Jetzt eben, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, hatten die Moskowiter, wie man die Russen damals nannte, unter dem Zaren Alexei Michailowitsch Polen angegriffen.
Zar Alexei Michailowitsch von Russland, „der Sanftmütigste“ ( russisch Алексей Михайлович Тишайший; * 19. März 1629 in Moskau; † 29. Januar 1676.
Sollten sie den Schweden zuvorkommen? Sollte Schweden nicht vielmehr die bedrängte Lage Polens ausnützen? Ein leiser Geruch von Verwesung ging von Polen aus und lockte die Geier. König Johann Casimir von Polen war der letzte Spross der katholisch-polnischen Wasa, ein schwächlicher, zum Regiment untauglicher Herr, unter dem die Adelsrepublik sich unaufhaltsam auflöste. Es war töricht von einem so hilflosen Herrscher, die Nachfolge Karl Gustavs in Schweden nicht anzuerkennen und ihm dadurch einen Vorwand zum Angriff zu geben; es fehlte zwar auch sonst nicht an Streitpunkten zwischen Polen und Schweden, die sich hätten benützen lassen.
Johann II. Kasimir als König von Polen, Titularkönig von Schweden, Großfürst von Litauen (1609 – 1672)
Schrecken und Unruhe verursachte Karl Gustavs Schilderhebung in ganz Europa. Ohnehin war der Krieg zwischen Frankreich und Spanien noch im Gang, und ein Zusammenstoß zwischen England und Holland drohte. Diese Kriege aber waren wenigstens auf zwei Gegner beschränkt; der im Osten, fürchtete man, würde um sich greifen. Große Aufregung entstand namentlich am Berliner Hof. Als Karl Gustav um Bundesgenossen warb, stimmte der kühne Graf Waldeck sogleich dafür, die Gelegenheit zu ergreifen, bei der viel zu gewinnen sei: ein Krieg an der Seite Schwedens gegen das katholische Polen fügte sich durchaus in die Ziele, die er sich für Brandenburg gesetzt hatte.
Friedrich Wilhelm, dem die Entscheidung zufiel und der die Verantwortung tragen musste, rang mit Begier und Furcht. Siegte Schweden, so konnte er die Unabhängigkeit des Herzogtums Preußen erlangen, das er von Polen zu Lehen trug, ein höchst willkommener Machtzuwachs; war er aber sicher, dass es siegen werde? Die Schweden malten den Zustand Polens so aus, als liege es bereits in den letzten Zügen; aber der preußische Gesandte in Polen war nicht derselben Meinung und warnte. Die Räte waren mit einem so gewagten und treulosen Schritt, wie die Waffenerhebung gegen Polen sein würde, nicht einverstanden, namentlich die Kurfürstin, die Oranierin Luise Henriette, beharrte dabei, dass Friedrich Wilhelm als redlicher Mann dem König von Polen, dem er den Vasalleneid geschworen habe, treu bleiben müsse.
Luise (auch Louise) Henriette von Oranien-Nassau (* in Den Haag; † in Cölln, in zeitgenössischen Dokumenten werden die Daten mit 26. November und 8. Juni noch im Julianischen Kalender angegeben) war Kurfürstin von Brandenburg und die erste Ehefrau des Großen Kurfürsten.
Aber grade das, dass er Vasall des Königs von Polen war, drückte den Kurfürsten, und er hätte sich gern von diesem Verhältnis frei gemacht. Nachdem seine Begehrlichkeit einmal angeregt war, vermochte er auf einen so kostbaren Preis nicht mehr zu verzichten; nur hätte er ihn gern eingestrichen, ohne etwas aufs Spiel zu setzen. Am liebsten hätte er es mit beiden Gegnern gehalten, um sich zuletzt auf die Seite des Gewinners zu schlagen, und soweit es möglich war, führte er das auch durch. Er unterhandelte gleichzeitig mit Schweden und Polen, teils mit beider Vorwissen, teils heimlich und so geschickt, dass der angegriffene Teil es nicht merkte, wenn seine Truppen schon gegen ihn unterwegs waren. Als er von Karl Gustav verlangte, dass die Kriegserklärung gegen Polen nicht eher erlassen werden dürfe, bis er mit seinen Völkern über die Weichsel gegangen wäre, damit er sich unter dem Schutz des friedlichen Verhältnisses mit Polen und unter dem Vorwand des von den großpolnischen Ständen erbetenen Schutzes in den Besitz der begehrten Landschaften setzen könne, fand der König, dass das doch zu weit gehe.
