Ich erinnerte mich an eine Veranstaltung im Jahr davor, wo sich der technische Ausrichter weigerte die nach seinem Augenmaß aufgestellten Ziele auf genau 10 Meter Entfernung zu platzieren. So standen sie in 11,5 Meter Distanz. Das Problem ist dann weniger, das kleinere Ziel zu treffen, als die zu tief zielende Visierung einzuschätzen. Folglich gingen 30 % meiner Treffer damals exakt in der Mitte weinge Millmeter über das Ziel. Heute stimmten aber die Entfernungen, was mich bei meinen Überlegungen etwas beruhigte.
Der eine Kilometer auf Cross-Skates zur Laseranlage war keine lange Strecke mehr, doch ich war etwas überrascht, dass mein Sportsbekannter nur zwei Sekunden hinter mir zum liegenden Schießen eintraf. Ich traf sicher, fehlerfrei und schnell, aber mein Nachbar schoss noch schneller, einfach unglaublich schnell! Meine nur drei Sekunden Rückstand zeigten sich dann als fast 20 Meter Abstand zu ihm. Jetzt steckte ich in der Zwickmühle, ich musste ihn nach Möglichkeit wieder überholen ohne es zu riskieren, beim anschließenden anspruchsvolleren stehenden Schießen zu viel zu wagen. Nach 2 Kilometern auf den Cross-Skates ist man noch frisch, aber das waren wir noch beide und mein Kollege legte ein Tempo vor, das ich kaum mithalten konnte. Trotz theoretisch gleicher Überlegungen war er sich offenbar sicher dieses Tempo aushalten zu können. Am Wendepunkt der Strecke hatte ich ihn zwar wieder eingeholt, wollte bergab aber kein Überholmanöver riskieren und blieb hinter ihm. Also versuchte ich mich „taktisch klug“ zu verhalten, mich etwas zu erholen und es auf ein schnelles und fehlerfreies stehendes Schießen anzulegen. Kurz vor der Laseranlage kam uns meine Frau entgegen, die uns Heißsporne fröhlich und entspannt begrüßte und anfeuerte.
Diesmal rechnete ich mit einem größeren zeitlichen Rückstand nach dem Schießen, konzentrierte mich aber darauf unbedingt fehlerfrei zu bleiben. Das kostete etwas Zeit, doch auch neben mir wurde langsamer geschossen. Rund 5 Sekunden bzw. rund 30 Meter war mein Rückstand, allerdings wäre es keine Schande gegen einen so perfekten Schützen das Nachsehen zu haben. Doch nach dem Cross-Skating stand als Nächstes liegendes Schießen bevor, so dass meine Strategie wieder „Vollgas“ lautete. Schneller als erwartet hatte ich meinen Mitstreiter eingeholt und sogar überholt, vielleicht, weil er eine andere Strategie verfolgte oder aber seine Kräfte schonen musste. Meine Stimmung kippte sofort in eine andere Richtung. Diesmal kam uns, kurz bevor wir den Festplatz erreichten, ein anderer Teilnehmer entgegen, jener ältere Herr, der uns noch vorher Erklärungen über das Schießen geben wollte. Nur noch eine gute Minute aufzuholen, dann würden wir ihn überrunden. Ich hatte ungefähr 40 Meter Vorsprung vor meinem Mitstreiter erkämpft, ziemlich genau der Abstand, den ich mindestens benötigte.
Mein liegendes Schießen ging wieder schnell und fehlerfrei, nebenan aber auch und so sprangen wir fast gleichzeitig auf. Doch ich beschleunigte schneller und lag wieder knapp vorne. Ich war zwar nun derjenige, der den Windschatten spendete, aber damit auch derjenige, der das Tempo vorgab. Ganz langsam wuchs mein Vorsprung, allerdings nicht schneller als auf den letzten drei Abschnitten. So hatte ich nach den 1,8 Kilometern wieder nicht mehr als 50 Meter Vorsprung – es war noch nichts entschieden. Zwar war dieser Wettkampf extrem wenig schießlastig, weil es keine Strafen für Fehlschüsse gab, man musste einfach nur alles „wegballern“, aber jede Sekunde, die man dadurch verlor, konnte trotzdem entscheidend sein.
Als ich zum letzten Schießen kam, lag der ältere Herr noch zum Schießen auf seiner Gummimatte, ich musste schon stehend schießen. Jetzt musste ich mir mehr Zeit nehmen, bekam aber dennoch mit, wie der ältere Herr zwei oder sogar drei Schüsse verschoss und immer noch liegend versuchte zu treffen, während ich schon fertig war. Seine eigenen Schieß-Tipps funktionierten offenbar beim Biathlon nicht so gut. Irgendwie tat er mir leid.
