“Hättest du den Kerl nicht Paolo zuweisen können?”, erkundigte sich Montebello.
“Du kennst das Prozedere ja, Mauro. Das wurde an höherer Stelle beschlossen. Es tut mir wirklich leid. Ich werde ihn übrigens gleich mal an den Tatort schicken, dann kannst du ihn kennenlernen. Er heißt Toni Talberger!”
“Komischer Name für einen Italiener”, fand Montebello.
“Ich sagte doch, er stammt aus Südtirol.”
“Nein. Du sagtest nur, dass er von der Polizeischule in Bozen käme, Capitano, nicht aber, dass er gebürtiger Südtiroler sei.”
“Na, wie auch immer, jedenfalls ist er Südtiroler. Und dort oben in den Bergen haben sie doch alle so komische österreichische Namen. Ich wünsche Dir jedenfalls viel Spaß mit ihm und freue mich auf Deinen ersten Bericht.”
“Geht in Ordnung. Schick mir die Bergziege an den Tatort. Ciao.”
Di Grassi legte lachend auf und Commissario Montebello rief den Kellner zu sich, um die Rechnung zu begleichen. Dann stieg er in sein Motorboot, das direkt neben der Pizzeria im Canale Grande vor Anker lag.
Ein tödlicher Imbiss
An der Anlegestelle unter der Rialto Brücke herrschte ein reges Treiben. Einige Leute von der Spurensicherung waren anwesend, drei Carabinieri und ein kleiner Pulk von Schaulustigen, die sich neugierig um eine Gondel drängten. Die Sonne stand inzwischen tief und warf lange Schatten.
Ein Mordfall im glühenden Abendrot! Melodramatischer konnte es wirklich nicht sein, fand Commissario Montebello und dachte an Di Grassis blumige Beschreibung von vorhin.
Dann sprang er an Land. Seine erste Amtshandlung bestand darin, die Schaulustigen zurückzuweisen. Dabei fragte er sich, warum die Carabinieri diesen Job eigentlich nicht übernehmen konnten. Doch die Antwort war wie immer dieselbe: Es hing damit zusammen, dass die Leute vor einem echten Kommissar einfach mehr Respekt zeigten als vor gewöhnlichen Streifenpolizisten.
“Alora, Signore e Signori, bitte weichen Sie zurück, andiamo!” Mit hoch gehaltenem Dienstausweis schob Montebello die etwa zwanzigköpfige Meute vor sich her, bis er deren Abstand zum Tatort als ausreichend befand. Dann trat er zurück und wandte sich an einen der Carabinieri:
“Ciao, Giacomo. Was haben wir?”
“Oh, Commissario Montebello, buona sera.”
Ein schlaksiger Beamter mit großen Augen und spitzem Kinn lächelte ihn freundlich an und deutete auf eine der Gondeln.
“Das ist Signore Enzo di Natale, der dort auf der Sitzbank liegt. Er wurde vor dreißig Minuten tot hier aufgefunden.”
“DER Signore di Natale?”
“Si, Signore Commissario. Der weltbekannte Nudelkönig di Natale! Sie kennen den Slogan ja: Von Osten bis nach Westen, Natale Nudeln sind die besten.”
“Ach, du meine Güte. Das wird die Presse freuen”, stöhnte Montebello, der bereits ahnte, für welchen Aufruhr dieser Fall sorgen würde.
“Oder erinnern Sie sich an den? Natale macht die beste Pasta – und damit basta!”, lachte Giacomo.
“Ist ja gut, Giacomo. Dein Erinnerungsvermögen in allen Ehren. Aber wir sind nicht hier, um Werbeslogans zu erinnern. Wer hat ihn denn gefunden?”
“Ähm, das war der Gondoliere. Franco Bianco.” Giacomo deutete auf einen Mann, der bei der Gruppe der Schaulustigen stand. Er trug ein typisches, schwarz-weiß gestreiftes Hemd, das ihn als Gondoliere auswies. Montebello musterte ihn kurz. Er schien recht groß zu sein und hatte eine athletische Statur. Darüber hinaus sah er auffallend gut aus, wie der Commissario fand – mit einem Kinn wie aus Stahl gegossen und azurblauen Augen. Man konnte ihn gut und gern mit einem Helden aus einem jener Monumentalfilme verwechseln, wie man sie früher in Hollywood drehte. Und sieht er nicht Franco Nero ein wenig ähnlich?, fragte sich Montebello, einem unserer bekanntesten Schauspieler hier in Italien? Oder liegt das lediglich an der Ähnlichkeit der Namen? Franco Nero – Franco Bianco?
