COLLEGIUM.. Wolfgang Priedl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Priedl
Издательство: Bookwire
Серия: Holzinger ermittelt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753191782
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Tages wird alles gut, sagte er sich und nippte an seinem Kaffee.

      *

      Auf der Autobahn ignorierte er so manche Geschwindigkeitsbegrenzung. Beschwingt trällerte er das Lied aus dem Autoradio mit.

      Das kaum merkbare Vibrieren, das er seit dem Morgen im Lenkrad vernahm, verstärkte sich mit jedem Kilometer.

      ›Die Kiste gehört zum Service‹, dachte er und ignorierte das Flattern. Die Silhouette, die er auf der Brücke erspähte, half ihm dabei. Sie rief Vorfälle in sein Gedächtnis, bei denen Pflastersteine auf Fahrzeuge geworfen wurden.

      Er beugte seinen Oberkörper vor, den Blick so lange wie möglich auf die Gestalt gerichtet, während er unter der Brücke hindurchraste.

      ›Du wirst paranoid‹, dachte er und schüttelte indigniert den Kopf.

      Unbewusst suchte er die folgenden Brücken nach Personen ab, erspähte jedoch niemanden.

      Mit zwei Fingern steuerte er der Überholspur entlang. Die Vibrationen des Volants massierten seine Hand.

      Plötzlich verdrehte sich das Lenkrad.

      Adrenalin jagte seinen Puls in astronomische Höhen.

      Er benötigte zwei Fahrspuren, um das Auto in der Spur zu halten. Klug drehte wie verrückt am Volant, aber sein Gegenlenken verstärkte das Schleudern, anstatt es zu mindern. Die Musik im Inneren überdeckte das Wimmern der Reifen.

      Sein Wagen prallte gegen die Mittelleitplanke, hob ab und rollte um die Längsachse.

      Alles schien ab diesem Moment in Zeitlupe abzulaufen.

      Hatte seine letzte Stunde geschlagen?

      Wenn ja, dann müsste doch sein ganzes Leben im Geiste vorüberziehen.

      Im Gegenteil: Mit schreckgeweiteten Augen sah er die Leitschiene über ihm vorüberjagen.

      Kopfüber flog er auf den Brückenpfeiler zu.

      Plötzlich umgab ihn unendliche Stille.

      2

      Der Mann humpelte im Intercity an den Sitzreihen vorüber. Wiederholt stützte er sich auf seinen Gehstock. Als er zwei freie, gegenüberliegende Sitzplätze fand, klemmte er den Stock hinter die Lehne und bedeutete seiner Begleiterin, Platz zu nehmen. Er unterdrückte ein Stöhnen und ließ sich auf den Sitz gleiten.

      »Schmerzen?«, erkundigte sich Sarah Mutes fürsorglich.

      »Danke der Nachfrage – es geht«, erwiderte Peter Holzinger mit leidender Miene und nahm beide Hände zur Hilfe, um sein Bein in den Fußraum zu ziehen.

      »Du hast nie erzählt, wie es zu dem Unfall kam.«

      »Sarah, ich spreche nicht gerne darüber. – Na schön, wenn du es unbedingt wissen möchtest: Im Jänner war ich am Penkenjoch. Es war ein idealer Tag, um mit dem Gleitschirm zu fliegen. Ich startete mit angeschnallten Skiern, fand schnell den von mir erhofften Aufwind und drehte einige Runden über der Bergstation. Ich flog hinunter zur Mittelstation, wo mir die Gäste aus der Schirmbar zuwinkten. War lustig. – Nach einer Stunde steuerte ich die Wiese vor Mayrhofen an, um zu landen. Wie es der Teufel haben wollte, verkantete ich bei der Landung mit den Schiern im Tiefschnee und das rechte Bein wurde plötzlich festgehalten. Mein Körper verdrehte sich und die Zugkraft des Schirmes ließ mir keine Chance. Ich konnte hören, wie die Kreuzbänder mit einem lauten Schnalzen rissen. Wie sich später herausstellte, fädelte ich unter der obersten Drahtverspannung eines Weidezaunes ein. Im Krankenhaus stellte man die Ruptur sämtlicher Bandstrukturen mit knöchernen Ausriss fest und einen Bruch des Knöchels. Während der mehrstündigen Operation nähten sie den zerfetzten Meniskus wieder zusammen, fixierten das Knie mit fünf Titanschrauben und die restlichen stecken im Fußgelenk.«

      Nachdenklich kratzte er an seinem Vollbart.

