Was Azzurro und Archaeus nicht wussten: Sie waren als Erfinder der Chloroplasten in die Geschichte der Evolution eingegangen. Die Zellen im Inneren von Bakterien, die mittels Photosynthese ATP produzieren, nannten die Biologen nämlich später Chloroplasten. Das sind hochwichtige Organellen, die nichts Geringeres als die Erfindung der Pflanzen ermöglichten. Noch heute nutzen Pflanzen die Fähigkeit der Chloroplasten zur Photosynthese und setzen dabei Sauerstoff frei, was uns Heutigen ganz nützlich ist.
Nur mal so zur Richtigstellung: Als diese Geschichte den Biologen erzählt wurde, hätten sie eigentlich Archaeus Xtrmo und Azzurro Cyano sofort für den Nobelpreis vorschlagen müssen. Oder wenigstens den Überbringer der Nachricht. Stattdafür wurden sie sehr wütend. Wie kann denn jemand nur ein solches Märchen in die Welt setzen, wetterten sie. Ach ja, natürlich, Russen, war ja klar. Dabei weiß man doch, dass die Chloroplasten und alle anderen Zellstrukturen nur durch zellinterne Differenzierungsprozesse in Folge zufälliger Genmutationen entstanden sind. Bis nach Sowjetrussland hatte sich das wohl noch nicht herumgesprochen, dachten die westlichen Biologen, überlegen lächelnd.
Eine von ihnen trat dann freilich einige Jahrzehnte weiter mit einer unter den Biologen für einiges Aufsehen erregende Aufsehen erregende Theorie an die Öffentlichkeit. Die Chloroplasten wären gar nicht, verkündete sie, durch Diffenzierungen differenziert worden, sondern durch Symbiose und Kooperation zweier verschiedener Organismen.
Donnerwetter, sagten sich die westlichen Biologen, voller Stolz auf die Leistung westlicher Biologie, was für eine kühne Theorie, alle Achtung. Die Medaille des Nobelpreises für die kreative Biologin war wohl schon poliert, als sich jemand erinnerte, dass russische Biologen diese Theorie schon einige Jahrzehnte früher entwickelt hatten. Ein nobler Preis wurde wohl bis heute nicht für die Theorie von der Liebe auf den ersten Blick vergeben. Ich finde das ungerecht. Bei dem Nachweis der Hintergrundstrahlung ging es doch auch nicht so zimperlich zu.
Es lag wohl auch daran, dass die Evolutionsbiologen jede Form von Glauben strikt ablehnen. Und deshalb glauben sie auch nicht, dass Symbiose und Kooperation zu den Zellstrukturen führten. Solchen Glauben könne ja gerne anhängen, wer gerne glauben will, sagten sie. Sie würden unerschütterlich nicht glauben, sondern wissen, dass der Glaube an die Zufälle der Genmutationen der wahre Glauben ist.
Ein oder zwei Biologen wollten Genaueres wissen. Es ist mir nicht bekannt, ob die den einen oder den anderen Glauben prüfen wollten oder nur glaubten, nicht weiter glauben zu müssen. Hab ich mich da klar genug ausgedrückt? Jedenfalls untersuchten sie das Verpackungsmaterial der Chloroplasten, also die Membranen, von denen die umgeben sind. Und siehe da: Die innere Membran stammt offensichtlich von einem Azzurro Cyano, die äußere von Archaeus Xtrmo. Das kann ja wohl kaum von einer zellinternen Genveränderung stammen, meinten manche Biologen. Andere glaubten das trotzdem und wetterten weiter gegen jeden Glauben.
Später stellte sich heraus, dass auch die später entstandenen Zellkerne auf ganz ähnliche Weise entstanden sein müssen.
Viele fundamentalistischen Evolutionsbiologen glaubten auch das nicht. Sie glaubten standhaft an die zufälligen Genveränderungen. Der Zufall sei doch eine viel bessere Erklärung der Prozesse, glaubhafter jedenfalls. Wer soll denn ernsthaft glauben, dass da ein Bakterium gefressen und zufällig nicht verdaut wird, sondern sich zu einem Chloroplast mausert. Soviel Zufall sei doch nicht glaubwürdig, meinten sie und glauben weiter an den Zufall der Genmutation und den Zufall der Differenzierung zu zufällig sehr brauchbaren Strukturen.
Die Bakterien störte das nicht weiter. Die neuen Wesen hatten nicht nur ein gutes Leben, sie vermehrten sich auch fleißig. Und die noch als Cyanos verblieben Cyanos taten das ebenso. So wurde immer noch mehr Sauerstoff produziert und freigesetzt.
