In Hotel habe ich allein mit sage und schreibe sieben Frauen an einem Tisch gesessen! Dies relativiert sich aber gleich wieder dadurch, dass drei davon viel zu alt und die anderen vier viel zu jung für mich waren, mindestens eine davon sogar minderjährig. Zwei der jüngeren Damen führten ihre eigene Unterhaltung teilweise auf Russisch, weil sie sich dabei sicher glaubten. Ich, der wenn nicht übersehen so doch wenigstens unterschätzt wird, habe einiges davon verstanden, was sicher nicht für die anderen am Tisch Sitzenden wie mich gedacht war...
Nun aber auf nach Venedig. Dorthin zu gelangen ist bekanntlich nicht ganz einfach, denn Venedig ist ja in vielfacher Hinsicht anders als normale Städte; deswegen reisen wir ja schließlich dorthin. Mit dem Bus ging es zunächst nach Punta Sabbaione (oder so ähnlich) und von dort aus per Schiff halb um Venedig herum direkt in die Nähe des Markusplatzes. Mit dem Wetter hatten wir wieder einen Glücksgriff getan, denn es war ruhig, wolkenlos und wurde bis etwa 20 Grad warm.
In der Nähe des Dogenpalastes wartete schon unsere Stadtführerin, die wie die meisten Venezianer aus Kostengründen inzwischen auf dem Festland wohnt. Die meisten von ihr erzählten Daten und Fakten waren mir schon bekannt, denn ich kenne ja vieles von der Welt aus meinen Büchern - außerdem habe ich natürlich auf der Hinreise den ganzen Baedeker gelesen. Einen großen Teil der Besichtigung verbringt man natürlich auf und um den Markusplatz, wo es trotz beginnendem Hochwasser und Nachsaison sehr voll war (Venedig stemmt mit nur noch 60.000 Einwohnern jährlich eine Flut von 13 Millionen Touristen, von denen fast keiner in der Stadt übernachtet, für die aber fast alles vom Festland herbeigeschafft werden muss). Was mich auf dem Markusplatz ziemlich schockiert hat: dort wimmelt es bekanntlich von Tauben, aber während überall von der Vogelgrippe geredet wird, füttern die Touristen nicht nur verbotenerweise die Tauben, sondern lassen sich mittendrin und sogar mit Tauben auf den Armen fotografieren!
Glück hatten wir auch mit der Markusbasilika, die wir nicht nur betreten konnten, sondern die sogar erleuchtet war, was (angeblich ohne festen Zeitplan) nur an einigen Stunden der Fall sein soll. So konnte man die herrlichen, protzigen Deckenmosaiken schön sehen, wobei ich leider wegen meines Bandscheibenproblems meinen Hals nicht weit genug zurückbeugen kann. Jede Kuppel und jedes Stück Decke und Wand ist mit Mosaiken versehen, wie üblich Heiligenfiguren und biblische Szenen. Dabei ist jeder Quadratzentimeter um die Figuren herum mit Mosaiksteinchen beklebt, die mit Blattgold überzogen sind; das sind angeblich mehrere Millionen solcher Steinchen! Zum Heulen ist jedoch, dass die ebenso herrlichen kunstvollen Marmorböden aus dem 11. und 12. Jahrhundert langsam vom Wasser vernichtet werden, in dem die Stadt bekanntlich unaufhaltsam versinkt.
Vom Markusplatz aus ging es über einige markante Punkte und Brücken, von denen aus man besonders viel Gondelverkehr beobachten konnte, bis in die Nähe der Rialto-Brücke, wo die Führung offiziell endete. Danach und am nächsten Tag hatten wir einige Stunden zur freien Verfügung.
Am Dienstag und Mittwoch hatten wir wie gesagt jeweils ein paar Stunden Zeit, um uns selbst in Venedig umzusehen. Ich habe mich während dessen auf die Spuren von Commissario Brunetti begeben und einige Örtlichkeiten aus den Romanen sowie den deutschen TV-Verfilmungen (die mir oft besser gefallen haben als die Bücher) zu finden versucht. Auf die Hilfe der Ortsansässigen kann man dabei aus einem ebenso einfachen wie überraschenden Grund nicht bauen: sie kennen Commissario Brunetti schlichtweg nicht, weil Donna Leons Romane bislang nicht ins Italienische übersetzt worden sind, obwohl sie in und um Venedig spielen und die Autorin seit Jahren dort lebt!
Wie dem auch sei, gleich auf dem Markusplatz fühlte ich mich zum ersten Mal an die Brunetti-Krimis erinnert. Dort war nämlich beginnendes Hochwasser zu erkennen, das die Italiener "acqua alta" nennen - und so heißt ja der fünfte Brunetti-Roman.
