Zunächst erwuchsen daraus keine Schwierigkeiten. Der römische Stadtadel war eine Gegnerschaft des Papstes, die ihn immer noch des fränkischen Schutzes bedürftig machte. Leo III., Hadrians Nachfolger, wurde von seinen römischen Feinden so verfolgt, dass er sich und sein Schicksal Karl völlig überantwortete. Er suchte ihn in Paderborn auf, wo der König Hof hielt. Karl liebte diesen Ort am Fuße des Teutoburger Waldes, der ihm zu einer Stätte des Ruhms wie kaum ein anderer werden sollte; denn hier empfing nach dreißigjährigen erbitterten Kämpfen sein gefährlichster, sein größter Gegner, der Sachse Widukind, die Taufe.
Widukind
Er mochte Augenblicke haben, wo das Rauschen des Eichwaldes ihm wie ein Gotteswort des Friedens klang, das das vergossene Blut sühnte. An Stelle der Salvatorkirche, die im Sachsenkrieg zerstört war, hatte er nahe dem Quell der Pader einen Dom aus Stein errichtet, der den Zeitgenossen prächtig erschien; er wurde 200 Jahre später durch eine Feuersbrunst vernichtet. Er war noch nicht vollendet, als Papst Leo zum Gedächtnis seiner Anwesenheit einen Altar darin weihte. Was sich sonst an Häusern in Paderborn vorfand, war vermutlich aus Holz und ziemlich dürftig; wenn aber der Ort dem Italiener nicht sonderlich imponierte, so tat es doch die Menge gerüsteter Krieger, die ihn empfing, und vor allem der König selbst im meergrünen Mantel mit dem edelsteingeschmückten Schwert und dem Diadem, wie er sich an Festtagen trug. Trotz der Anklage, die auf dem Papst lastete, wobei es sich hauptsächlich um Meineid und Ehebruch handelte, empfing ihn Karl mit allen Ehren, umarmte und küsste ihn, von vornherein entschlossen, ihn für unschuldig zu halten. Man nimmt an, dass bei dieser Begegnung die Krönung des Königs zum römischen Kaiser beredet wurde; sie war die Gegengabe des Papstes für den Schutz, den Karl ihm gewährte. Dennoch scheint es, dass der König, als ihm Leo am Weihnachtstag des Jahres 800 in der Basilika des heiligen Petrus die Krone aufsetzte, überrascht war; er hat später gesagt, dass er nicht in die Kirche gegangen sein würde, wenn ihm das Vorhaben des Heiligen Vaters bekannt gewesen wäre. Die Gründe dafür kennen wir nicht; es ist möglich, dass er fürchtete, sich durch diesen Akt die Feindschaft des oströmischen Kaisers zuzuziehen, möglich auch, dass er vorgezogen hätte, sich selbst zu krönen, wie er denn vor seinem Tod seinem Sohn Ludwig befahl, sich die Krone aufs Haupt zu setzen und sich Kaiser und Augustus nennen zu lassen. Diesen Titel führte er selbst seit der Krönung in Rom.
Die Übertragung der Cäsarenwürde auf den Frankenkönig war ein Ereignis von ungeheurer, einschneidender Bedeutung; aber da sie nicht ein neues Verhältnis schuf, sondern einer allmählich vollendeten Entwicklung Ausdruck gab, empfand sie Karl wohl als etwas Selbstverständliches. Das Weltreich bestand, es war die Form, in der seit Jahrhunderten die Menschen lebten. Durch die Entstehung des großen fränkischen Reiches war Byzanz an den Rand gedrängt, der mächtige Germanenfürst als tragende Säule in die Mitte des Weltreiches gerückt. Von ihm strahlte schaffende Kraft nach allen Seiten aus; der Titel verlieh ihm nichts, besiegelte nur das, was war. Die Möglichkeit künftiger Verwicklungen und Gefahren, die aus der Beziehung zum römischen Papst entstehen konnten, wird ihn nicht ernstlich beunruhigt haben; dazu lebte er zu sehr in der Fülle der Zeit.
Karl der Große war einer der Berufenen, die das Zusammengehörige, aber Vereinzelte zu einem lebendigen Ganzen ordnen, und die von den dankbaren Völkern, deren Geschichte sie begründet haben, wie Halbgötter verehrt wurden. Seine Vorfahren hatten das große Werk vorbereitet, Thüringen, Schwaben, Bayern fand er bereits mit den Franken vereinigt, auch die Sachsen und Friesen hatte Pipin schon zu unterwerfen versucht. Was ihn vor jenen auszeichnete, war, dass er dem neugeschaffenen Körper eine gemeinsame Ordnung, einen gemeinsamen Sinn und Geist gab.
