„Brady …“, beginnt er, beendet den Satz jedoch nicht.
Ich erkenne auf den ersten Blick, dass er mit sich selber ringt. Er sieht so aus, als würde er etwas sagen wollen, von dem er sich nicht sicher ist, ob er es von sich geben soll oder nicht. Und ja, ein wenig macht sein Verhalten mich neugierig. Schließlich würde ich schon gerne wissen, wer in meiner Nachbarschaft wohnt.
Doch ich gehe nicht näher darauf ein. Im Hinterkopf mache ich mir jedoch eine Notiz, dass ich ihn bei der nächsten Gelegenheit danach fragen werde. Und dabei ist mir egal, welchen von beiden ich nehme.
„Ich gehe mal davon aus, dass das der Name meines reizenden Nachbarn ist“, erkläre ich stattdessen und zeige in die Richtung, in die er verschwunden ist.
„Ja, das ist Brady. Nimm es einfach nicht persönlich, dass er dich so angegangen ist. Er ist zurzeit nicht er selber.“
Sein Freund sieht mich entschuldigend an.
„Das bin ich auch mal nicht, doch deswegen lasse ich meine Laune nicht an Menschen aus, die ich überhaupt nicht kenne. Aber ich werde mal darüber hinwegsehen, geschweige denn, er benimmt sich bei unserem nächsten Zusammentreffen nicht so.“
Mit diesen Worten gehe ich auf ihn zu und bleibe einige Meter von ihm entfernt stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er so aus, als würde er noch etwas dazu sagen wollen. Doch er geht nicht näher auf meine Aussage ein.
Ich kann nicht für mich behalten, dass ich wütend bin. Und von mir aus kann sein Kumpel das auch ruhig wissen. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass er nichts dafür kann.
„Ich freue mich auf jeden Fall, dich kennenzulernen. Mein Name ist Ryan.“
Mit diesen Worten geht er um seinen Wagen herum und kommt auf mich zu. Mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht streckt er mir seine Hand entgegen, die ich ohne zu zögern ergreife.
„Kendra“, erwidere ich nur und sehe dabei noch einmal in die Richtung des Hauses, in dem Brady verschwunden ist.
„Ich bin mir sicher, dass wir uns nun öfter über den Weg laufen werden. Aber jetzt muss ich mich auf den Weg zum Stützpunkt machen.“
„Stützpunkt?“
Ich ziehe meine Augenbrauen ein Stück nach oben.
„Wir sind Soldaten.“
„Oh“, sage ich nur, da ich in diesem Moment die Befürchtung habe, dass das Verhalten meines Nachbarn etwas mit seinem Job zu tun hat.
Ich gebe zu, dass ich mich noch nie so genau damit beschäftigt habe. Doch ich weiß, dass man in diesem Beruf wahrscheinlich öfter in eine gefährliche Situation kommt, als es einem lieb ist.
Vor allem bei Auslandseinsätzen.
Doch ich behalte die Worte für mich. Es geht mich nichts an und deswegen würde ich mich wahrscheinlich sehr weit aus dem Fenster lehnen.
„Wir sehen uns“, verabschiedet sich Ryan von mir und steigt in seinen Wagen.
Einige Sekunden sehe ich ihm noch nach, ehe ich das letzte Mal zu dem Haus von Brady sehe. Doch bevor ich mich noch genauer damit beschäftigen kann, taucht meine Schwester auf.
„Du solltest den Umzugshelfern vielleicht sagen, wo das Sofa stehen soll. Sonst wirst du nachher noch alles wieder umräumen dürfen“, verkündet Lynn und bleibt neben mir stehen. Allerdings sieht sie in die andere Richtung, nämlich in den Transporter.
„Hmmm“, mache ich nur, da ich mit meinen Gedanken gerade ganz woanders bin.
Langsam sieht sie mich an.
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja, ich habe gerade nur über etwas nachgedacht.“
Während ich spreche, werfe ich noch einen kurzen Blick auf das Haus von Brady, bevor ich mir einen der zahlreichen Kartons nehme, die vor der Laderampe stehen und verschwinde im Inneren meines Hauses.
