Wilde Zeiten – Wie du deinen Sohn gelassen durch die Pubertät begleitest.. Katharina Meinhold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Meinhold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783754170649
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vorgebaut. Der Erwachsene kann dann souveräner mit der Situation umgehen und sich verantwortungsbewusst verhalten.

      Stammen beide Elternteile selbst aus einem sicheren, liebevollen Familienumfeld, haben sie es deutlich leichter. Sie wissen intuitiv, wie man mit Herausforderungen und Streit umgeht. War das eigene Heranwachsen jedoch belastet, können sich diese Belastungen wiederum einstellen. Das ist keine magische Wiederholung, sondern einfach das Agieren in den erlernten Parametern (Vorgaben). Hat eine Mutter unter einem sehr dominanten oder sogar jähzornigen Vater gelitten, kann es sein, dass sie selbst aufbrausend reagiert oder Verhaltensweisen, die einen solchen Ausbruch bei ihrem Sohn auslösen könnten, vermeidet. Dem Jungen fehlt damit ein ausgeglichenes Gegenüber. Er wird nun seinerseits entweder aufbrausend oder geduckt reagieren. Die erwachsene Orientierungsperspektive fehlt.

      Durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich können die individuelle Entwicklungsgeschichte begriffen und das eigene Verhalten korrigiert werden. Übermäßige Ängste, Aggressionen oder Ausweichhaltungen lassen sich dann rechtzeitig korrigieren.

      Die eigenen Kindheitserfahrungen haben uns geprägt. Sie äußern sich vor allem auch in unserer Kommunikation. Was wir sagen und wie wir etwas verstehen, hängt auch davon ab, was wir sagen und wie wir etwas verstehen wollen. Wir hören und verstehen durch Filter. Dadurch kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Diese treten allgemein im Leben, in der Paarbeziehung und in dem Verhältnis der Eltern zu ihrem Sohn auf.

      Bemüht man sich in der Familie um eine liebevolle, zugewandte Atmosphäre, ist gewaltfreie Kommunikation (nach Marshall B. Rosenberg) ein Handlungskonzept, das über den rein verbalen Bereich hinausgeht und die Bindung in der Familie stärkt. Während Tadel, Zurechtweisungen und Beschimpfungen demütigen, Widerspruch hervorrufen oder nachhaltige Schäden hinterlassen, ermöglicht gewaltfreie Kommunikation Entwicklung, Öffnung und das sachliche Lösen von Konflikten, ohne dass Familienmitgliedern die Rolle von Gewinnern oder Verlierern zugewiesen wird.

      Dabei sollte man jedoch nicht in pseudo-positive Setzungen verfallen. Eine nur scheinbar gewaltfreie Sprache, die zwar Beschimpfungen und Zuweisungen vermeidet, jedoch Verachtung und Zurechtweisung transportiert, wird von Jugendlichen schnell entlarvt und beschädigt das Vertrauen langfristig. Ärger lässt sich als Ärger äußern, wenn deutliche Ich-Botschaften gesandt werden. Damit zeigen wir, dass wir ein Problem haben und geben anderen die Möglichkeit, uns zu unterstützen und eine Lösung zu finden. Bei einer Du-Botschaft schieben wir dem anderen das Problem zu, identifizieren ihn vollkommen damit und lassen ihn mit der Herausforderung allein. Statt auf eine Problemlösung fokussieren wir auf eine Schuldzuweisung und bringen das Kind zwangsweise in die Situation, sich wegzuducken oder sich zu verteidigen. Ziel sollten immer ein lösungsorientiertes Handeln und ein respektvoller Umgang miteinander sein. Lebt ein Paar diese Art der Kommunikation vor, übernehmen Kinder die gewaltfreie Art zu kommunizieren und sind auch während der Pubertät mit den Kriterien einer achtungsvollen Auseinandersetzung vertraut.

      Menschliche Beziehungen verändern sich. Sie sind nicht statisch verankert, sondern in Bewegung. In der Familie sollten diese Veränderungen auf Basis der Verbindlichkeit Raum zur freien Entfaltung bekommen. Verbindlich bleibt die Beziehung als Familie, die sich liebe- und vertrauensvoll zugewandt ist. Dennoch können sich auch die Beziehungen innerhalb der Familie wandeln.

      Verschiedene Ebenen können dabei betrachtet werden:

       Zum einen ist es die Beziehung des Paares zueinander. Ihr habt bereits erlebt, wie ihr aus einem auf sich bezogenen Paar zu Eltern wurdet und mit eurem Kind eine Familie gebildet habt. Ihr seid in diesem Prozess gewachsen.

       Mit der Entwicklung des Kindes verändert sich auch die Beziehung zwischen Eltern und Kind.