Und wieder hatte ich alles getroffen, wenn auch etwas langsamer. Ich war erleichtert, denn wieder sprang ich gleichzeitig mit meinen Wettkampfbegleiter auf. Wenn er im Training nicht eisenhart an besonderen Endspurt-Qualitäten gearbeitet hatte, sollte ich, auf Grund meines bisher minimal höheren Tempos, nun eigentlich die besseren Karten haben. Aber so etwas ist nie sicher, bevor man nicht im Ziel ist, und ich wollte das so früh wie möglich klar machen. Ein knallharter Endspurt wäre mir auch zu gefährlich gewesen, es darauf ankommen zu lassen. Wenn Moderne Biathloeten fallen, dann auf harten Boden und nicht auf Schnee! Ab nun also Vollgas bis ins Ziel. Bis zum Wendepunkt konnte ich rund 60 Meter Vorsprung herausfahren, das sollte ausreichen, aber im leichten Gefälle zum Ziel schlotterten mir bereits die Knie erheblich und ich fuhr lieber auf Nummer sicher ab. Meinem Verfolger ging es wohl ähnlich, aber größer wurde mein Vorsprung nicht. Die Abbiegung zur kurzen Zielgeraden nahm ich dann flüssiger, als ich befürchtet hatte, und nahm noch viel Schwung mit ins Ziel. Mein Vorsprung im Ziel vor meinem sportlichen Konkurrenten betrug im Ziel nur knappe zehn Sekunden! Bei einem rund 28-minütigem Wettkampf betrachte ich so etwas als sportlichen Gleichstand. Wir tauschten noch einen herzlichen Handschlag und Dank für das harte, aber faire Rennen aus.
Später erfuhr ich, dass meine Zeit am Ende für einen zweiten Gesamtplatz ausgereicht hatte. Meine Lieblingsplatzierung eigentlich, denn dann wird man nicht so laut gefeiert, wie der fast 20 Jahre jüngere Skilangläufer es dann als Sieger mit seinem Fanclub ausgiebig tat. Aber auch „nach vorne“ waren es zum ersten Platz keine 10 Sekunden mehr gewesen. Egal, ob man startet, um zu siegen, oder wie ich, um sich mit anderen „älteren“ Biathleten ein knappes Rennen zu liefern, alle Teilnehmer hatten bei diesem herrlichen Wetter eine spannende und faszinierende Vorstellung des Moderen Biathlonsports gegeben. Was mir erst nachträglich auffiel, war die herrliche Ruhe während des Wettkampfes. Nur der eine Teilnehmer, der seinen Fanclub mitgebracht hatte, wurde lautstark angefeuert, wir anderen nur dezent, was beim konzentrierten Zielen ein riesiger Vorteil war. Auch Profi-Biathleten schützen sich gegen den unsportlichen Lärm der Schlachtenbummler inzwischen häufig mit Ohrenstöpseln. Die Zeiten respektvoller Ruhe am Schießstand scheinen beim Winter-Biathlon vorbei zu sein. Wie angenehm dagegen Moderner Biathlon für die Sportler ist!
Meine Frau kam dann bald als erste Frau, ebenfalls nach fehlerfreiem Schießen, ins Ziel, nur etwa eine Minute nach dem älteren Herrn, der uns vorher noch den Modernen Biathlon erklären wollte, obwohl er ihn selbst nicht erfunden hatte. Moderner Biathlon ist eben in vielerlei Hinsicht anders und nie sicher vor Überraschungen. Den Körper kann man trainieren, aber der Kopf kann einem jederzeit beim Biathlon einen Streich spielen. Die Spannung und Faszination als Teilnehmer ist unbeschreiblich groß und auch alle anderen Teilnehmer, die ich gefragt hatte, haben mir das bisher bestätigt.
Die Sportgeräte
Schon auf dem Titelbild dieses Buchs erkennt man, dass etwas anders ist als beim Wintersport Biathlon. Die Räder unter den Füßen des Sportlers sind kaum zu übersehen, da sie recht groß sind. Moderner Biathlon wird üblicherweise auf so genannten Cross-Skates ausgetragen. Cross-Skates sind nur entfernt ähnlich gebaut wie lange Renn-Inline-Skates. Erheblich unterscheiden sie sich in ihrer Handhabung und im Einsatzgebiet, die sie gegenüber Inline-Skates für das sportliche Training deutlich überlegen macht. Cross-Skates haben ziemlich große Räder mit 125 bis 205 Millimeter großen Luftreifen. Das ergibt eine hervorragende Bodenhaftung und ermöglicht eine gewisse Geländetauglichkeit. Somit können fast alle festen Wege mit Cross-Skates genutzt werden. Man ist nicht mehr auf Stadien, Asphaltwege oder Skirollerbahnen angewiesen. Fast alle Cross-Skates verfügen zusätzlich über eingebaute Bremsen, die beachtliche Verzögerungswerte