Schlechte Zeiten für Märchen und andere wundersame Geschichten und Gedichte. Gisela Walitzek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisela Walitzek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754171776
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und ich langweilte mich fürchterlich – fand ich im Gemüsefach des Kühlschranks eine Dose. Ich traute meinen Augen nicht und rief als erstes nach Leschil. Dabei hatte ich selbst die Tür hinter ihm von innen verriegelt. Leschil hatte mir beim Weggehen dazu geraten. Eine halbe Stunde zuvor hatte ich mir aus dem Gemüsefach einen Apfel genommen. Ich war mir sicher, dass die Dose dort noch nicht gelegen hatte. Sie sah ziemlich abgegriffen aus. Den Deckel zierte ein grüner Fisch.

      Ich zögerte keine Sekunde. Ich würde dem Spuk ein Ende bereiten. Beherzt öffnete ich die Dose mit dem grünen Fisch.

      Im Stillen hatte ich damit gerechnet, dass mir eine Clownsfratze entgegenspringen oder ein Lachsack zu dröhnen beginnen würde. Doch wider Erwarten geschah all dies nichts. Nur auf dem Boden der Dose lag ein kleiner Zettel.

      Du hast die Dose mit dem grünen Fisch geöffnet, stand darauf geschrieben. So schlau war ich auch. Etwas mehr Fantasie hätte ich Leschil schon zugetraut. Ich wollte die Dose gerade wieder verschließen, als ich in der rechten unteren Ecke des Zettels das kleine Bitte-wenden-Kürzel bemerkte.

      Ich bin nicht der, für den du mich hältst, hatte Leschil auf der Rückseite vermerkt.

      Dieser Meinung war ich allmählich auch. Doch wer um alles in der Welt war er? War er andersherum? Nicht Beamter auf Lebenszeit? Gebissträger? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Kurzentschlossen warf ich den Zettel mitsamt Dose ins Gemüsefach zurück.

      Früher als erwartet drehte sich Leschils Schlüssel in der Wohnungstür. Ich lag in der Badewanne und rührte mich nicht.

      „Da bin ich wieder, Darling“, wisperte es aus dem Flur. Leschil würde eine Behandlung beim Heilpraktiker ins Auge fassen müssen.

      Als sich die Tür zum Bad öffnete, stand vor mir ein wildfremder Mann. Er war klein und dick, hatte gelbliche, fettige Haare und aschfahle, pickelige Haut. Ich weiß bis heute nicht, warum ich nicht zu schreien begann. Ich weiß bis heute nicht, woran ich es gemerkt habe. Denn trotz allem wusste ich – das war Leschil. Er hätte zur Bestätigung nicht wieder wispern müssen. Als er es trotzdem trat, überraschte es mich nicht, dass ihm ein halber Eckzahn fehlte.

      Der grüne Fisch hatte Leschil verzaubert. Er war nicht mehr der, der er noch vor Stunden gewesen war. Er selbst wollte von all dem nichts wissen.

      Noch für denselben Abend lud ich all meine Freunde ein. Sie sollten kommen und es ihm bestätigen. Sie kamen, aßen, tranken und dann gingen sie wieder, ohne auch nur eine einzige Bemerkung über Leschils Veränderung verloren zu haben. Sie schienen sie überhaupt nicht wahrzunehmen.

      Ich begleitete Sara zur Tür.

      „Findest du nicht, dass Leschil sich in letzter Zeit verändert hat?“, fragte ich sie geradeheraus. Sie war schließlich meine beste Freundin gewesen und würde mich nicht belügen.

      „Eigentlich nicht“, log sie dann doch. Ich fasste es nicht.

      „Findest du nicht, dass er irgendwie kleiner, dicker – sagen wir – hässlicher geworden ist“, bohrte ich nach.

      „Nein“, sagte sie.

      „Du lügst“, sagte ich.

      „Sagen wir es so“, sagte sie, „seit ich ihn kenne, ist Leschil klein, dick und hässlich. Ob mal mehr oder weniger, fällt nicht ins Gewicht. Er hat fettige Haare, aschfahle Haut, ist pickelig, wispert und was er wispert, bliebe besser ungesagt. Du musst verrückt gewesen sein, als du ihn geheiratet hast.“

      Sara log, wenn sie nur den Mund aufmachte.

      Es war schlimm für mich, die beste Freundin zu verlieren. Es war noch schlimmer für mich, in eine Wohnung zurückzukehren, in der ein kleiner, dicker, hässlicher Mann saß und behauptete, mein Ehemann zu sein. So und nicht anders.