Zu den Büchern, die Karl mit Vorliebe las, gehörte der Gottesstaat des heiligen Augustinus. Der edle Schwung, der es erfüllt, die unerschütterliche Überzeugung eines durch Anlage und Bildung überlegenen Geistes machen die Wirkung, die es jahrhundertelang ausgeübt hat, verständlich, mehr noch vielleicht die Einfachheit und doch auch Vieldeutigkeit der Gedankengänge. Schon in dem ersten Brüderpaar der Menschheit, in Kain und Abel, so sieht Augustinus den Sinn der Geschichte, spaltete sie sich in zwei Reiche, in ein solches, das Gott angehört, und in ein solches, das den Menschen folgt, menschlichen Begierden, menschlicher Einsicht, menschlichen Zwecken. Das Reich Gottes steht innerhalb der Menschheit gegenüber der Welt oder dem Reich der Menschen, das durchaus nicht etwa des Verstandes, der Bildung, der Tugend ermangelt, aber auf menschliche und irdische Zwecke beschränkt ist und zweifelhafte irdische Genüsse durch ewiges Verderben erkauft. Das Reich Gottes ruht auf dem Glauben und gewinnt das ewige Leben, es beginnt hienieden in Hoffnung und entfaltet sich drüben im Schauen.
Augustinus von Hippo, meist ohne Zusatz „Augustinus“ oder „Augustin“, gelegentlich auch „Augustinus von Thagaste“ oder (wohl nicht authentisch) „Aurelius Augustinus“ (* 13. November 354 in Tagaste, heute Souk Ahras, Algerien; † 28)
Augustinus wusste, dass nicht alle, die sich Christen nannten, Christen waren, aber die Kirche, die das Wissen von Gott und den göttlichen Dingen lehrte, der zu seiner Zeit alle Christen angehörten, ohne die die Nachfolge Christi als nur von einzelnen verwirklicht ohne Halt und ohne Dauer gewesen wäre, fiel ihm zusammen mit dem Gottesstaat, während der heidnische Staat diejenigen umfasste, die sich der Gnade Gottes entzogen. Der Gedanke lag nahe, Kirche und Staat überhaupt als Gottesstaat und Menschenstaat oder Welt einander entgegenzusetzen; man konnte aber auch den Schluss ziehen, dass zwischen Kirche und dem inzwischen christlich gewordenen Staat kein Unterschied mehr bestehe und nur die gesamte Heidenschaft als gnadenloses, der Verdammnis geweihtes Reich aufzufassen sei. So sah es Karl der Große an; sein Reich sollte ein Gottesreich sein, das als solches die Kirche ehrte und schützte und ihre Lehre verbreitete. Vergleicht man ihn mit Bonifatius, so tritt die Freiheit und das Schöpferische seines Geistes bewunderungswürdig hervor. Er ließ sich gern belehren, verzichtete aber nie auf eigenes Urteil. In Bezug auf manche kirchlichen Fragen, zum Beispiel auf den Bilderdienst, hatte er andere Ansichten als der Papst. Zuweilen war er derjenige, der die Richtung gab. Er hatte eine durch Erleben und Nachdenken gewonnene Überzeugung. Wenn er sich auch als Schirmherr der Kirche und des christlichen Glaubens fühlte, so verfolgte er doch Andersdenkende nicht. Allerdings zwang er mit Härte den Sachsen das Christentum auf; das war ein Mittel zur Einigung der Stämme, und die strengsten Strafen konnten sofort gemildert werden, wenn der Schuldige seine Zuflucht zur christlichen Kirche oder zu einem christlichen Priester nahm. Während Bonifatius Bedenken trug, mit einem Christen, den er nicht für ganz rechtgläubig hielt, der im geringsten vom römischen Kanon abwich, zu sprechen und zu essen, trat Karl der Große in freundschaftliche Beziehung zu Harun al Raschid, sammelte er die alten Volkslieder, in denen die Germanen die Taten ihrer Helden verherrlicht hatten.
Harun ar-Raschid (geboren um 763 möglicherweise in Rey; gestorben 809 in Tūs in Persien, begraben in Maschhad) stammte aus dem Geschlecht der Abbasiden.
Der Charakter des Gottesreiches sollte sich nicht nur durch den Schutz der Kirche, sondern durch die vom König ausfließende Gerechtigkeit erweisen. Die Sage erzählt, dass in Zürich, in einem dem Münster gegenüberliegenden Haus, wo der Kaiser zu wohnen pflegte, eine Glocke angebracht war, damit jeder Rechtsuchende sich bei Karl melden könne. Eines Tages läutete dort eine