Im Rahmen der Stadtführung wurde uns natürlich auch das Theater La Fenice gezeigt, das nicht nur nach der Mailänder Scala das bedeutendste Opernhaus Italiens ist, sondern auch der Schauplatz des allerersten Brunetti-Krimis "Venezianisches Finale", der meiner Meinung nach immer noch der beste ist.
Mein Hauptanliegen war es, die angebliche Wohnung von Commissario Brunetti und seiner Familie zu finden, was nicht so einfach war, wie man glauben sollte, denn Venedig ist bekanntlich anders als normale Städte! Hier werden in jedem Stadtteil die Häuser einfach von 1 bis n durchnummeriert; im Stadtteil San Marco hat beispielsweise der Dogenpalast die Hausnummer 1, dann geht es aufwärts bis über 6800. Die zusätzliche Angabe des Straßennamens ist nur bedingt hilfreich und durch die zahlreichen kleinen Gassen und Sackgassen wird die Suche sehr erschwert, selbst die Postboten kommen ohne ein zusätzliches Verzeichnis kaum zurecht. Die Hausnummer 881 im Stadtteil San Polo war mir bekannt, ein Reiseführer (siehe unten) lieferte mir zusätzlich den Straßennamen Calle de l'Anzolo. San Polo beginnt direkt hinter der Rialto-Brücke, die Brunetti ja täglich auf dem Weg zur Arbeit und zurück überquert. Da nach den 700er-Nummer gleich die 900er kamen und links von mir fast schon der Canal Grande lag, begab ich mich in die engen Gassen zu meiner Rechten, wo ich schließlich 800er-Hausnummern fand. Als ich mehr oder weniger zufällig plötzlich vor 884 stand, glaubte ich mich fast am Ziel, doch musste ich um mehrere Ecken herum suchen, bis ich endlich vor einer schlichten braunen Haustür stand.
Hier wohnt die Familie angeblich im vierten Stock, und ich frage mich, ob die richtigen Bewohner das wissen oder gar von deutschen Touristen genervt werden. Auf einem der Klingelschilder steht übrigens der Name Vianello - Brunetti-Fans werden wissen, was daran lustig ist. Jedenfalls kann man von der Dachterrasse aus keinesfalls direkt auf den Canal Grande schauen. Für die Dreharbeiten musste also ein anderes Haus verwendet worden sein, über das mir jedoch keine näheren Angaben vorliegen.
Den Ort, wo laut den Romanen die Questura liegen soll, habe ich leichter gefunden; aber dort liegt natürlich keine Polizeibehörde. Nicht finden konnte ich leider das rote Gebäude, das in den TV-Verfilmungen für Brunettis Dienststelle herhalten musste.
Am Kai entdeckte ich auch die illegalen (in doppeltem Sinne) Schwarzhändler, die dort in großem Stil hauptsächlich gefälschte Markentaschen anbieten. Mit der Ermordung eines solchen Händlers beginnt ja der vierzehnte Brunetti-Krimi "Blutige Steine". Ich war erstaunt, wie viele dieser Händler sich dort ausgebreitet haben und wie viele Geschäfte sie tatsächlich abwickeln, obwohl jeder weiß oder sich denken kann, dass die billigen Waren Fälschungen sind, deren Erwerb einen teuer zu stehen kommt, wenn man auf frischer Tat erwischt wird oder später keine Quittungen vorweisen kann! Lustig war es jedenfalls zu sehen, wie schnell sie alle mitsamt den Waren in den vielen Gassen verschwanden, sobald am Horizont Carabinieri auftauchten...
Weitere Örtlichkeiten aus den Brunetti-Romanen konnte ich in der Kürze der Zeit nicht aufsuchen, da sie in weiter entfernten und/oder nur per Schiff erreichbaren Stadtteilen oder auf dem umliegenden Festland liegen. Und Murano, wo der fünfzehnte Krimi "Wie durch dunkles Glas" spielt, werde ich ja ohnehin noch besuchen. Ein seltsamer Zufall wollte es, dass die TV-Premiere der deutschen Verfilmung in der ARD gesendet wurde, als wir uns mit dem Bus auf der Heimreise befanden.
Für alle Commissario Brunetti Fans empfehle ich diese Reiseführer, die ich auch schon im Buchtipp vorgestellt hatte:
- Katharina Holtmann: "Auf den Spuren von Donna Leons Romanen - Krimi-Schauplätze in Venedig", books&friends, 2006, ISBN 3-9810996-1-3