Der Kampf ließ nach. Der Morgen dämmerte schon …
Gerüchte über einen Pogrom gingen um in der Stadt. Sie gelangten auch in die niedrigen jüdischen Häuschen mit den schiefen Fenstern, die wie angeklebt am schmutzigen Flussabhang hockten. In diesen Schachteln, die sich Häuser nannten, kampierte in unglaublicher Enge die jüdische Armut.
In der Druckerei, in der Serjosha Brusshak bereits das zweite Jahr arbeitete, waren Setzer und Hilfsarbeiter Juden. Serjosha lebte mit ihnen in bestem Einvernehmen. Alle hielten kameradschaftlich wie eine Familie gegen den Unternehmer, den dicken, selbstzufriedenen Herrn Blumstein, zusammen. Zwischen ihm und den Druckereiarbeitern spielte sich ununterbrochen ein zäher Kampf ab. Blumstein war bestrebt, das Letzte aus den Leuten herauszupressen und die Löhne möglichst zu drücken. Deshalb waren die Arbeiter wiederholt in den Streik getreten und hatten die Druckerei zwei, drei Wochen stillgelegt. Es waren dort insgesamt vierzehn Mann beschäftigt. Serjosha war der jüngste, zwölf Stunden lang drehte er täglich das Rad der Druckpresse. Heute fiel Serjosha die besondere Unruhe unter den Arbeitern auf. In den letzten stürmischen Monaten hatte der Betrieb nur immer von Fall zu Fall Aufträge erhalten. Man druckte die Aufrufe des Hauptatamans.
Der schwindsüchtige Setzer Mendel rief Serjosha in eine Ecke und sagte:
»Weißt du, dass es in der Stadt zu Pogromen kommen wird?«
Serjosha blickte erstaunt auf.
»Nein, davon weiß ich nichts.«
Mendel legte seine knochige gelbe Hand auf Serjoshas Schulter und sagte in väterlich vertraulichem Ton:
»Es wird ganz bestimmt dazu kommen. Das ist klar. Sie werden die Juden umbringen. Ich frage dich: Willst du deinen Kollegen in der Not beistehen oder nicht?«
»Natürlich will ich das, wenn ich nur kann. Mendel, sag mir, was ich tun soll.«
»Du bist ein feiner Kerl, Serjosha, wir vertrauen dir. Dein Vater ist ja auch Arbeiter. Lauf sofort nach Haus und sprich mit deinem Vater, frag ihn, ob er bereit ist, einige alte Leute und Frauen bei sich zu verstecken. Wir werden dann vorher ausmachen, wen wir bei euch unterbringen. Berate dich dann noch mit den Deinen, bei wem man noch Leute verbergen kann. Lauf schnell, Serjosha, jede Minute ist kostbar.«
»Gut, Mendel, kannst auf mich rechnen. Ich renne sofort zu Pawka und Klimka. Sie werden bestimmt auch jemanden aufnehmen.« »Wart einen Augenblick«, sagte Mendel beunruhigt und hielt den schon aufbrechenden Serjosha zurück.
»Wer ist das - Pawka und Klimka? Kennst du die beiden gut?«
»Das sind meine Freunde; der Bruder von Pawka Kortschagin ist Schlosser.«
»Ah, Kortschagin«, meinte Mendel beruhigt, »den kenne ich. Ich habe mal zusammen mit ihm in einem Haus gewohnt. Dem kann man vertrauen. Geh, Serjosha, und bring uns bald Bescheid.«
Serjosha rannte los.
Die Pogrome nahmen am dritten Tag nach dem Gefecht zwischen den Pawljuk-Leuten und der Golub-Abteilung ihren Anfang.
Der geschlagene und aus der Stadt vertriebene Pawljuk hatte sich mit seinen Leuten zurückgezogen und die Nachbarortschaft besetzt. Bei dem nächtlichen Kampf hatte er zwei Dutzend Mann verloren. Ebensogross war der Verlust der Golub-Abteilung.
Die Toten wurden eiligst auf den Friedhof gebracht und noch am selben Tag ohne besondere Feierlichkeiten beerdigt, denn man hatte keinen Grund, viel Aufhebens zu machen. Zwei Atamane waren einander wie toll gewordene Hunde an die Gurgel gefahren. Keine Ursache, das Begräbnis groß aufzuziehen. Paljanyza verlangte zwar Begräbnisfeierlichkeiten, wobei er die Pawljuk-Leute zu roten Banditen erklärt haben wollte, aber das Komitee der Sozialrevolutionäre, dem der Pope Wassili vorstand, war dagegen.
