„Warum?“ wollte Udo wissen. „Es ist doch viel einfacher, wenn wir zu ihm gehen. Dann kannst du noch ein paar Sachen mitnehmen.“
Ruth nickte: „Stimmt, die Sache hat nur den Haken, dass er dich nicht in seiner Wohnung haben will. Also muss er zu uns kommen. Ach, lass uns über was Schöneres reden!“
Auch in dieser Nacht musste Ruth Udos trinkfeste Ausdauer überstehen, sodass sie erst am frühen Morgen ins Bett kamen. Trotz übermäßigem Alkohol war Udo sexuell genauso aktiv und einfühlsam wie sonst auch.
Erst am späten Samstagnachmittag meldete sich Robert telefonisch.
Aber entgegen seiner vorherigen Äußerung verlangte er Ruth solle zu ihm kommen.
„Dann kommt Udo aber mit.“ Machte sie zur Bedingung.
„Meinetwegen!“ knurrte Robert.
Überraschenderweise weigerte sich Udo mitzukommen. „Nein, nicht heute hüh und morgen hot, wie es dem gnädigen Herrn gefällt. Fahr du mal alleine hin, ich fahre ins Sportcafe. Lass mir nur Geld hier.“ Entschied er.
Auch wenn Ruth über Udos Sinneswandel nicht gerade erfreut war, dachte sie, >es ist vielleicht besser so<, als sie eine Stunde später auf dem Weg zu ihrer ehemaligen Wohnung war.
Robert war ungewohnt ruhig und sachlich, aber die Kinder gingen ihrer Mutter ganz offensichtlich aus dem Weg, sie demonstrierten deutlich ihr Missfallen indem sie sich in das Fernsehprogramm vertieften.
„Lass uns im Büro reden!“ schlug Robert vor.
Auf Ruths Zögern versicherte er: „Keine Sorge, ich will dich weder zum Bleiben überreden noch angreifen. Wir müssen schließlich eine Lösung finden, mit der auch die Kinder leben können. Hier schaffe ich es nicht, die Beiden alleine zu versorgen. Im Haus meiner Eltern war das anders. Also wie stellst du dir die Trennung vor?“
Als Ruth die kleine grüne Ledergarnitur im Büro sah, wusste sie gleich was sie wollte: „Du hast Recht Robert. Die Ramona kann bei dir bleiben, die wird dir auch im Haushalt helfen können, aber der Rene ist noch zu flapsig um nachmittags alleine zu sein, denn auf die Ramona hört er sowieso nicht. Sobald ich eine Wohnung habe, und da werde ich jetzt mit Druck dran arbeiten, hole ich den Kleinen zu mir. Wenn wir uns nicht bekämpfen, sondern in Frieden alles regeln, können die Kinder ja zwischen dir und mir pendeln wie sie Lust haben. An mir soll es nicht liegen. Hier die kleine Ledergarnitur möchte ich gerne mitnehmen, du hast ja im Wohnzimmer die große Veloursgarnitur und brauchst ja keine zwei. Dann natürlich für Rene sein Bett, seinen kleinen Kleiderschrank, und Bettzeug mit Wäsche. Wir haben ja reichlich Handtücher und Bettwäsche, da kannst du die Hälfte entbehren. Tja, und ich will die Scheidung einreichen, einverständlich wäre für uns beide billiger, dann brauchst du keinen Anwalt, den bezahle ich dann.“
Robert war mit allem einverstanden und Ruth konnte in Ruhe noch einen Teil ihrer Kleidung einpacken.
In der Zeit hatte Robert mit den Kindern gesprochen, sodass sie sich nicht mehr ganz so abweisend verhielten. Ruth widmete sich noch eine Weile ihren beiden Kindern, hörte sich deren Erlebnisse an, dann verabschiedete sie sich, mit dem Versprechen, immer für sie da zu sein.
Erleichtert stieg sie zwei Stunden später in ihr Auto.
Nachdem Ruth ihre Kleidung in den Schrank geräumt hatte, machte sie sich auf den Weg nach Barmen, jedoch kaufte sie unterwegs noch eine Zeitung. In der Wochenendausgabe würde sie sicher viele Wohnungs-
Angebote finden, sodass sie hoffe, etwas Passendes zu finden.
Gauner und Tagediebe
Udo kam ihr gleich entgegen gestürmt, als sie das Sportcafe betrat.
„Na endlich. Wo warst du denn so lange? Ich brauche Geld. Also so geht das nicht. Ich bin im Brand und kann nicht weiter zocken, weil ich keine Kohle mehr in der Tasche habe. Das läuft demnächst anders. Gib!“ knurrte er missgestimmt.
Seine Ausdrucksweise war ihr zwar fremd, aber er ließ keinen Zweifel daran, dass er sich verausgabt hatte.
