„Warum wollten Sie Dr. von Zabern interviewen? Er ist Klimaforscher und hat nicht das Geringste mit fliegenden Untertassen zu tun.“
Kerkhoffs Hand fuhr in seine Jackeninnentasche und zog mit einem einzigen Griff ein Foto heraus.
Andersen nahm es entgegen und sah zwei Männer, die in die Kamera lächelten. Einer der beiden trug weiße Hose und Jackett, in dem anderem, in Bermudashorts und T-Shirt, erkannte der Hauptkommissar Dr. von Zabern, wenn er auch noch wesentlich jünger war. Im Hintergrund befand sich etwas, das wie eine antike Ausgrabungsstätte aussah.
„Das ist Kevin Mansfield, ein britischer Historiker“, erklärte Kerkhoff und deutete auf den Mann neben von Zabern. „Die beiden Männer stehen direkt vor der Tempelanlage von Hagar Qim auf Malta. Sie ist über 5000 Jahre alt. Über die Erbauer weiß man bis heute so gut wie nichts. Machen Sie sich klar, dass das alles schon stand, als die Cheopspyramide noch nicht einmal geplant war. Dr. Mansfield hat aber inzwischen den klaren Beweis erbracht, dass die technischen Möglichkeiten der Jungsteinzeit bei weitem nicht ausreichten, um einen solchen Gebäudekomplex zu errichten.“
„Verstehe“, meinte Andersen. „Jetzt werden Sie mir außerdem erklären, dass man die eigentliche Form des Bauwerks sowieso nur aus der Luft erkennen kann.“
„Es ist ein Lorbeerblatt“, nickte der Journalist, ohne auf die Häme einzugehen. „Oder ein extraterrestrisches Symbol. Tatsache ist, dass sich die Symmetrie nur in einer Ansicht aus großer Höhe erschließt.“
„Und darüber wollten Sie Dr. von Zabern befragen?“
„Dieses Foto brachte mich auf die Idee, dass er sich möglicherweise mit außerirdischer Intelligenz beschäftigt. Deshalb bat ich ihn um ein Interview und er willigte ein.“
„Er erklärte sich bereit“, fragte Andersen ungläubig, „mit Ihnen über diese Dinge zu sprechen?“
„Höchste Zeit, dass alles auf den Tisch kommt. Alles ohne Ausnahme. Das sagte er wörtlich.“
„Einmal angenommen, Sie liegen richtig mit Ihrem Verdacht“, sagte Hauptkommissar Grunwald. „Warum, glauben Sie, will man verheimlichen, dass es so etwas gibt? Ein echtes Ufo, das wäre doch die Sensation.“
Kerkhoff zuckte mit den Schultern. „Aus Furcht, dass es eine Panik auslösen könnte? Oder weil es um das Geschäft des Jahrtausend geht? Ich habe keine Ahnung.“ Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn und vermischte ihn dabei mit dem Blut aus seiner Wunde. „Investigativer Journalismus, meine Herren, gibt sich nicht mit windigen Vermutungen zufrieden. Er will Antworten, deshalb stellt er Fragen.“
„Ich besorge Ihnen ein Pflaster, dann können Sie das verbinden“, sagte Andersen.
9. Kapitel
Alles deutet darauf hin, dass Gott, als er die Welt erschuf - insbesondere die Erde und alles, was auf ihr kreucht und fleucht - einen großen Modellversuch im Sinn hatte. Er hatte herausgefunden, dass nirgendwo im grenzenlosen All eine solche Flora und Fauna gedeihen konnte. Entweder war es eiszeitlich kalt wie auf dem Mars oder kochendheiß wie auf der Venus. Man brauchte eine Durchschnittstemperatur von fünfzehn Grad Celsius, damit überhaupt etwas gedeihen konnte.
Also entschloss er sich, seine geliebten Setzlinge in einem Treibhaus heranzuzüchten.
Dazu versah er die Erde mit einer Art Glasdach aus atmosphärischem Wasserdampf, der sie vor schädlicher Sonnenstrahlung schützte und die Sonnenwärme speicherte.
Die Natur gedieh und brachte den Menschen hervor. Der vermehrte sich rasend schnell und bildete eine hochtechnisierte Zivilisation, die auf Mengen und Abermengen fossiler Brennstoffe angewiesen war. Die Temperaturen im Treibhaus stiegen, das Leben wurde unangenehmer: der Schnee schmolz, das Wasser überflutete die Küsten. Der Modellversuch scheiterte kläglich.
