Skizzen aus dem Seeleben – Aus dem Matrosenleben – Aus der See
Skizzen aus dem Seeleben – Aus dem Matrosenleben – Aus der See
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Das Auswandererschiff
Das Auswandererschiff
https://www.projekt-gutenberg.org/gerstaec/blauwass/chap002.html
Von einer günstigen Brise getrieben glitt das wackere Auswanderer-Schiff, die „CAPTAUBE“, die schon acht Tage durch stürmisches Wetter in der Mündung der Schelde und in der Nordsee zurückgehalten worden, über die wieder ziemlich beruhigte Flut in den Kanal hinein und zwischen Calais und Dover hin.
Die „CAPTAUBE“ kam von Antwerpen mit hundert und dreißig Auswanderern nach New-York bestimmt.
Für Passagiere ganz besonders mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten, räumlichen Decks und Kajüten, gutem Proviant und Wasser ausgestattet, fingen die meisten der Leute, wie sie nur einmal den ersten Anfall der Seekrankheit überstanden hatten, schon an, sich wohl und behaglich an Bord zu fühlen. So recht zur Besinnung war aber noch Keiner gekommen.
Es ist auch ein wunderliches Gefühl, auf einem solchen Fahrzeug sein Alles eingeschifft zu haben, für eine andere Welt. – Wenn wir nur eine Reise unternehmen, und sei sie noch so weit, wären selbst Jahre für ihre Dauer bestimmt, der Schwerpunkt unseres Lebens bleibt doch im Vaterlande zurück; der Platz, der unsere Heimat geworden, bleibt derselbe. Hunderte uns liebe Wesen und Dinge lassen wir mit dem Bewusstsein hinter uns, sie wieder zu finden, wenn wir zurückkehren, und die Freude des Wiedersehens wirft Ihre Strahlen schon jetzt auf jenes Bild. Mit gepacktem Koffer machen wir nur eben einmal einen Sprung ins Leben hinein, um zu sehen, wie sie's draußen treiben, halten unsern Rücken dabei gedeckt, und sind wir's müde, treten wir den Heimweg an. Wir haben einen Platz, wohin wir gehören; geht es uns draußen schlecht, was tut's? ist die Reise vorüber, können wir uns daheim wieder erholen.
Die fremden Länder, die wir betreten, behalten dabei eine ganz bestimmte Färbung; wir interessieren uns wohl für sie, aber mehr auch nicht; wir freuen uns ihrer Szenerie, ihres Klimas, der Sitten und Gebräuche ihrer Völker, wie man etwa ein schönes Gemälde betrachtet oder ein gutes Buch liest, aber unser Herz hängt nicht weiter daran, und eine neue Landschaft lässt uns die früher gesehene bald vergessen. – Wir sind nicht gezwungen, uns dort heimisch zu fühlen.
Wie anders ist das, wenn der scharfe Kiel, der unser Alles trägt, die Flut dem fernen Weltteil zu durchfurcht; wenn die Brücke zum Vaterland hinter uns abgebrochen liegt und wir die Heimat gemieden haben auf Nimmerwiederkehr. Wir wissen, was wir hier verlassen, aber nicht, was wir dort wiederfinden, und der dunkle Schleier, der über der Zukunft liegt, füllt da nicht selten selbst das Herz des Mutigsten mit banger Sorge.
Ein herrliches Mittel dagegen ist die Seekrankheit. In dem müßigen, monotonen Leben der Seefahrt würden sich Tausende von denen, die ihr Vaterland für immer verlassen haben, nur dumpfem Brüten und Trübsinn hingeben und den Schmerz der Trennung viel schwerer, viel furchtbarer empfinden; aber ehe sie an Bord nur recht zur Besinnung kommen können und kaum im Stand sind, ihre Sachen zu ordnen zu der langen Fahrt, und sich nur ein klein wenig bequem in dem neuen, ungewohnten und eigentlich höchst unbequemen Leben einzurichten, naht mit dem ersten Schaukeln des Schiffes der unerbittliche, erbarmungslose Feind und ertränkt in Vergessen das Vergangene.
Von dem Augenblick an, wo der Mensch seekrank ist, existiert keine weitere Welt mehr für ihn, weder in Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft. – Was er daheim verlassen, was dort drüben aus ihm wird, was hier mit ihm geschieht – bah – was kümmert's ihn; er hört und sieht und riecht und schmeckt nicht mehr. Der einzige Sinn, der ihm geblieben, ist das Gefühl – das Gefühl grenzenlosen, unbegriffenen Elends und einer Gleichgültigkeit wieder, sogar hiergegen, die ihn selber in Erstaunen setzen würde, wenn es noch irgendetwas auf der Welt gäbe, das dies bewirken könnte.