Der nächtliche Zusammenstoß hatte in Golubs Regiment Unzufriedenheit hervorgerufen, besonders unter der Hundertschaft der Leibwache Golubs, deren Verluste an Toten am größten waren. Um diese Unzufriedenheit zu beseitigen und die Stimmung zu heben, machte Paljanyza dem Obersten den Vorschlag, »das Leben zu erleichtern«, wie er höhnisch die Veranstaltung eines Pogroms nannte. Er berief sich auf die in der Abteilung herrschende schlechte Stimmung und suchte so Golub die Notwendigkeit eines Pogroms zu beweisen. Angesichts der bedrohlichen Lage gab der Oberst, der anfangs nicht gewillt gewesen war, vor seiner Hochzeit mit der Gastwirtstochter die Ruhe in der Stadt zu stören, schließlich seine Zustimmung.
Die geplante Aktion kam dem Herrn Oberst auch wegen seines Eintritts in die Partei der Sozialrevolutionäre ein wenig ungelegen. Auch könnten seine Feinde noch unliebsames Gerede über ihn verbreiten, dass er, Golub, ein Pogromanstifter sei, und bestimmt würden sie ihn beim Hauptataman anschwärzen. Einstweilen jedoch war Golub nur sehr wenig vom Hauptataman abhängig, er versorgte sich mit seiner Bande auf eigene Rechnung und Gefahr. Außerdem wusste der Hauptataman nur zu gut, was für Gelichter in seinem Dienst stand, und er hatte auch selbst mehr als einmal die Bedürfnisse des Direktoriums aus so genannten »Requisitionen« befriedigt. Was übrigens Golubs Ruf als Pogromanstifter betraf, so war dieser schon seit langem solide genug begründet; da gab es nicht mehr viel hinzuzufügen.
Die Plünderei begann am frühen Morgen.
Das Städtchen lag noch im grauen Morgendunst.
Die einsamen, menschenleeren Straßen durchzogen gleich durchnässten Leinenstreifen kreuz und quer die ungleichmäßig gebauten jüdischen Viertel. Die kleinen Fenster mit den blinden Scheiben waren verhängt und die Fensterläden fest verschlossen.
Äußerlich schienen die Viertel in tiefem Schlaf zu liegen. Drinnen in den Häuschen jedoch schlief keiner. Dicht aneinandergedrängt saßen die Familien in einem der Stübchen. Nur die ganz kleinen Kinder, die von all dem, was um sie herum vorging, nichts verstanden, schliefen sorglos und ruhig in den Armen ihrer Mütter.
An diesem Morgen musste sich Salomyga, der Chef der Golubschen Leibwache - ein schwarzhaariger Bursche mit einem Zigeunergesicht und einer graublauen, von einem Säbelhieb stammenden Narbe auf der Wange -, lange abmühen, bis er Golubs Adjutanten Paljanyza aus dem Schlaf reißen konnte.
Der Adjutant war noch nicht zu sich gekommen. Ein dummer Traum quälte ihn und ließ ihn nicht los. Ein buckliger Teufel mit scheußlich verzerrter Fratze hatte sich an seiner Kehle festgekrallt und ihm die ganze Nacht keine Ruhe gelassen. Als er schließlich den zum Zerspringen schmerzenden Kopf erhob, wurde ihm klar, dass Salomyga ihn weckte.
»Los, steh auf, verdammt noch mal!« Salomyga schüttelte ihn derb an der Schulter.
»Es ist schon spät. Man muss endlich anfangen. Hast wohl zuviel gesoffen, was?«
Paljanyza schüttelte den Schlaf ab und setzte sich auf. Ein scharfes Sodbrennen plagte ihn, er spie bitteren Speichel aus.
»Was ist denn los, womit sollen wir anfangen?« Verständnislos glotzte er Salomyga an.
»Was los ist? Wir wollen uns doch heute die Juden vornehmen. Hast du das etwa vergessen?«
Paljanyza dachte nach. Ach ja, richtig das hatte er ganz vergessen.
Gestern Abend war auf dem Gutshof, auf den sich der Pan Oberst mit seiner Braut und einem Haufen Saufkumpanen zurückgezogen hatte, ein mächtiges Gelage abgehalten worden.
Golub hatte es nämlich vorgezogen, während des Pogroms die Stadt zu verlassen; so konnte er sagen, dass in seiner Abwesenheit ein Missverständnis geschehen wäre, und Paljanyza würde die Sache schon deichseln. Oh, dieser Paljanyza war ein sehr erfahrener Fachmann, was die »Lebenserleichterung« betraf.
Paljanyza goss sich einen Eimer Wasser über den Kopf und konnte allmählich seine Gedanken sammeln. Bald lief er auch schon im Stab umher und erteilte verschiedene Befehle.
Die Leibwache war bereits aufgesessen. Um Komplikationen zu vermeiden, hatte der vorsorgliche Paljanyza Befehl erteilt, die Wege aus der Arbeitersiedlung und vom Bahnhof in die Stadt zu bewachen. Im Garten des Leszczynskischen Hauses wurde ein Maschinengewehr