„Es war zwei Uhr; wir hatten schon zwölf Kanonen verloren, die theils demontirt, theils vom Feinde weggenommen waren. Die Bestürzung war allgemein; Menschen und Pferde waren von Anstrengung erschöpft und die Verwundeten versperrten die Straßen. Im Geiste sah ich uns schon über den Po zurückgehen und Tessin durcheilen, ein Land, dessen Einwohner uns sämmtlich feindlich gesinnt sind — als inmitten dieser traurigen Betrachtungen ein tröstendes Getöse unsern Muth wieder belebte. Die Division Desaix und Kellermann erschien mit dreizehn Geschützen. Nun kehren die Kräfte zurück, die Fliehenden werden zum Stehen gebracht. Die Divisionen rücken an; es wird zum Angriff getrommelt, wir kehren zurück, wir durchbrechen den Feind und schlagen ihn in die Flucht. Die Begeisterung erreicht ihren Höhepunkt; lachend werden die Gewehre geladen; wir erbeuten acht Fahnen, zwanzig Geschütze und nehmen sechstausend Mann und zwei Generäle gefangen — die Nacht allein rettet die Uebrigen vor unserer Wuth.
„Am folgenden Morgen sendet der General Melas einen Parlamentair; es war ein General. Man empfängt ihn im Hofe der Pachtung mit voller Musik; die Consular-Garde war in Parade aufmarschirt. Man macht uns die annehmbarsten Anträge: Genua, Mailand, Tortona, Alessandria, Acqui, Pizzighetone, das heißt, die Lombardei und ein Theil von Italien werden uns überlassen. Sie gestehen, daß sie besiegt sind! Heute werden wir in Alessandria mit ihnen speisen. Der Waffenstillstand ist abgeschlossen. Jetzt befehlen wir im Palaste des General Melas; die östreichischen Offiziere bitten mich, beim General Dupont für sie zu sprechen; das ist in Wahrheit gar zu lustig! Heute bilden die französische und östreichische Armee nur ein Heer. Die kaiserlichen Offiziere sind wüthend, daß sie sich in dieser Weise Gesetze geben lassen müssen — aber sie mögen noch so wüthend sein, sie sind geschlagen — vae victis!
„Der General Stabenrath, bei welchem ich mich am Morgen der Schlacht befand, ist zum Vollstrecker der Vertragsartikel ernannt; er drückte mir diesen Abend die Hand und sagte, daß er mit mir zufrieden wäre, daß ich mich wie ein wahrer Teufel gezeigt hätte und daß der General Dupont davon unterrichtet wäre. Und wirklich darf ich Dir, meine liebe Mutter, sagen, daß ich standhaft gewesen bin und mich den ganzen Tag im Feuer befunden habe. Wir haben eine ungeheuere Menge von Blessirten, und da sie fast Alle durch Kanonenkugeln verwundet sind, werden nur wenige von ihnen mit dem Leben davon kommen. Man brachte sie gestern zu Hunderten in's Hauptquartier und heute Morgen war der Hof voller Leichen. Die Ebene von Marengo ist in einem Umfange von zwei Stunden mit Todten bedeckt. Die Luft ist verpestet und die Hitze ist erstickend. Morgen gehen wir nach Tortona, das freut mich sehr, denn außer, daß man hier vor Hunger stirbt, wird der Geruch so arg, daß man es in zwei Tagen nicht mehr auszuhalten vermöchte. Und welch' ein Anblick! daran gewöhnt man sich nicht.
„Uebrigens sind wir Alle sehr guter Laune; so geht's im Kriege! — Der General hat sehr liebenswürdige Adjutanten, die mir viel Freundlichkeit erweisen. Und Du, mein Mütterchen, ängstige Dich nicht mehr — der Frieden ist da! schlafe nun ungestört; bald haben wir nichts mehr zu thun, als auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Der General Dupont wird mich zum Lieutenant ernennen. Das hätte ich doch wahrhaftig beinah zu sagen vergessen — so sehr habe ich mich selbst seit einigen Tagen aus den Augen verloren! Da der Adjutant des Generals verwundet ist, versehe ich provisorisch dessen Dienst. Lebe wohl, meine liebe Mutter, ich bin ganz erschöpft und werde mich auf ein Bund Stroh legen. Ich umarme Dich aus voller Seele. Aus Mailand, wohin wir uns in diesen Tagen begeben, schreibe ich Dir mehr und werde auch einen Brief an meinen Onkel Beaumont schicken.“
Dritter Brief.
An den Bürger Beaumont, Hotel de Bouillon, quai Malaquais, Paris.
Turin im Messidor, Jahr VIII. (Juni oder Juli 1800.)
»Pim. Pam, Puff! Patatra! Vorwärts! Blast zum Angriff! zum Rückzug! vorwärts zum Geschütz! Wir sind verloren! Victoria! Rette sich wer kann! Eilt zum rechten Flügel, zum linken, in's Centrum! kommt zurück, bleibt, geht fort — laßt uns eilen! Gebt Acht auf die Granate! zum Galopp! Bückt Euch, da kommt ein Prellschuß! ... Todte, Verwundete, zerschossene Beine, zerschmetterte Arme, Gefangene, Bagagewagen, Pferde, Maulthiere, Wuthgebrüll, Triumphgeschrei, Schmerzenslaute, ein verteufelter Staub, eine höllische Hitze, unaussprechliche Flüche ... Lärm, Verwirrung, ein prächtiges Getümmel ... das, mein lieber, gütiger Onkel, ist in wenigen Worten eine klare und deutliche Beschreibung der Schlacht von Marengo, in welcher Ihr Neffe nicht den geringsten Schaden genommen hat, obwohl sein Pferd, vor einer Kugel erschreckend, sich mit ihm überschlagen hat und obwohl ihn die Oestreicher 15 Stunden lang mit dem Feuer von dreißig Kanonen, zwanzig Mörsern und dreißigtausend Gewehren traktirt haben. Indessen ist nicht Alles so schlimm! der Oberbefehlshaber war mit meiner Kaltblütigkeit zufrieden und mit der Art und Weise, wie ich die Flüchtigen zusammenbrachte, um sie in den Kampf zurückzuführen, und er hat mich auf dem Gefechtfelde von Marengo zum Lieutenant gemacht; ich habe also meine Epauletten! Jetzt sind wir nun mit Lorbeeren und mit Ruhm bedeckt; wir haben beim Papa Melas gespeist, haben ihm, in seinem Palast von Alessandria, unsere Befehle gegeben und sind dann nach Turin zurückgekehrt. Mein General ist zum außerordentlichen Gesandten