Dieser Zustand hat eine solche Konsistenz, dass die Vergangenheit, selbst wenn er endlich gewichen, doch nur wie mit einem dichten Schleier bedeckt hinter uns liegt und dem scharfen Schmerz des Abschieds keine Gewalt mehr über das Herz gestattet. Mit ihm beginnt gewissermaßen ein ganz neuer Abschnitt unseres Lebens, und eigentümlich zu beobachten ist die Veränderung, die in dem ganzen Wesen und Betragen der Passagiere nach dem ersten eintretenden stillen Wetter vor sich geht. Die Leute sind gar nicht mehr dieselben; die heimatliche Küste ist außer Sicht, dieser furchtbare Zustand zwischen Leben und Sterben, vor dem sie sich nicht retten konnten, gewichen, und das weite, offene Meer um sie her, mit seinen leichten plätschernden Wogen, der Anblick der geblähten Segel, des vorn am Bug aufträufelnden Schaumes und Gischts, wie das wackere Schiff so rasch die Flut durchschneidet, füllt ihre Seelen mit neuer Lebenslust, mit frischer, fröhlicher Hoffnung bis zum Rand.
Amerika, das ist das Ziel jetzt, dem sie entgegen streben, und wenn sie abends nach dem dünnen Tee oben auf dem Verdeck sitzen und die Sterne über sich funkeln sehen, die Wasser unter sich rauschen hören, dann scharen sie sich zu kleinen Gruppen zusammen, wie sie sich eben neben einander gefunden an Bord, und bauen sich Schlösser in die blaue, reine Luft, die hoch zu den Wolken reichen und mit diesen gen Westen ziehen – aber traurig ist Keiner mehr.
So mancher schöne Plan wird da ersonnen, wie mancher phantastische Traum ausgebrütet und gehegt. Gar weh freilich würde Vielen von ihnen ums. Herz sein, wenn sie vorher wüssten, wie bei den Meisten es nur eben Pläne, nur eben Träume bleiben sollen. Aber die Zukunft birgt das noch in ihrem dunkeln Schoss, und durch den tausendfarbigen Regenbogen der Hoffnung liegt ihnen das ferne Land schon jetzt in Paradieses Pracht und Schmuck vor Augen.
Wie sie lachen dabei und singen und jubeln – sind das dieselben Menschen, die erst vor wenig Wochen mit rotgeweinten Augen am heimischen Strande standen und denen das Herz brechen wollte von bitterem Weh und Leid? – Fort mit den Sorgen! Amerika, das ist das Zauberwort, dem alle trüben Gedanken weichen mussten, und „wenn wir nur erst einmal dort sind!“ lautet der Tröstungsruf. Indessen haben sie weiter nichts zu tun als zu essen, zu trinken und sich zu amüsieren, bis sie der Kapitän an Ort und Stelle liefert, und sie tun das eben nach besten Kräften.
Hier sitzen ein paar oben an Deck um einen umgestülpten Waschkübel und spielen Karten; dort steht eine kleine Gruppe um einen kurzen, dicken Schuhmacher, den Spaßvogel des Schiffes, herum, den Geschichten zu lauschen, die er ihnen erzählt, und über die sie sich ausschütten wollen vor Lachen. Hier kauern einige vorn auf der Back des Schiffes und singen, und andere liegen lang ausgestreckt auf den warmen Planken in der Sonne und schauen zu den schwankenden, neigenden Masten und den über ihnen hinziehenden Wolken hinauf, die herüber und hinüber zu schießen scheinen am Firmament. Ein Teil hat sich aber nützlicheren Beschäftigungen gewidmet, reinigt sein Geschirr oder seine Kleider, wäscht und bessert aus, und die Frauen besonders sind mit den Kindern in voller Arbeit, an denen sie ebenfalls gerade wie an dem Geschirr, zu putzen und zu scheuern haben, und die sich trotzdem am allerwohlsten an Bord zu fühlen scheinen.
Das Kind richtet sich auch am leichtesten in solch' neue Verhältnisse ein; sein junger Geist ist nur dem Augenblick empfänglich, und neue Eindrücke prägen sich so rasch dem Kinderherzen ein, als es die älteren schnell und leicht verwischt. Was weiß es von Vergangenheit und Zukunft; seine kleine Welt umschließt eben der Augenblick, und in dem engen Kreis hat es an Lust und Sorgen, Schmerz und Freude auch wieder gerade so viel zu tragen, wie's eben tragen kann.
So dauert es denn auch gewöhnlich gar nicht lange, und die Kinder, die überdies am wenigsten von der Seekrankheit ergriffen werden, spielen und haschen sich, selbst bei schwerem Wetter, munter über Deck, lachen und jubeln, wenn sie eine Spritzwelle trifft,