Vom preußischen Hinterpommern aus brach Karl Gustav in Polen ein, während die Russen vom Osten her Litauen überfielen. Der polnische Adel unterwarf sich dem Schwedenkönig kampflos, Johann Casimir floh von Warschau nach Krakau, der alten Krönungsstadt, und von da nach Schlesien; es war ein vollständiger Zusammenbruch, dem, wie man annehmen konnte, die Auflösung Polens folgen würde. Die Küste dachte Schweden für sich zu behalten, kleine Stücke an Brandenburg, vielleicht auch an Russland und Siebenbürgen zu geben. Indessen der Zusammenbruch war zu stürmisch gewesen, um einen dauerhaften Zustand zu gewährleisten. Das streng katholische Land empörte sich gegen den protestantischen Herrscher, und der Adel, wie haltlos und treulos er sich auch benommen hatte, begriff bald, was für einen unvorteilhaften Tausch er gemacht hatte. Das so schnell gewonnene Polen leistete der Besetzung Widerstand und musste nun erst mit Waffengewalt überwunden werden. Man staunte, was für ein gewaltiges Heer das Land aufbrachte, das sich soeben jämmerlich unterworfen hatte: etwa 100.000 Mann standen in Waffen, eine für die damalige Zeit ungeheure Zahl. Sie waren der vereinigten schwedisch-brandenburgischen Armee ungefähr fünffach überlegen, aber an Ordnung, Ausrüstung, Kriegserfahrung ihr nicht entfernt gleich; die brandenburgischen Führer waren zumeist Veteranen des Dreißigjährigen Krieges. Die Polen waren durch Tataren verstärkt, auf beiden Seiten fochten fast nur Reiter; bei den Polen wurden Fußvolk und Artillerie überhaupt ganz vernachlässigt. Die große Schlacht bei Warschau, die sich über drei Tage erstreckte und durch originelle Manövrierung des siegreichen schwedisch-brandenburgischen Heeres merkwürdig war, vermehrte den Ruhm Karl Gustavs und begründete das militärische Ansehen Friedrich Wilhelms; den Krieg beenden konnte sie nicht.
Aus dem halbbarbarischen Polen brachen, wenn es eben unterworfen war, neue kampfbereite Menschenmassen hervor und stellten die errungenen Vorteile wieder in Frage. Der moskowitische Zar machte sich lästig, indem er mit vielen Truppen in Livland eindrang, das tatsächlich, wenn auch nicht förmlich, den Schweden gehörte. So viel nahm sich der Großfürst heraus, dass er dem Kurfürsten von Brandenburg zumutete, ihn als Lehnsherrn anzuerkennen, weil das Herzogtum Preußen eine Dependenz von Litauen sei. Dazu kam, dass sich nun auch der Kaiser entschloss, dem glaubensverwandten Polen zu Hilfe zu kommen: die Aussicht, Schweden in die Nachbarschaft seiner Erblande vordringen zu sehen, erschreckte ihn. Karl Gustav wurde dieses unabsehbaren Kampfes müde, bei dem seine Heldentaten so wenig greifbare Früchte trugen. Ein Angriff des stets eifersüchtigen Dänemarks gab ihm den Anlass, das Festland mit seinen Truppen zu verlassen und sich mit dem gewohnten Schwung auf den treulosen Nachbarn zu stürzen.
Friedrich Wilhelm war nun in misslicher Lage, da er, nachdem Karl Gustav abgezogen war, den polnischen Krieg allein auf dem Hals hatte. Andrerseits bot sich eine neue, viel aussichtsreichere Kombination: wenn er sich mit Polen versöhnte und mit dem Kaiser verbündete, konnte er nicht nur die Unabhängigkeit Preußens erringen, sondern auch Schweden das im Dreißigjährigen Krieg abgetretene Pommern wieder abjagen. Es kam ihm zugute, dass er eine politique volpinesque, wie