Wir hatten mal ein Kind. Ханс Фаллада. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ханс Фаллада
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173091
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von Sagitta, der Nacht für Nacht, Sekunde für Sekunde seine schmerzend weißen Lichtschwerter nicht nur über die See, sondern auch in alle Fenster stieß, daß die ganze Stube gespenstisch aufleuchtete, wieder in Schwärze fiel ... aufleuchtete ... Schwärze fiel. Und alle Nebelzeiten erfüllte er mit seinem tiefen, urwelthaft traurigen Gebrüll, kommend, anschwellend, übermächtig, und langsam wieder schwächer werdend.

      Ein Bauer, der nur seinen Acker sieht, ein Bauer, der Regen und klaren Himmel nur nach seinen Feldern beurteilt, solch Landbauer wird eng, sorgenvoll, sein Blick haftet stets in der Nähe. Die Gäntschow-Bauern sind immer aufgestanden mit dem Blick auf die See, jeder Oststurm hat die rotschnäblige Lachmöwe, die silberköpfige Heringsmöwe in kreischenden Scharen hinter seinen Pflug in die Furche auf die Engerlingsjagd geweht. Die Kähne der Fischer mit ihren düsterbraunen oder lohfarbenen Segeln haben immer irgendwo am Horizont gestanden – das hat gemacht, daß sie von der eigenen Arbeit aufsehen und in die Weite schauen konnten. Ein Bauer, der seinen eigenen Kahn im Wasser hat und der angeln geht, ein Bauer, der abends im Krug mit den Fischern zusammenkommt und nicht nur von Schweinefüttern und Kartoffeligeln, sondern auch von Dorschfang und Heringswaten reden kann, ein Bauer, der nicht nur Bauerstöchter, sondern auch Fischerstöchter, Kapitänstöchter (auf kleine Fahrt) erheiratet – solch Bauer kann ein Herr werden in seinem eingeborenen Königtum, ein wahrer Großbauer mit einer Meute Hunde – und nimmt sich doch nicht zu wichtig.

      Der Hof ist seit vielen hundert Jahren im Besitz der Gäntschows, sie haben hier immer gehaust und gepflügt, auf dem Friedhof in Kirchdorf liegen sie Grab an Grab. In den Flurbüchern heißt es oft Gäntschows Ort, Gäntschows Feld, Zu Gäntschows Bake.

      Man erzählt, daß früher, in grauen Zeiten, die Fiddichower alle zur See gefahren und Räuber gewesen sind, auf Sagitta liegen noch die grasigen Wälle ihrer Ringburg, in die sie sich mit Weib, Kind, Rind und Pferd vor dem Drängen ihrer Feinde flüchteten. Zum letzten Male bargen sie sich dort vor den Kriegerscharen des Herzogs Wisso, der ihnen die sanfte Lehre des Christentums brachte. Ausgehungert, ihrer Schiffe beraubt, vom Stahle bedroht, beugten sie sich vor dem Kreuz und nahmen die Lehre an. Doch erzählt die Sage, daß schon am Morgen nach der Tauffeier Herzog Wisso seinen weißen Kriegshengst vermißte. Man fand die Reste des herrlichen Tiers auf einem Opferstein bei einem kleinen Teich, der heute noch der Kehlteich heißt. Die neuen Christen hatten des Herzogs Lieblingstier zu ihres alten Gottes Ehren dahingeschlachtet. Ob sie es nun aus unverständigem Aberglauben getan hatten, um sich vor der Rache ihres alten Gottes zu schützen, oder ob sie dem Herzog Wisso nur einen Streich hatten spielen wollen, gleichviel, ihr vornehmster Mann, Gunnar geheißen, verlor damals auf dem gleichen Opferstein am Kehlteich sein Haupt, diesmal als Sühnopfer für den neuen Gott.

      Dies sind alte Geschichten, von denen niemand mehr weiß, ob sie wahr oder erlogen sind, doch werden sie noch immer erzählt, besonders von den Gäntschows, die ihren Ursprung von diesem hingeopferten Gunnar herleiten. Sicher ist aber, daß Superintendent Marder und Kantor Bockmann behaupten, diese Geschichte könne schon wahr sein. Denn die Gäntschows seien noch heute die reinen Heiden, mit Saufen, Strandgutstehlen, Wildern und Huren. Und Malte Gäntschow, der Großvater, hat noch entschuldigend von sich gegrient: Wir sind ja man gestern erst Christen geworden, Herre. Das sitzt noch nicht so, Herre, wie bei Ihnen.

      Verbürgter schon, aber auch noch etwas sagenhaft und von Grauen umwittert ist die Geschichte jenes Urahns Gäntschow, der in seine eigene Tochter verliebt gewesen war und der darüber ein schreckliches Ende fand.

      Er hatte es nicht gewußt, daß er sie liebte, bis sie ihm gestorben war. Nun aber war sie tot und es schien ihm, als sei er mit ihr gestorben. Nie mehr würde er in dem dämmrigen Zimmer ihre schlanke schmale Gestalt sehen dürfen. Es war umsonst gewesen, von einem frischen Wind, einem raschen Tanz gesunde Rötung ihrer Bleiche zu erhoffen. Sie blieb nun auf ewig bleich, ihre schwarzen Zöpfe waren vergebens so schwarz gewesen, ihre schlanken Finger hatten sich nicht festhalten können auf dieser Erde. Sie war tot, er war tot, gut, das war das Ende.