„Aber wieso? Du hattest doch bestimmt dreihundert Mark in der Tasche. Hast du das alles verspielt?“ war das für sie kaum vorstellbar. „Das geht doch nicht, Udo. Wir brauchen das Geld für eine Wohnung. Ein paar Sachen kann ich von Robert haben, aber nur fürs Wohnzimmer. Wir brauchen dann noch Küchen- und Schlafzimmermöbel, dazu reicht das, was wir haben, nicht einmal.“ Belehrte sie ihn vorwurfsvoll.
Ärgerlich schnauzte er sie hart an: „Quatsch jetzt nicht, wegen der Wasserflöhe. Gib was du bei dir hast. Ich hab Schulden zu bezahlen. Wir werden noch genug Geld für Möbel verdienen, noch haben wir ja gar keine Wohnung. Und notfalls kaufen wir gebrauchte Möbel. Meine Schränke werde ich auch von der Manuela abholen, damit kommen wir schon klar. Also gib Geld, alles was du bei dir hast! Nun mach, die Partie läuft noch!“ befahl er.
Geschockt starrte Ruth ihren Freund an, dann stotterte sie: „Ich habe tatsächlich das Meiste zu Hause gelassen. Ich habe nur Zweihundert mitgenommen und davon habe ich auch schon etwas ausgegeben.“
Verärgert verzog er das Gesicht und knurrte: „Scheiße! Also gut, muss ich meine Schulden morgen bezahlen, das ist nicht so tragisch. Also gib mir was du hast.“ Als laute Geräusche von Stühlen rücken zu hören war, ärgerte sich Udo: „So ein Mist, die Partie ist zu Ende. Jetzt kann ich heute meine Kohle nicht mehr zurück gewinnen. Tja, das hast du nun erreicht. Dann können wir ja gehen. Warte, ich sag eben Bescheid, dass ich morgen bezahle.“
Alle Männer, die aus der Spielecke aufgestanden waren, verteilten sich in dem großen Saal in mehrere Richtungen.
Ruth sah, dass Udo mit einem glatzköpfigen älteren Mann sprach, zu ihr rüber zeigte, worauf der Glatzköpfige nickte.
Dann kam Udo auf Ruth zu, nahm sie grob beim Arm und dirigierte sie zum Ausgang. „Jetzt gehen wir ins Landhaus, ein leckeres Steak essen, damit die wenige Kohle wenigstens unserem Magen zugute kommt. Ich habe Hunger.“ Dagegen hatte sie nichts einzuwenden.
„Sag mal, mir ist aufgefallen, dass immer die gleichen Leute im Sportcafe sind, und zwar zu jeder Tageszeit. Und alle zocken immer. Wann arbeiten die Leute denn, und woher haben die denn so viel Geld?“ fragte Ruth unterwegs.
Udo lachte laut auf, belehrte sie: „Dummchen, arbeiten? Die versauen sich doch nicht den Tag mit Arbeit. Nein, das sind alles kleine Gauner und Tagediebe. Die verdienen mit zocken oder anderen steuerfreien Tätigkeiten was sie brauchen.“
Verwundert wollte Ruth wissen: „Und wenn sie verlieren? Die können doch nicht immer gewinnen, oder? Du hast ja bisher auch nur verloren, jedenfalls habe ich noch nicht gesehen, dass du gewonnen hast. Woher nehmen die das Geld zum Leben? Und wieso nennst du die Leute Tagediebe?“
„Ich weiß es nicht genau, aber einige Mitternachtskaufleute sind dabei, Luden und Taschendiebe, und manche kriegen auch ihr Geld vom Arbeitsamt, oder Sozialamt. Aber ich nenne sie alle Tagediebe, weil sie alle nicht arbeiten sondern dem lieben Gott den Tag stehlen.“ Erklärte er schmunzelnd.
Ruth verkniff sich die Bemerkung, dass er sich dann also auch zu den Tagedieben zählen müsse, weil sie diese Bezeichnung für ihren Lebensgefährten nicht akzeptieren wollte. Obwohl man es den Männern keineswegs ansah, hatte Ruth sich schon gedacht, dass die Gäste des Sportcafes keine Otto-Normalverbraucher waren. Ihre Ausstrahlung war Ungewöhnlich. Zwar hatte sie sich die Männer nicht genau angesehen, aber ihr war aufgefallen, dass sie alle mit einer gelassenen Ruhe, je nach Spiel, gegen- oder miteinander spielten, und dabei eine Zufriedenheit ausstrahlten, die bemerkenswert war. Keine Eile oder Hektik war erkennbar, nicht einmal Ärger bei Verlust. Sie verhielten sich seltsam übereinstimmend, als sei es gesichert, dass der Ausgleich vorbestimmt war. Es machte den Männern Spaß, ja das war es wohl, es war nur Spaß. Konnte das der Grund sein? Dass diese Clique das Leben nicht ernst nahm? Dass sie aus Spaß gegen jede Regel verstießen, oder aus Respektlosigkeit?
Während des Essens berichtete Ruth von Roberts Entgegenkommen,