Gott hatte wohl nicht bedacht, dass seine einzigartige Schöpfung so etwas wie den Homo Sapiens hervorbringen würde, das war die einzige Schwachstelle in seinem Projekt. Doch heutzutage gehen wir davon aus, dass es keinen Gott gibt. Die Frage ist also: Wer führt dieses Treibhausexperiment durch und zu welchem Zweck?
B. von Zabern in Spruch und Widerspruch.
Am Nachmittag verbrachte Andersen viel Zeit damit, die Heizung in seinem Büro zum Heizen zu bewegen, statt ein störendes glucksendes Geräusch von sich zu geben. Schließlich resignierte er, nahm das Material, das ihm Nelli Holm zur Verfügung gestellt hatte und zog in den Besprechungsraum um, wo es nicht nur einen funktionierenden Heizkörper, sondern auch einen Videorekorder gab.
Nelli Holms Sammlung umfasste circa zwanzig Videocassetten, eine Handvoll DVDs, dazu eine dicke Mappe mit gesammelten Zeitungsausschnitten, Würdigungen und Redetexten. Eine beeindruckende Menge. Es schien, als hätte Nelli sich auf den Tag vorbereitet, an dem sie als Hinterbliebene des großen Benno von Zabern die Presse mit lückenlosem Material für die Nachrufe versorgte.
Andersen hatte keine rechte Vorstellung davon, was er sich ansehen wollte, und machte sich nicht lange die Mühe, die krakelige Handschrift auf den Etiketten zu entziffern. Wahllos legte er eine Cassette ein und sah von Zabern in einer Gesprächsrunde, nach seinem Aussehen zu urteilen handelte es sich um einen relativ jungen Mitschnitt. Das zweite Video zeigte den Wissenschaftler gut zehn Jahre jünger, wie er vor einem großen Auditorium eine Rede hielt, allerdings auf Englisch. Andersen spulte vor und landete bei einer zwanzigminütigen Dokumentation über die Vita des Wissenschaftlers. Benno von Zabern, Jahrgang 46, ging 1968 gegen den Vietnam-Krieg auf die Straße, später machte er eine steile Karriere als Wissenschaftler. Er gehörte dem Club of Rome an, der 1972 den vielbeachteten Sachstandsbericht über die Grenzen des Wachstums veröffentlichte. Von Zabern errregte internationales Aufsehen mit dem kapitalismuskritischen Bestseller fünf vor zwölf und wurde kurz darauf vom Fernsehen entdeckt. In den folgenden Jahrzehnten moderierte er zahlreiche Wissenschaftssendungen, die Nelli nahezu vollständig auf Video aufgezeichnet hatte.
Andersen verschaffte sich nur einen oberflächlichen Überblick: Reden über das Wetter, ein Magazin, das vor über zwanzig Jahren ausgestrahlt worden war, Spruch und Widerspruch, eine kontroverse Talkshow mit prominenten Gästen und Welt im Wandel - Chance oder Niedergang. Andersen lernte das Fernsehgesicht eines eloquenten und gutaussehenden Mannes kennen, der mal ein souveräner Gesprächsleiter, mal wendiger Studiogast war. Von Zabern konnte charmant sein, aber auch knallhart, und bei Bedarf legte er eine geradezu abstoßende Arroganz an den Tag. In jeder Situation schien er Herr der Lage zu sein, ein Mensch, der gewohnt war, auf Widerspruch zu stoßen und dies sogar genoss.
Wer war der private von Zabern, der sich hinter all diesen Attitüden verbarg? Anne, seiner Tochter, zufolge hatte die Arbeit für ihn an erster Stelle gestanden. War er einer dieser Medienmenschen gewesen, die mit den Jahren des Erfolgs die eigene Persönlichkeit mit dem künstlich geschürten Bildschirm-Image verwechselt hatten?
Seit Anfang der achtziger Jahre war von Zabern mehr und mehr zu einem Guru der Friedens- und Umweltbewegung avanciert. Ein Attentat, das 1985 auf ihn verübt wurde und ihn nur leicht verletzte, verstärkte sein Image als weltweite Identifikationsfigur. Fotos dokumentierten von Zaberns Prominenz: Er war an der Seite des Papstes zu sehen, schüttelte auf dem Gipfel der G8-Staaten in Genua die Hand des britischen Premierministers. In einem Zeitungsinterview versicherte er, angesprochen auf seinen inzwischen legendären Bestseller, dass man den klimatischen Zustand der Welt zu sehr verharmlose, wenn man von fünf vor zwölf rede. „Die korrekte Uhrzeit ist zwanzig nach zwölf oder sogar noch später, doch dazu muss man sich klarmachen, dass der Handlungsspielraum der Regierungen heutzutage im Vergleich zu damals sehr stark eingeschränkt ist. Internationale Konzerne bestimmen weitgehend