ich. und du.. Andreas Kollmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Kollmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183175
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veröffentlicht. War Altphilologe und Kulturhistoriker. Ach, Philosoph – wie Kant. Nein, Philologe. Kennt Ihr normale Studienfächer nicht mehr. Eure Lehrer waren doch auch Philologen. Oder habt Ihr das Abitur auf dem Markt gekauft.

      Oder Wilhelm Grönbech mit Kultur und Religion der Germanen. Der war sehr gelehrt, hat über Indien, Griechenland in der Antike geschrieben. Und dann plötzlich auch über die Germanen. War Däne. Ist richtig eingeschlagen. Damals. Wann. Kurz nach 1900.

      Geht es nicht ein bißchen aktueller. Ja. Es gibt einen französischen Nobelpreisträger, der ein Buch geschrieben hat: In hundert Jahren. Zukunftsstudie. Er hat es natürlich auf Französisch geschrieben. Denke ich. Ein Roman etwa. Keine Ahnung. Aber ich glaube nicht. Es war wohl wirklich eine ernsthafte Studie. Er ist auch schon viel früher in seinem Fachgebiet durch systematische Studien aufgefallen. Als Schriftsteller. Nein, er war Mediziner, hat den Nobelpreis für Medizin erhalten. 1913. Seine medizinischen Studien lagen aber noch im 19. Jahrhundert. Und was ist jetzt so besonders an diesem Buch. Wenn Du es noch nicht einmal kennst. Ja. Stimmt. Ich weiß nicht einmal, ob es eine französische Originalfassung als Buch gibt. Habe ich bisher noch nicht gefunden. Aber er war kein bloßer Mediziner, hat beispielsweise ein Buch mit dem Titel Der Mensch ist dumm. Satirische Bilder aus der Geschichte der menschlichen Dummheiten geschrieben. Das ist auch auf Deutsch erschienen. Das verstehe wer will. Du kennst die Bücher, aber es gibt sie nicht. Richtig? Was die Zukunftsstudie angeht. Stimmt. Woher kennst Du es dann. Komisch, nicht. Ich habe es in einem Taschenbuch aus den 1920er Jahren als Ankündigung gesehen. Na, aber dann gibt es das doch! Wozu also der Zauber. Verstehe. Das Taschenbuch hat eine etwas – sagen wir: – bedingte Ankündigung enthalten. Was soll das. Wart ab. Dort stand: Verlag noch unentschieden (Bereits gedruckt). Mußt Du uns mit Deinen Merkwürdigkeiten nerven. Geh doch zur Polizei, wenn Du ein Buch vermißt. Hat man Dir bestimmt geklaut.

      Versteht Ihr. Das ist doch ne echte Herausforderung. Niemand weiß, ob es das Buch gibt. Das ist keine Hausarbeit über den Verlauf der deutschen Mittelgebirge. Und wie sie wieder zurückfanden. Das ist etwas Echtes. Laß andere sich darum kümmern. Wir haben unser eigenes Ding. Habe ich schon versucht. Habe schon Verlage darauf hingewiesen. Aber bislang ist keiner darauf angesprungen. Vermutlich ist denen das zu aufwendig. Und warum sollen wir uns dann darum kümmern? Ich sollt gar nicht. Ich will. Und dachte, daß Ihr vielleicht auch Interesse … Dachte nur. Aber vorhin hast Du uns die Ohren vollgejammert mit Büchern aus dem 19. Jahrhundert. War doch nichts? Vorhin war Euch das 19. Jahrhundert zu alt. Aber. Beim nächsten Mal zeige ich Euch was. Weiß noch nicht, was. Aber. Bestimmt.

      Heike stand auf. Stand. Bis morgen. Ja.

      Er ging zum Parkplatz. Sein Auto stand dort. Fuhr los. Wohin.

      Lorenz hatte nichts vor. Ging in die Bibliothek. In dieser Abteilung war er zuvor noch gar nicht gewesen. Waren nur alte Schinken. Alter Einband. Alter Inhalt. Wollte die Schrift auf dem Rücken lesen. Hingebrochene Schrift. Er konnte nicht. Nahm das Buch aus dem Regal. Öffnete es. Legte sich eine Seite vor. Er konnte es immer noch nicht lesen. Immer noch gebrochen. Egal.

      Vorlesung. Keine Vorlesung. Cafeteria. Heute war es seltsam leer. Und ruhig. Das bewirkte bei ihm das Gegenteil. Unruhig. Sah er nach den Studenten. Die kamen. Und nicht kamen.

      Erbsensuppe mit einem Brötchen. Gab es. Dazu. Schmeckte ihm heute. Sonst nie. Lorenz schlenderte Richtung Cafeteria. Zielgerichteter Gang ohne Ziel. Er sah ihn. Erst sehr spät. Lorenz sagte es ihm. Merkwürdige Schrift. Unlesbar. Ach, so, wußte nicht. Daß man Euch das erst erklären muß. Ist nicht unlesbar. Aber man muß es können. Sonst kann man nicht. Wie wollt Ihr studieren, wenn Ihr diese Schrift nicht mal lesen könnt? Alles vor 1930 oder 1940. Ach, so, ne Nazi-Schrift. Ne, alte Schrift. Gotische. Sog. deutsche Schrift. Gotisch ist für Euch was anderes. Schwarz anziehen. Oder so. Du hast doch keine Ahnung. Brauch ich auch nicht. Hab Ahnung hinter mir.

      Um die Schrift zu lesen. Muß man die Schrift lesen können. Geht schon. Braucht Ihr auch. Auch in Geographie. Schedels Weltchronik. Von 1493. Damals gedruckt. Da führt kein Weg an der Schrift vorbei.