      »Oh Gott! – So detailliert wollte ich das nicht wissen. Wirst du in Zukunft deinen Schirm an den Nagel hängen?«

      »Sarah – wo denkst du hin?!« Peter massierte sich das Knie.

      »Der Unfall hat mehr mit Skifahren zu tun, als mit dem Gleitschirmfliegen. – Es ist zum aus der Haut fahren.«

      Er schaute aus dem Fenster.

      »Bald bin ich die Schrauben los, und dann wird alles wieder gut. – Schau, wir sind gleich am Flughafen Schiphol.«

      »Von welchem Terminal fliegen wir ab?«

      »Vom Pier B starten wir Richtung Heimat.«

      Dumpf erklang die Melodie des River-Kwai-Marsches. Peter fingerte sein Mobile aus dem Sakko hervor und warf einen Blick auf das Display, auf dem der Name ›RICHARD‹ blinkte.

      »Hallo. Das ist eine Überraschung: der Rentner, Oberst Tomacic. Wie geht es dir?! Angelst du noch immer ohne Köder?«

      »Natürlich. Ein Wurm hat auf meinem Haken nichts verloren. Ich verletze doch kein Fischerl. Oder glaubst du, dass Fische schmerzunempfindlich sind, weil sie nicht schreien können? Lassen wir das … ich gratuliere dir zur Beförderung zum Verbindungsoffizier im Rahmen der Europol. Deine Karriere gefällt mir – bin mächtig stolz auf meinen ehemaligen Schützling. – Ich habe gehört, dass ihr ein neues Büro bezieht?«

      »Danke, danke. Unsere Abteilung ist ab sofort direkt dem Innenministerium – inklusive Sonderbefugnissen – unterstellt. Zudem haben sie mir zusätzlich die Koordination von Central-South-Europe umgehängt. Wir haben den Antrittsbesuch absolviert und das Briefing für unseren ersten Fall erhalten. – Übrigens, Sarah sitzt mir gegenüber. Ich soll liebe Grüße ausrichten. Wir fahren im Intercity von Den Haag zum Amsterdamer Flughafen. – Ich hoffe, du besuchst uns bald in den neuen Räumlichkeiten.«

      »Sicherlich, Herr Oberstleutnant. Hast du schon ein Team zusammengestellt?«

      »Meine Crew besteht im Augenblick aus drei Personen. Sarah, Perez und mir … «

      »… Perez? Du meinst doch nicht Oberleutnant Lucas Perez, diesen jungen, vielsprachigen Latino-Computer-Fuzzi, der uns seinerzeit geholfen hat?«

      »Ja, von dem spreche ich. – Er ist mittlerweile Hauptmann.«

      »Der ist nett, aber auch ein wenig eigenartig. Bewarb er sich nicht bei der Europol in Den Haag?! Wieso ist er in deinem Team?«

      »Du kennst ihn ja. Was du ihm seinerzeit prophezeit hattest, ist eingetreten. Er wollte nicht mehr länger im Headquarter bleiben, um an einer Verdächtigen-Datei zu Analysezwecken zu arbeiten, die das Prinzip der Unschuldsvermutung umkehrt. Er hat von dieser Stadt die Schnauze voll und nahm – ohne viel nachzudenken – mein Angebot an.«

      »Na ja, dann sind die Bärtigen unter sich. Trägt er noch immer Nickelbrille und sein komisches Baseballkapperl?«

      »Yepp. Die Kappe noch immer verkehrt herum.«

      »Manche ändern sich nie. Er ist zwar ein hervorragender Analytiker, aber ich warne dich: Er verlässt gerne ausgetretene Pfade. Viel früher als du. Daher mein Rat, seid auf der Hut.«

      »Danke. Ich kenne ihn nur zu gut. Wir haben gemeinsam die Ausbildung für leitende Beamte an der FH Wiener Neustadt absolviert. – Außerdem: Du weißt, auf deinen Ratschlag höre ich immer …«

      »… seit wann?«, fiel ihm Richard amüsiert ins Wort.

      »Bitte keine Geschichten aus vergangenen Zeiten aufwärmen. Apropos Lucas: Er sucht eine Absteige in Wien, denn die elterliche Wohnung ist vermietet …«

      »… Ach ja, stimmt. Seine Alten übersiedelten zurück nach Barcelona. Ich hätte das Obergeschoss frei – wenn er will, kann er bei mir einziehen. Ich sage es aber gleich: Mit dem Internetanschluss hapert es: Glasfaserkabel gibt es bei mir nicht.«

      »Wir treffen ihn am Flughafen.