      Ich konnte ihn nicht vom Gegenteil überzeugen. Seine Ausweispapiere, die Fotos von unserer Hochzeit, die Kleider in seinem Schrank, das alles gab ihm recht. Er war klein, dick und hässlich. Und all dies war er schon immer gewesen.

      Die Wahrheit war erschütternd. Der Fisch hatte nicht Leschil, der Fisch hatte mich entzaubert. Natürlich war er danach mitsamt der Dose aus dem Gemüsefach verschwunden. Leschil tat so, als wisse er von nichts und habe keine Ahnung, wovon ich rede.

      Ich lebe seither Seite an Seite mit einem kleinen, dicken, hässlichen Mann. Er wispert und was er wispert, bliebe besser ungesagt. Ich verlasse ihn nicht, denn noch gebe ich nicht auf. Ich will Leschil – meinen Leschil – wiederhaben.

      Ich weiß, dass ich dazu den grünen Fisch brauche. Es hat wenig Zweck, nach ihm zu suchen, denn wenn es an der Zeit ist, werde ich ihn im Gemüsefach finden. Ich werde von ihm verlangen, dass er mir unverzüglich eine zweite Chance gibt. Doch diesmal muss er nicht mich, er muss Leschil verzaubern. Und dann werden Sara und die anderen ja sehen.

      Hänsel und Gretel

      Es war einmal eine Frau. Die war von Herzen gut. Das Glück hatte ihr zwei liebe Kinder anheimgegeben – ein Bübchen und ein Mädchen, beide anstellig, folgsam und brav. Darüber war die Frau von Herzen froh.

      An diesem Tag aber saß die gute Mutter auf einem Baumstumpf und grämte sich sehr, denn die Kinder waren ihr verlorengegangen. Ausgebüxt, um es genauer zu sagen. Siebenhundertfünfundneunzig Mal schon hatte die Mutter den Kindern gesagt, dass sie nicht so weit weglaufen sollen. Siebenhundertfünfundneunzig Mal beim Bübchen zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Das Mädchen siebenhundertfünfundneunzig Mal auf einem Ohr taub. Und das diesmal ausgerechnet im dunklen, dunklen Wald.

      Es dauerte nicht lange, da kamen die Kinder an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein. Hierin aber wohnte keine andere als die böse, kinderfressende Hexe. Als sie nun aber draußen das Getrampel und Gezänke von Bübchen und Mädchen vernahm, vermeinte sie nichts anderes, als dass es Hänsel und Gretel seien. Auf die hatte sie nämlich schon lange gewartet, um sie zu fressen.

      „Knusper, knusper, Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“, fragte sie deshalb ungeduldig.

      „Ich nicht“, sagte das Bübchen.

      „Ich auch nicht“, empörte sich das Mädchen. Dabei war es glatt gelogen, denn Bübchen und Mädchen hatten aus Übermut schon handtellergroße Stücke aus dem Häuschen gerissen.

      Die Hexe war verwirrt. „Vielleicht war es ja der Wind“, meinte sie dann.

      „Als ob der Wind knuspern könnte“, sagte das Bübchen und dann lachten die beiden Kinder sich fast kringelig.

      „Wollt ihr denn gar nicht an meinem Häuschen knuspern?“, frage die Hexe ärgerlich.

      „Angegammelten Lebkuchen esse ich nicht“, sagte das Bübchen.

      „Hast du nicht was anderes?“, fragte das Mädchen.

      Die Hexe überlegte.

      „Vielleicht Blubberkaugummi“, sagte das Bübchen.

      „Oder Lakritzschnecken“, sagte das Mädchen.

      Nun war es aber so, dass die Hexe noch nie etwas von Blubberkaugummi und Lakritzschnecken gehört hatte. Sie war aber nicht dumm und lockte die Kinder erstmal in ihr Häuschen. Dort wollte sie die beiden mästen und hernach, wenn sie schliefen, braten und fressen.

      „Guck mal, ein schwarzer Papagei“, sagte das Mädchen und zeigte auf den Raben Abraxas. „Kann der sprechen?“ Und dann brachte das Mädchen dem possierlichen Tierchen die neuesten Unflätigkeiten aus dem Kindergarten bei. Derweil machte das Bübchen – „Pussi! Pussi!“ – dem Hexenkater den Garaus.

      Unterdessen hatte die Hexe den Tisch gedeckt. Für jedes Kind einen kleinen Laib altbackenes Brot.

      „Hast du keine Schokocreme?“, fragte das Bübchen.

      „Oder Brötchen? Oder Cupcakes?“, fragte das Mädchen.

      Die Hexe raufte sich die Haare. Dann beschloss sie, die Kinder zu fressen, auch ohne sie vorher