Der Commissario verwarf diesen weniger wichtigen Gedanken vorläufig und wandte sich wieder Giacomo zu.
“Hast du sonst noch etwas für mich?”
“Eigentlich nicht. Alles Weitere wird Ihnen Luigi von der Spurensicherung mitteilen können.”
“Danke. Richte dem Gondoliere bitte aus, dass ich ein paar Fragen an ihn hätte. Ich möchte mir aber zuvor die Gondel ansehen.”
“Wird gemacht, Signore Commissario.”
Giacomo entfernte sich vom Tatort und Montebello stieg in die Gondel. Doch kaum hatte er sie betreten, geriet sie stark ins Wanken und drohte beinahe zu kentern. Der Grund dafür war, dass eine zweite Person hinter ihm mit an Bord gesprungen war. Sie trug einen transparenten Overall, der an ein Ganzkörperkondom erinnerte.
“Sachte, sachte, mein Freund”, ärgerte sich der Commissario, “oder willst du uns beide umbringen? Reicht dir der eine Tote etwa nicht?”
“Tut mir leid, Commissario Montebello. Das war ungeschickt von mir. Darf ich mich vorstellen. Ich bin Luigi Lantani von der Spurensicherung”, entschuldigte sich der Kollege. Er war ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, und dies war sein erster Fall, in dem er die Hauptverantwortung trug, wie er Montebello im nächsten Satz eröffnete.
“Okay, und was hast du nun für mich?”, fragte der Commissario.
“Also zunächst einmal können wir mit Sicherheit sagen, dass der Nudelkönig vergiftet worden ist. Offenbar war Signore di Natale zu einem romantischen Abendessen in die Gondel eingeladen worden. Sehen Sie die zwei Teller, die Flasche Wein und die beiden Gläser?”
“Ja.”
“Nun, auf di Natales Teller befanden sich noch Essensreste. Es gab Pilzomelett, wie man unschwer erkennen kann.”
Montebello dämmerte, worauf der Kollege hinaus wollte.
“Es handelte sich um Giftpilze?”
“Madonna”, staunte der junge Kollege. “Sie kennen sich gut aus, Commissario. Es handelte sich tatsächlich um einen Japanischen Trichterling. Er ist tödlich giftig. Aber woher wussten Sie das denn?”
“Ach, das war nur so eine Vermutung”, lächelte Montebello geschmeichelt, “nennen wir es Intuition.” Für einen kurzen Moment fielen ihm die Pilze ein, die er selbst vor kaum fünfzehn Minuten verzehrt hatte. Gottlob sah dieser Trichterling den Champignons auf seiner Pizza nicht besonders ähnlich.
“Was hast du noch?”
“Auf dem Geschirr und auf den Gläsern befinden sich ausschließlich Fingerabdrücke des Ermordeten, keine weiteren.”
“Hm, mit dieser Tatsache ist wenig anzufangen. Aber dennoch ist sie interessant”, murmelte Montebello, “denn sie sagt uns, dass der Mörder entweder Handschuhe getragen oder aber das Geschirr fein säuberlich abgewischt hat.”
Er blickte kurz zu dem Gondoliere hinüber. Dieser stand noch immer am Kai und machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Handschuhe trug er jedoch keine.
“Haben wir noch etwas?”
“Ein gelbes Halstuch!” Luigi hielt dem Commissario einen Beutel hin, in dem sich ein helles, gelbes Tuch befand, das offensichtlich einer Frau gehörte.
“Aha, der Signore hatte eine weibliche Begleitung, wie es aussieht. Ist das alles?”
“Ja, den Rest werden wir im Labor untersuchen. DNA-Spuren, Mikropartikel und so weiter. Ach ja, ein Smartphone und eine Brieftasche hatte er ebenfalls bei sich. Auch diese beiden Beweisstücke werden wir auswerten. Die Ergebnisse sollten morgen vorliegen.”
“War