Das Geheimnis des Stiftes. Janine Zachariae. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Janine Zachariae
Издательство: Bookwire
Серия: Das Geheimnis des Stiftes
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752923766
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wird nachher sogar eins kommen. Bin gespannt, was du dazu sagen wirst.

      Wie ist dein Buch, was du gerade liest, so?*

      Er ist sehr aufmerksam, dass gefällt mir, denn ich hatte das Bild, mit meinem ›currently reading‹ gerade erst hochgeladen. Ich sage, dass ich es bisher gut finde und ich mich auf sein Video freue.

      Ich räume mein Zimmer schließlich etwas auf, höre nebenbei Musik und stelle fest, dass ich mit der Wäsche heute dran bin und sammle selbst noch einiges auf, bevor ich in das Badezimmer gehe.

      Gerade als ich wieder in mein Zimmer will, höre ich meine Mutter am Telefon sprechen.

      Eigentlich würde es mich nicht interessieren, da auch ich will, dass sie meine Privatsphäre respektiert - auch wenn ich eigentlich keine habe.

      Aber es macht mich stutzig, dass sie nicht in ihrem Zimmer ist, sondern in Dads Büro. Ich habe es seit Jahren nicht mehr betreten. Einmal bin ich hinein, aber nachdem ich eine enorme Gänsehaut bekommen habe, bin ich schnell geflüchtet. Den Stift, der auf seinem Schreibtisch gelegen hatte, habe ich immer noch.

      Der Raum macht mir Angst, wenn ich ehrlich bin.

      Ich weiß, ich hätte neugieriger sein sollen, aber ...

      Mein Vater ist in einem verschlossenen Raum verschwunden.

       VERSCHLOSSEN.

      

      Wie konnte das passieren? Niemand verschwindet aus einem Zimmer, das von innen abgeschlossen ist.

      Das klitzekleine Fenster war ebenfalls geschlossen.

      Irgendwie hatte ich Angst, dass da ein Monster drin sein könnte, der mein Vater gefressen hat. Totaler Quatsch, ich weiß. Aber ich musste mich ja auch irgendwie schützen. Ich will nicht, dass mein hart erbautes Kartenhaus wieder zusammenbricht. Habe mich um meine Mutter gekümmert und viel über das Leben gelernt.

      Doch nun packt mich die Neugier und ich lausche angestrengt.

      »Was soll ich denn suchen? Ich hab doch schon das ganze Zimmer abgesucht. Ich weiß nicht, wo der beschissene Stift ist«, höre ich sie fast schon schreien und spüre, dass sie es bereut, denn sie redet leiser weiter. »Keine Ahnung, ehrlich nicht. Aber selbst wenn wir ihn finden würden, wer soll ihn denn benutzen?«

      Ich verstehe gerade nur Bahnhof. Nicht zu wissen, worum es geht, hasse ich.

      Es ist still geworden, ich denke, sie hört zu. Ist Hayley am anderen Ende?

      »Warum sollte Mel den Stift haben? Sie war nie im Büro.«

      Oh je. Ob es sich um den Stift handelt, den ich genommen habe? Ich habe ihn nie benutzt, sondern nur versteckt. Ich wollte etwas von meinem Vater haben. Eine Erinnerung.

      Mehr nicht. Ich konnte nicht mit ihm schreiben, denn ich wollte ihn nicht kaputtmachen.

      Dieser Stift scheint irgendeine Bedeutung zu haben, obwohl er sehr einfach aussieht. Die Farbe ist etwas ungewöhnlich, aber ansonsten weist er keine Auffälligkeiten auf.

      Schnell schleiche ich zurück in mein Zimmer, denn ich muss nicht mehr hören. Ich werde meine Mutter danach fragen.

      Wenn sie es mir nicht erklärt, werde ich meine Tante besuchen.

      In meinem Zimmer angekommen, greife ich zuerst hinter meinen Schrank. Dort kommt man nur hin, wenn man sich etwas verrenkt und auch weiß, wonach man suchen muss. Ich ziehe ein kleines Kästchen hervor und lausche erneut, aber meine Mutter scheint noch immer zu telefonieren. Vorsichtig puste ich den Staub vom Deckel und öffne sie. Ich nehme den Stift aus der Schachtel, die ich mühevoll ausstaffiert hatte, und setze mich gedankenverloren auf den Boden. Was ist an diesem Kugelschreiber so besonders?