Nicht gleich, aber nachdem einige Jährchen vergangen waren, wurde den Cyanos und auch den Archaeen dieses eklige Gas O (das ist der Codename für Sauerstoff, nach Oxygenium) dann doch ziemlich lästig. Sie hätten eigentlich wissen müssen, dass das Eisen im Meer natürlich nur in begrenzter Menge zur Verfügung stand, es vermehrte sich nicht mehr groß. Und als alles verrostet war, fand der Sauerstoff kaum noch Partner, an die er andocken konnte. Das Meerwasser erklärte sich zwar bereit, ein wenig von dem Sauerstoff aufzunehmen, aber eben nur wenig. Also blieb dem Sauerstoff nichts anderes übrig, als in die Atmosphäre zu entweichen.
Mit anderen Worte, das Meerwasser wurde etwas unbekömmlicher und aus der Atmosphäre mit viel Kohlendioxid und Ammoniak, später noch Stickstoff und Schwefelwasserstoff, wurde eine Atmosphäre mit mehr Sauerstoff. Es stank zwar oberhalb des Meeres nicht mehr so entsetzlich, aber die Atmosphäre wurde nun auch noch immer giftiger. Kein schöner Ausblick in eine gesunde Zukunft.
Die Cyanos fanden das nicht so gut und die Bakterien aus der Tiefsee, die den Zug mit der Symbiose irgendwie verschlafen hatten, auch nicht. Langsam wurde klar, da musste etwas geschehen, auf ewig konnten sie nicht mit dem giftigen Sauerstoff leben. Dumm nur, dass sie den ja selbst produzierten. Also was tun?
Viele der Cyanos dachten gewiss an Suizid. Aber eigentlich lag das Aussterben der ganzen Sippschaft sehr nahe. Wenn eine Gattung Lebewesen seine eigene Lebenswelt vergiftet, verspielt sie damit ihre Existenzberechtigung. Das galt schon damals.
Und wieder zeigten die Cyanos ihre kreative Seite. Gut, sagten sich einige von ihnen, das mit der Photosynthese klappt gut und ist eine feine Sache. Aber die Sonne scheint auch nicht immer; nachts gar nicht, wie lange sie überhaupt noch ihre Bahn ziehen wird, kann uns auch niemand sagen. Was, wenn eines Tages gar kein Licht mehr da ist. Dunkelheit lässt sich nur schlecht photosynthetisieren. Was dann?
Pessimismus machte sich breit, Zukunftsängste führten vereinzelt schon zu Burnouts.
Dann tauchte eine ganz neue Idee auf. Wenn es nun, sagten sich einige Cyanos, soviel Sauerstoff gibt, dann kann man ja vielleicht den für irgendwas nutzen. Nichts ist so giftig, dass man es nicht doch für etwas Nützliches nützlich machen könnte. Schlangengifte, giftige Kröten, virale Impfstoffe sind lebende Beispiele dafür. Selbst radioaktive Strahlung kann nützlich sein, wenn man weiß, wie. Gemäß dieser Erkenntnisse begannen die Cyanos, Sauerstoff für ihre zellinternen Prozesse einzusetzen. So erfanden sie die Sauerstoffatmung.
Heh, sagte sich die Evolution, gute Idee. Vielleicht machen wir das gleich noch einmal, was schon bei den Chloroplasten geklappt hat.
OK, murmelten die Archaeen, machen wir, her mit den kleinen Sauerstoffatmern. Und so wurden die Mitochondrien erfunden, die Kraftwerke jener Zellen, die später zu den Tieren wurden. Auch bei den Mitochondrien fand man später zwei Membranen unterschiedlicher Herkunft. Und, was soll man sagen, die Zellkerne der neuen Zellen waren offensichtlich auch zweierlei Abkunft.
Die Zellen, die diese Entwicklung einleiteten, nannte man später Eukarionten. Die vorangegangenen Einzelzellen waren die Prokarionten. Nur mal so, falls sie bei den Diskussionen über die Evolution oder die Inflation oder die Kopulation auf die Begriffe stoßen. Prokarionten sind die Einzelzell-Wesen ohne Chloroplasten, Mitochondrien und Zellkernen. Eukarionten sind die mit den genannten zellinternen Plunder.
So kamen die Pflanzen und die Tiere in die Welt. Und zwar durch Kooperation und Symbiose, nicht durch Kampf, Verdrängung und Überlegenheit, nicht durch Archaeus is first. Das musste mal gesagt werden.
Wir sind den Cyanos und den Archaeen zu großem Dank verpflichtet. Ohne ihre Kreativität würden wir heute auf einem völlig kahlen Planeten herumlungern, einer tristen Landschaft ganz ohne Pflanzen und Tiere. Das mag ich mir gar nicht ausmalen.
Aber vielleicht wird das ja auch wieder.
Das mag ich mir aber auch nicht vorstellen.
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