

      Da erklang die Stimme des Kapitäns erneut. Er musste sich wieder gefasst haben. »Segel setzen! Alle Mann auf ihre Posten. Nehmt gefälligst eure Plätze ein. Wir verlassen diesen Ort und segeln noch jetzt zum Treffpunkt Nord! Der Teufel soll uns holen, sollte das nicht gelingen. Und wehe es wagt einer, sich zu drücken!«

      Die Gewalten der Meere waren unfassbar, ja unberechenbar. Nicolas hatte mehr als nur das begriffen. Doch auf diesem Schiff gab es kein Entrinnen. Ein Schiff, eine Mannschaft. Sie saßen alle im selben Boot. In der STURMNACHT.

      Mauerhoch türmten sich die Wellen jetzt auf und schlugen über Board. Drangen auf den Rumpf und die Mannschaft ein, wirbelten sie umher wie Spielfiguren. Nico kam sich wie ein Zuschauer vor, der sein eigenes Schicksal mit ansehen durfte.

      Poseidon, dachte sie wie sooft die Tage und sah in der klaren Nacht zu den Sternen. Amphitrite hielt sich im oberen Drittel des Wassers auf und träumte von einem freien Wesen, das sie auf ungewöhnliche Weise verzauberte. Doch immer wieder blitzte der Name ihres jetzigen Herrschers auf. Plötzlich wurde die Meerfrau von außergewöhnlichen Strömungen eingefangen. Der unbekannte Sog erfasste ihren Unterleib und zog an der Fußflosse. Amphitrite brachte all die Kraft, die in ihr steckte auf, um nicht ins Trudeln zu kommen. Ihre Nägel verhärteten sich und gerade so gelang es ihr noch, sich nicht zu überschlagen. Der Meerfrau dämmerte, wohin der Sog sie führen würde. Es gab nur einen Ausweg: Die obere Region aufsuchen und nahe der Oberfläche bleiben. Dies stellte allerdings auch eine hohe Gefahr für sie dar. Zu leicht konnte sie in ein Fangnetz geraten oder gesehen werden. Und dann gab es nur eine Möglichkeit: Den Beobachter verzaubern und in die Tiefen reißen. Sich in eine Sirene zu verwandeln. Aber das war nicht in ihrem Sinne. Die Meerfrau fühlte sich wie zwischen den Strömungen zerrieben und schoss dabei wie ein Pfeil steil aufwärts. Dabei drehte sie sich um die eigene Achse, erzeugte so einen weißen Wirbel um sich, begleitet von schäumenden Blasen. Die Oberfläche spürte sie bald, wogte immer stärker. Die Stürme des Poseidons werden entfacht! Bei den Meeren, lass nur keine Schiffe hier sein. Sie wären dem Untergang geweiht.

      Das unangenehme Ziehen in der Brust wurde stärker, wenn sie daran dachte, weswegen die Stürme aufzogen. Nur wegen ihr; weil die Meerfrau nicht wollte, wie sie sollte – nach Meinung des Göttlichen.

      Das Meer war zum Kessel geworden. Meterhohe Wellen brachen sich an der Grenze zwischen Wasser und Luft. Und sie hatten ein Opfer gefunden: ein weiteres Schiff für die Sammlung. Genug um zu spielen und sie zu quälen.

      Amphitrite durchstieß die Oberfläche. Freiheit, sprach es in ihr, als sie die kühle Luft auf ihrer Haut fühlte. Doch dann sah sie in den Gewalten dieses Elements, das taumelnde Schiff, das kämpfte