Den restlichen Tag versuche ich mich mit der Einrichtung abzulenken. Doch die Wahrheit ist, dass das nicht so einfach ist. Immer wieder schaue ich zum Fenster hinaus zu seinem Grundstück. Doch ich kann ihn weit und breit nirgends entdecken.
Wundern tut es mich aber nicht. So betrunken wie er war, wird er sicherlich im Bett liegen, um seinen Rausch auszuschlafen.
„Wir sehen uns die Tage. Versuche es ruhig angehen zu lassen. Ich weiß, dass du am liebsten alles sofort fertig haben willst, aber das geht nicht von heute auf morgen“, weist mich meine Schwester an, als sie sich abends von mir verabschiedet.
Es ist so spät, dass die Sonne bereits untergegangen ist.
„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Zwischendurch muss ich auch noch arbeiten und heute werde ich eh nichts mehr machen.“
Ein letztes Mal umarme ich sie, bevor sie sich umdreht und zu ihrem Wagen geht. Es dauert einen Moment, doch dann fährt sie vom Straßenrand an und verschwindet.
Seufzend gehe ich wieder ins Haus und sehe mir das Chaos an. Möbel und Kartons sind überall verteilt. Doch wie ich meiner Schwester schon gesagt habe, werde ich heute nichts mehr machen. Ich bin seit drei Uhr nachts wach und muss jetzt dringend schlafen, damit ich morgen neu starten kann.
3
Brady
Frustriert drehe ich mich auf den Rücken und starre an die Decke. Seit Wochen bin ich nun schon krankgeschrieben und langweile mich. Ich bin mir sicher, dass dies auch noch ein wenig so bleiben wird. Ich bin mir sicher, dass mein Therapeut es noch einige Male versuchen wird, bevor er mich an einen Kollegen verweist, der dann sein Glück versuchen soll. Sobald er allerdings merkt, dass er keinen Schritt weiter kommt, wird er mich testen, feststellen, dass ich einsatzfähig bin und mich wieder in den Dienst schicken.
Woher ich das weiß?
Weil es meistens so läuft!
Ich war zwar noch nie in dieser Situation, doch bei der Ausbildung wird kein Geheimnis daraus gemacht. Und ich habe es auch schon von ein paar Kollegen gehört.
Ich bin schließlich ein Navy Seal. Mit meiner Ausbildung und meiner Erfahrung kann man mich nicht ewig krankschreiben. Das werden auch die Therapeuten irgendwann einsehen.
Solange bleibt mir jedoch nichts anderes übrig, als mich selber fit zu halten, damit ich es leichter habe, wieder in das Training hineinzufinden, sobald ich wieder im Dienst bin.
Daher werfe ich die dünne Decke zur Seite und verlasse mein Bett. Schnell ziehe ich meine Trainingssachen an und binde meine Sportschuhe zu.
Ich will nicht mehr Zeit verlieren, als es unbedingt nötig ist.
So schnell wie möglich renne ich die Straße entlang, nachdem ich das Haus verlasse habe, in der ich wohne, und entferne mich so immer weiter von meinem zu Hause. Und je weiter ich renne, umso befreiter kann ich atmen. Es fühlt sich richtig an und mehr ist nicht für mich wichtig. Ein wenig kommt es mir so vor, als würden all meine Probleme verschwinden.
Schon früher war es so. Beim Sport konnte ich alles vergessen und mich nur noch auf mein Training konzentrieren. Es hat mir dabei geholfen, dass ich die Dinge von einer anderen Seite sehe.
Bei diesem Punkt hat das bis jetzt noch nicht funktioniert, denke ich zähneknirschend.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon unterwegs bin. Doch ich spüre die Energie, die durch meinen Körper fließt und weiß, dass ich noch eine Weile so weitermachen kann. Daher mache ich das auch.
Gerade gibt es nichts, was mich stoppen kann.
Ich will mich auspowern und den ganzen Mist vergessen, der in meinem Leben passiert und passiert ist. Und das geht nur, wenn ich laufe und trainiere.
Als