      Wofür brauch ich die Weltchronik vom alten Schädel? Ist nicht examensrelevant. Wofür überhaupt was? Was.

      Heike. Worüber? Diese blöde Schrift. Unlesbar. Unleserlich. Schnapsidee. Weiß gar nicht, wie so eine Schrift aussieht. – Ich muß los.

      Vorlesung. Essen. Bibliothek. Nacht. Vorlesung. Unterm Vordach. Der Regen hatte gerade aufgehört. Aufzuhören. Der andere Lorenz. Hallo. Hallo. Ja, mir auch. Liegt am Wetter. Wahrscheinlich. Morgen.

      Er war unzufrieden. Saß im Auto und bewegte das Lenkrad. Trocken. Im Regen. Keinen Schritt. Die Reifen standen noch auf derselben Stelle wie am Morgen. Hatten sichs gut gemerkt. Er ärgerte sich, daß die anderen nicht verstanden. Warum? Er beschloß, nächste Woche ein Buch mitzubringen. Und es ihnen zu zeigen. Wie man liest. Buchstabe für Buchstabe. Er schloß den Wagen. Stellte den Motor. Ab. In die Uni. Zurück. Die Frau in der Bibliothek war noch da. War noch. Unverheiratet. Nur Bücher. So blaß. So staubig. Er ging zu dem Bereich, wo die alten Schinken hingen. Und standen. Abteilung Wirtschaftsgeschichte. Er hatte früher häufig solche Bücher in der Hand gehalten. Schon beruflich. War lange her. Fand er. Seine Finger öffneten das Buch. Es war lange nicht mehr gelesen worden. Vielleicht nie. So. Richtig. Eine Hand nahm sich ein anderes Buch. Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte. Der hellenistischen Welt. Dickes Ding. Legte das Ding. Zurück.

      Er war unzufrieden. Stöberte weiter. Die Hände waren. Ungeduldig. Wie er. Heute. Die Finger glitten. Über die Buchrücken. Er ging durch die Reihen. Und fand. Nichts. Dann sahen seine Hände. Etwas. Was auch Heike. Und Lorenz. Und auch den anderen Lorenz. Geographie der Griechen und Römer. Aus ihren Schriften dargestellt. Von Konrad Mannert. 1788. Nürnberg. Er war zufrieden. Zunächst. Aber hatte das Buch heute noch Bedeutung? Oder war es reine Vergangenheit. Er konnte es nicht beurteilen. Er fragte Bekannte, die sich mit den ollen Römern auskannten. Und Griechen. Und so. Es schien. Daß es noch Bedeutung hatte. So ein bißchen. Keine reine Vergangenheit. Er beschloß beim nächsten Mal. Es auszuleihen. Tat es.

      Nach dem Wochenende. Thomas holte eine Plastiktüte aus seinem Mantel, als sie in der Cafeteria saßen. Draußen war es zu kalt. Wieder. Kein Anwehen von Frühling. Von Winter mehr. Der andere Lorenz wurde neugierig. Ist das das Buch, das wie von heute ist? Angeblich. Ja, so ähnlich.

      Ich habe das Buch aus dem Regal genommen. Alter Schinken. Zwei Leseproben. Waren gar nicht so komisch. Hätte man für heute halten können. Was ist es denn? Er legte es auf den Tisch. Den Titel. Obenauf. Neben die Pappbecher. Und die Ringe. Von Kaffee. Und Krümmel. Von Brot.

      M. Konrad Mannert: Geographie der Griechen und Römer, aus ihren Schriften dargestellt. Nürnberg 1788.

      Ich dachte. Daß es Euch näher liegt. Als Römische Geschichte. Oder so. Hat aber damit zu tun. Ist von 1788. Das ist ja auch in Nazi-Schrift. Ja, hat Hitler persönlich geschrieben. 1788. Willst Du uns. Ja. Diese Schrift ist ziemlich alt. Noch vor 1900. Seit fast tausend Jahren. Hat sich weiterentwickelt. Wie alles. Weit vor Hitler. Ach, ne. Dann ist es harmlos? Mein Vater hat gesagt. Daß auch vor 1930 schon moderne Schrift verwendet wurde. In Büchern und so. Dann ist diese Schrift hier also doch Nazi. Haben die Nazis wieder ausgegraben. Ja. Nein. Vor 1930. Ja. Hat auch da schon Leute gegeben. In Deutschland. Die experimentiert haben. Die die olle Schrift, die deutsche, nicht mehr wollten. Etwa die Veröffentlichungen des Bauhauses. Auch welche. Die auch die Schreibweise verändert haben. Kleinschreibung. Und so. Der Dichter Stefan George. Zum Beispiel. Nur Bücher mit Kleinschreibung. Und in Antiqua. Oder anderen Schriften, aber nicht gebrochen. Auch neue Schriften. Waren Ausnahmen. Das Meiste bis 1941 war: in deutscher Schrift. Sogar eine Zeitschrift. Die das nicht erwarten ließ. Die Revolution. War um 1914 in gebrochener Schrift erschienen. Also vieles. In gebrochener Schrift.

      Wieso 1941. War da der Krieg vorbei, Kapitulation. Was, keine Geschichte. Keinen Unterricht gehabt. Er erregte sich. Nein. 1945 war der Krieg zu Ende. 1941 ist ein anderes Datum. Da hat Hitler einen Erlaß veröffentlicht. Erlaß. Er-lassen. Daß die gebrochene Schrift „Juden-Schwabacher“ sei. Künftig. Fürderhin. Nur noch Antiqua. Das ist doch Unsinn. Hat Hitler nie getan. Der war doch so was von deutsch. Und zurück. Und alt. Ja. Das war eine Kehrtwende. 180 Grad.