       Vielleicht sind vorab bereits Geschwister dazugekommen oder euer Sohn hat schon eine ältere Schwester. Auch in dieser Beziehung werdet ihr Wandel bemerken – mal sind sich die Geschwister näher, mal entfernen sie sich voneinander. Dabei spielen verschiedene Faktoren wie das Alter eine Rolle.

      Wenn wir Familie als eine systemische Verbindung betrachten, die aus einem Geflecht von Beziehungen versteht, erkennen wir das Lebendige dieser Form, das sich dem Wandel gar nicht verschließen kann. Geht es einem Familienmitglied nicht gut, sind die anderen betroffen. Stehen die Eltern vor Herausforderungen, trifft es auch die Kinder. Ändert ein Familienmitglied seinen Status entscheidend, indem es in den Kindergarten, in die Schule oder eben in die Pubertät kommt, sind auch die anderen betroffen und werden in irgendeiner Form mit einbezogen.

      Die Pubertät kann mit extremen Stimmungsschwankungen verbunden sein. Ähnlich wie in der Schwangerschaft übernehmen zeitweise die Hormone die Regie. Eltern und Geschwister sehen sich auf eine harte Probe gestellt. Eigene Befindlichkeiten und Tagesform kommen hinzu. Nicht immer versteht die kleine Schwester, warum der große Bruder aufbraust oder der Vater fast die Nerven verliert. Nicht immer ist die Mutter ausgeglichen und gut gelaunt.

      Ein achtsamer Umgang miteinander (wie ihn auch die gewaltfreie Kommunikation empfiehlt), ist hier wichtig. Damit das in der Familie klappt, muss man auch auf die eigenen Ressourcen achten. Dazu gehört es, regelmäßig Pausen zu machen und Auszeiten zu nehmen, für Entspannung und Ausgeglichenheit zu sorgen. Damit sendet ihr gleichzeitig Signale an euren Sohn und wirkt als Vorbild. Wenn er erlebt, wie ihr selbst regelmäßig Yoga praktiziert oder Achtsamkeitsmeditationen in euren Alltag einbaut, wie ihr selbst Stress durch Jogging oder Spaziergänge abbaut, kann er sich daran orientieren.

      Der Umgang den, Eltern mit sich selbst pflegen, wirkt ebenfalls prägend. Das bedeutet nicht, zu einem Wellnessurlaub aufzubrechen, wenn zu Hause die Wände wackeln oder egoistisch auf einer Vorzugsbehandlung zu bestehen, sondern es zeigt, wie man die eigenen Kräfte einteilt und sich dadurch physisch und psychisch so fit hält, dass man für die anderen da sein kann. Eine Mutter, die hier alles geben will, kann das nur, wenn sie selbst gesund und ausgeruht ist. Ein Vater, der sich hier mit ganzer Kraft einsetzen will, schafft das nur, wenn er gelernt hat, sich auch zu entspannen und gut zu sich selbst zu sein.

      Familien sind unterschiedlich – heute noch mehr als in früheren Zeiten. Es gibt die klassische Kleinfamilie mit oder ohne Trauschein, alleinerziehende Frauen und Männer mit einem oder mehreren Kindern, gleichgeschlechtliche Paare oder Großfamilien mit vielen Kindern und mehreren Generationen in der unmittelbaren Umgebung. Es gibt Stieffamilien, bei denen ein Verlust im Hintergrund steht und kunterbunte Patchwork-Formen. Familie muss nicht qua Geburt legitimiert sein, sondern kann auch in frei gewählter Form als langfristiger Verbund existieren.

      Entscheidend für eine gute Ausgangsbasis ist die Stabilität. Diese kann im Alleinerziehenden-Haushalt ebenso gegeben sein wie im Mehrgenerationenverbund. Sie kann aber auch anfällig sein. Ein Jugendlicher kann sich in einem Öko-Dorf ebenso unverstanden fühlen wie in einer 1-1/2-Zimmer-Wohnung in einer Großstadt in prekären Verhältnissen.

      Das Umfeld eines Jugendlichen sollte Stabilität vermitteln und Rückzugsraum bieten. Es sollte ebenjene Basisstation sein, die ein Bergsteiger benötigt, wenn er zu einer Expedition aufbricht. Der Jugendliche muss wissen, dass er nach Hause kommen kann und dort immer alles findet, was er braucht. Er muss wissen, dass er bedingungslos geliebt wird.

      Das bedeutet nicht, dass es keine Regeln gibt und das er im rechtsfreien Raum schwebend tun und lassen kann, was er will. Regeln, Grenzen und Sanktionen sind Teil einer stabilen Familienbeziehung. Sie sind nicht mit einem Liebesentzug gleichzusetzen, sondern notwendig, um Beziehungen zu regeln und Familie zu erhalten.

      Dennoch ist immer im Einzelfall zu schauen, welche Belastungen mit der Familienkonstellation zusammenhängen können. Wer als gut verdienende Ärztin allein lebt, kann sich Unterstützung organisieren. Wer prekär am Rande der Gesellschaft existiert