      Ich betrachte ihn zum ersten Mal ausgiebig. Drehe ihn und will gerade versuchen ihn zu benutzen, als ich Schritte höre. Ich lege es schnell zurück und verstecke die Kiste hinter meinem Rücken und schnappe mir stattdessen mein Buch.

      »Was machst du da?«, fragt meine Mutter, als sie ins Zimmer kommt.

      »Lesen«, antworte ich schulterzuckend.

      »Auf dem Boden?«

      Erschrocken blicke ich mich um und muss anfangen zu lachen. »Das Buch ... Es ist wahnsinnig spannend. Ich hab gerade was getrunken und nebenbei gelesen und wollte mich wieder setzen … scheinbar hab ich das Bett verfehlt«, erkläre ich und lache weiter.

      Lächelnd schüttelt sie nur den Kopf, aber ich sehe ihr an, dass sie sich bemüht nicht zu lachen. Unauffällig versuche ich, das Kästchen wieder hinter den Schrank zu schieben.

      »Wolltest du was?«

      »Mmh? Oh, ja. Wenn du Zeit hast, würde ich nachher gerne mit dir reden.«

      »Ja, klar. Ich komme gleich.«

      Sie wartet und hofft scheinbar, dass ich direkt mitkomme. Ich beobachte, wie sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen lässt, und frage mich, was sie wohl gerade denken mag.

      Von irgendwo dringt das Klingeln des Telefons zu uns durch und sie geht, ohne weiter etwas zu sagen.

      Ich stehe auf und suche mir ein anderes Versteck, da ich vermute, sie würde als Erstes in der Gegend schauen, in der ich so komisch gesessen habe.

      Suchend lasse ich den Blick durch mein Zimmer schweifen. Die beste Stelle ist in meinem Bücherregal. Denn dort würde sie nie nachschauen. Sie weiß, wie wichtig mir meine Bücher sind.

      Tiefdurchatmend schnappe ich mir mein Handy und gucke, solange sie telefoniert, ob es was Neues gibt. Die Musik, die schon die ganze Zeit läuft, nervt mich gerade, also stelle ich eine andere Playlist an und entspanne mich einwenig. Der Gedanke, dass etwas nicht stimmt, lässt mich nicht mehr los. Ich will es wissen und hasse es, nicht schon früher angefangen zu haben.

      Fragen stellen, neugierig sein.

      Aber was ist, wenn etwas so Furchtbares passiert war, dass es mich entzweien würde?

      Schlimmer als der Gedanke an das Monster, meint ihr?

      Ja, das stimmt. Aber Monster existieren nicht, jedenfalls nicht solche, die ich mir vorstelle. Aber ein Monster verbirgt sich oft hinter einem ganz normalen Gesicht. Ein Monster erkennt man erst, wenn es fast schon zu spät ist. Wenn es etwas gemacht hat, was man nicht mehr rückgängig machen kann. Wenn es Wert ist, in den Nachrichten erwähnt zu werden.

      Das Verschwinden meines Vaters war zwar einige Wochen Thema in den Zeitungen und auch im Fernsehen gab es Sondersendungen, aber das war es auch. Keine Spuren, keine Beweise. Ich wurde befragt, beschattet und meine Mutter sowieso. Jeder im Umfeld. Aber auch das verging und danach hat es niemanden mehr interessiert.

      *

      Mein Vater ist aus einem verschlossenen Raum verschwunden.

      *

      In meinem Buch ›Das mysteriöse Mädchen: Die unsichtbare Retterin‹ kann sich meine Protagonistin Ariane unsichtbar machen und so aus jedem Raum nach Belieben verschwinden. Sie kann durch Wände gehen und so bleibt sie unentdeckt. Aber mein Vater ist kein Superheld. Er kann so etwas nicht, auch wenn ich mir wünschen würde, dass dies seine Erklärung ist. Das er die Welt retten musste und uns deshalb verlassen hat.

      Ich habe damit nicht abgeschlossen, aber ich kann einfach nicht mehr. Versteht ihr das? Jahrelang hab ich auf ihn gewartet, hab gehofft, er würde eines Morgens in der Küche sitzen, seinen Kaffee trinken und mir lächelnd einen ›Guten Morgen‹ wünschen. Ich würde ihm alles verzeihen, wenn er nur wieder da wäre.

      Wenn ich wüsste, dass es ihm gut geht.

      Aber ich weiß nichts.

      Um auf andere Gedanken zu kommen, öffne ich schließlich Instagram und bekomme direkt die Meldung, dass mich jemand verlinkt hat.

       @juliansbookland