      Nun recht, so sollte es auch das ganze Ende sein! Der Bauer war immer ein finsterer, rauher Mann gewesen, er sagte seiner Frau, daß sie fortzugehen hätte mit dem Jungen zu irgendwelchen Verwandten, daß er das Haus für sich allein brauchte – und nun blieb er allein.

      Er blieb allein in dem Haus, von dessen Fenstern er die See sah. Aber er wollte auch die See nicht mehr sehen, er verdunkelte die Fenster, und nun war immer um ihn Hetes liebste Stunde, die Dämmerung, in der alles verschwimmt und nur ganz ferne das Rauschen der See zu hören ist, das immer anzuschwellen scheint und doch nie lauter wird.

      In den ersten Tagen ging er unablässig in seinen Zimmern auf und ab und bereitete sein Herz vor. Er mußte stark sein. Seit er begriffen, daß er sie geliebt hatte, seitdem hatte er sich danach gesehnt, in ihre Stube zu kommen. An dem Duft ihrer Kleider wollte er sich erinnern, die Form ihres Körpers wollte er wiederfinden. Er wollte es nicht glauben von sich, er ging auf und ab in der Dämmernis, es war doch so leicht –! Nur auf den Flur brauchte er zu gehen, die Hand auf die Klinke zu legen – und sie war da, sie war wieder da! Er hob den Leuchter zwischen sich und den Spiegel, und dies verwüstete Gesicht mit seinen eisgrauen Zotteln, den geschwollenen Tränensäcken sagte nur: Mir ist angst. Wovor ist mir angst? Mir ist angst!

      Und die Stunden dehnten sich. Und die Tage dehnten sich. Und es war ewig Tag. Und es war ewig Nacht. Es gab nichts mehr wie eine Tote in ihrem Sarg, leicht und bleich, und auch sie gab es nicht mehr.

      Er saß in seinen einsamen Stuben und sie war wieder klein. Als sie geboren war, hatte sie eine leise Bewegung gemacht: sie hatte den kleinen Finger ihrer Hand gespreizt, da hatte er gewußt, daß sie ein besonderes Kind war. Später einmal war sie auf seinen Schoß gestiegen, sie hatte ihre Stirn an seine gelehnt, und es hatte ihr gefallen, während sie ihn küßte, Worte in seinen Mund hinein zu sprechen, und das hatte seine Nerven seltsam erregt. Aber das Spreizen des Fingers war umsonst gewesen, ihre Sprechküsse waren umsonst gewesen, sie war tot und so hatte sie nie gelebt. Zürnte er etwa auch ihr?

      Nun verging wieder Zeit. Er hörte das Rauschen des Windes und das Brausen der See. Regen bestrich naß sein Haus und vor den düstern Fenstern häufte sich der Schnee. Er hatte sie versäumt, er hatte sie unwiderruflich versäumt. Ohnmächtiger Zorn erfüllte sein Herz. Sie war der Knoten gewesen, den nur er hätte lösen können, aber er hatte es vergessen, er hatte nicht einmal an die Lösung gedacht. Von ihrer Reife bis zu ihrem Tode hätte sie ihm drei Kinder gebären können. Und er sah sie vor sich, diese drei Mädchen, mit ihrem schwarzen Haar und ihrer bleichen Haut. Er war ja noch nicht alt. Auch diese drei hätten ihm aufwachsen können, er hätte ihre Reife noch als Mann erlebt. Wieder sah er neue Töchter. Er sah sich reichen durch den Wandel der Zeiten, er wäre unsterblich gewesen. Aber er hatte seine Unsterblichkeit versäumt –!

      Da saß er einsam und wüst. Um seinetwillen war sie endgültig tot, nun tötete sie alles Leben um ihn. Hatte die Tote etwa gewußt? Hatte sie ihn etwa verachtet? Er dachte an ihr bleiches Gesicht, ihre schmalen Lippen, die so oft waren wie weiß, ihre dunklen Augen hatten nichts verraten – aber hatte sie ihn nicht doch verachtet?

      Zur Gewißheit wurde es ihm, daß sie ihn gehaßt, daß sie ihn verachtet hatte. Da hatte sie weiß, mit einem grünen Kranz, im Sarge gelegen und ihr rabenschwarzes Haar war gut anzusehen gewesen, aber in ihrem Kopf hatte diese Verachtung gesessen. Nun wachte er nachts davon auf, daß er sie gesehen hatte, im Traum, wie sie dalag, weiß und still. Er hatte sich über sie gebeugt, er hatte ihre Lippen noch einmal küssen wollen, aber da hatten diese Lippen sich zurückgezogen von den Zähnen, sie hatte ihre fahlen Zähne mit einem Lächeln entblößt. Der Mund hatte sich ganz geöffnet und ihre Zunge hatte sie herausgestreckt, eine häßliche, geschwollene, blauschwarze Zunge, schrecklich anzusehen.

      Davon war er erwacht, und nun grübelte er darüber, wie die Tote zu versöhnen, wie das Versäumte nachzuholen sei. Aber darüber war alles Grübeln vergeblich, nichts war mehr nachzuholen.

      Jetzt fürchtete er sich auch vor dem Schlaf, denn es war nicht abzusehen, was von einer Toten zu erwarten war, die ihre Zunge so entblößte. Ihm wurde schwindlig, er klammerte sich daran, daß sie doch seine Tochter sei – und alles verging in einem Nebel. Als er wieder wach war, saß er da und lauschte auf das Huschen und Laufen,