Lucie:
Wenn ich am Meer sein kann, mit dir allein, und an einem versteckten Platz, wo uns niemand beunruhigt, so weißt du ja, daß ich sträflich bedürfnislos und zufrieden bin. — Weißt du übrigens, was mich der Fischer gefragt hat?
Mäurer:
Nun?
Lucie:
Ach Unsinn, nichts! — Bloß, ob du ein Onkel von mir bist. — Ich habe gesagt, ich bin deine Großmutter.
Mäurer:
Was die Menschen doch wie die Teufel neugierig sind! Aber laß das, Schusterchen, ärgere dich nicht! Klatsch macht man durch absolute Verachtung unschädlich! Hör' lieber zu, was ich beschlossen habe. Nämlich, dem guten Schilling gegenüber ist mein Gewissen nicht ganz rein. Moralische Urteile sind eigentlich nur Bequemlichkeit; und doch hab' ich mich dieser Bequemlichkeit dem Freund gegenüber, als ich seine Handlungsweise nicht recht mehr verstand, leider schuldig gemacht. Wenn es ginge, möchte ich das gern jetzt wieder ausgleichen. Aber das ist vielleicht Selbstbetrug. Ich bin vielleicht nur gut aufgelegt und möchte mein Wohlbefinden noch steigern.
Lucie:
Nun, ein ganz, ganz schlechter Kerl bist du ja gerade nicht.
Mäurer:
Keinesfalls sehr viel schlimmer, als andere! — Das Stück Geld unterm Großmast, was nicht nur nach dem Aberglauben der Fischer darunter gehört, hat Schilling leider immer gefehlt; er wäre sonst zweifellos besser gesegelt. Und man ist in Geldsachen ja leider, wo Not an Mann ist, auch nicht immer durchweg zum Anstand geneigt. Aber jetzt, wo die Bremer nicht knausrig gewesen sind, will ich mal alles wieder gut machen. Ihr müßt beide mit mir nach Griechenland.
Lucie
(lustig):
Herrlich. Deine Brille funkelt ja förmlich, wie du das sagst. Und dein Haar sieht dabei schon wie eine Flamme auf einem Opfertiegel in Delphi aus.
Mäurer:
Also will ich dir auch gleich mal was weissagen: jetzt schwöre ich dir, daß Schilling kommt.
Lucie:
Und ich glaube es auch, ich kann es bestätigen, daß er drüben auf dem Fußsteige durch das Moor schon mehrmals gewafelt hat.
Mäurer
(beobachtet in die Ferne):
Wirklich, ein Mensch kommt über das Moor gelaufen.
Lucie:
Vor kaum zehn Minuten hat der kleine Dampfer von Stralsund drüben in Grobe angelegt. — Das ist er.
Mäurer:
Er rennt wie ein Bürstenbinder. Teufel noch mal, das könnte wahrhaftig der Maler Schilling mit seinem Rucksack und seinem Pastellkasten sein! (Er ruft.) Ku ui!
Lucie:
Da will ich euch erst mal allein lassen!
Mäurer
(blickt aus, zieht sein Taschentuch, schwenkt es und ruft):
Ku u i! Ku u i!
Lucie
(ruft schon von weitem):
Was ist denn das für ein Ruf?
Mäurer:
Ku u i! So rufen die afrikanischen Buschleute.
Lucie:
Er bleibt stehen. (Sie will fort.) Adieu!
Mäurer:
Adieu, mein Kind, adieu! Ich will mal kurzen Prozeß machen. Wenn er es nicht ist, komm ich dir nachgerannt.
Mäurer
(läuft nach rechts hin ab).
Lucie
(blickt noch immer über die Dünen ihm nach, kommt plötzlich hervorgeeilt, klettert einige Stufen sehr gewandt die Strickleiter am Signalmast hinauf, dort schwenkt sie das Taschentuch und ruft):
Ku u i! Ku u i! Ihr findet mich bei Klas Olfers im Krug!
(Um den Schuppen herum kommt abermals Tischlermeister Kühn.)
Kühn:
Kommt neuer Besuch?
Lucie:
Ein ganzer Gesangverein, Meister, der Professor Mäurer ein Ständchen bringt.
Sie springt herunter und läuft davon, ab. Von links kommen eine Anzahl Fischer mit aufgekrempelten Hosen und blauen Jacken über die Dünen. Der junge Schuckert ist darunter. Es sind meist große, breitschultrige blonde Gestalten mit gedrungenen Bärten. Einige tragen ihre Transtiefel in der Hand. Etwas Lautloses, Visionartiges ist in ihren Bewegungen.
Kühn:
Schuckert!
Schuckert:
Wat is?
Kühn
(hat sein Brett auf seine Schulter geladen):
Help mi man noch een Brett up de Schuller.
Schuckert
(kommt zu ihm herüber):
Na denn fix tau!
Kühn:
Wirst du dat Ding doa baben verkoopen?
Schuckert:
Wat denn for'n Ding?
Kühn:
Dat Weib ohne Fiet.
Schuckert:
Hähähä! Wat hast du woll in din Breegenkasten, det du dat Unglück erhanneln wilt!
Kühn:
Wer seggt dir, dat ick dat erhanneln will. De fremde Professor will et erhanneln!
Schuckert:
De Fremde, de bi Klas Olfers is? Hähähä! Tschä, worum nich. Dat wier woll am Enn all mieglich to maken. — Adjüs Kühn! (Er setzt seinen Weg über die Dünen fort, nachdem er dem Tischler noch zwei Bretter aufgeladen.)
Kühn:
Hierst, bring dat Ding dal in'n Krug. Wist nich?
Schuckert:
Jau, jau.
Kühn:
De fremde Professor zahlt proper, segg ick!
Schuckert:
Hei soll ja wull hier baben een bisken sin! (Tippt sich mit dem Finger an die Stirn.)
Schuckert folgt den anderen Fischern und stößt mit ihnen unten vom Strand ein Segelboot durch das flache Wasser ins tiefe Meer. Meister Kühn rückt die Bretter auf die Schulter zurecht, dabei fällt ihm eins wieder herunter. Gleich darauf taucht Mäurer und sein Freund Schilling auf. Dieser ist ein hoher, blonder, bartloser Mensch, mehr der Typus eines feingeistigen Schweden, als eines Deutschen. Die Kleider hängen sehr lose um seinen mageren und eleganten Körper. Das Gesicht wirkt durch tiefliegende große Augen und Magerkeit etwas verfallen. Strohhut, Sommerüberzieher, Pastellkasten.
Schilling:
Halten Sie mal, bleiben Sie mal stehen, Mann! (Er stolpert herzu, läßt den Malkasten fallen und faßt das heruntergefallene Brett an einem Ende mit zwei Händen an.) Komm, faß mal die andre Seite an, Ottfried!
Kühn:
Sie sind ja zu gütig! Recht scheenen Dank, meine Herren!
Mäurer
(springt herzu, faßt die andere Seite des Brettes und er und Schilling fangen an, damit zu wippen):
Na