Fliegende Teppiche. Simone Wiechern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Wiechern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750247406
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draußen angelangt hielt ich nach einem Taxi Ausschau und sah glücklicherweise einen Beduinen, der mir als Fahrer aus Dahab bekannt war. Ich sprach ihn an und schnell wurden wir uns über einen Fahrpreis einig.

      Nachdem die Touristen, auf die er gewartet hatte, hinzugekommen waren, fuhren wir Richtung Dahab los. Kaum hatten wir das Flughafenareal verlassen, sah ich sie in der Ferne: die Berge. Schier endlos zogen sie sich durch den ganzen Sinai. Ein massiver, sich nur leicht verändernder Ruhepol, der mir sicher auch diesmal wieder etwas von seiner unendlichen Kraft abgeben würde.

      Das junge deutsche Paar im Taxi war mir sehr sympathisch. Auch für sie war dies nicht der erste Urlaub im Sinai.

      »Sagt mal«, fragte ich sie spontan auf halber Strecke, »habt ihr vielleicht Lust, kurz anzuhalten und eine kleine Pause einzulegen?«

      »Ja, warum nicht, wir haben es nicht eilig«, erwiderte die junge Frau.

      »Hast du einen Teepott und Tee dabei?« wandte ich mich an den Fahrer.

      »Natürlich! Warum?«, war seine von mir erhoffte Antwort.

      »Ich hab es so vermisst, unter einer Akazie zu sitzen und Tee zu trinken. Ich kann es nicht abwarten«, frohlockte ich.

      Der Fahrer freute sich sichtlich über meinen Vorschlag und hielt nach einigen Minuten an einem schönen Platz mit einem großen Baum an. Wir sammelten heruntergefallenes Holz der Akazie und entzündeten ein Feuer. Der Beduine bereitete den Tee. Als er ein wenig Fladenbrot aus dem Auto holte, ging auch ich an meine Tasche und steuerte deutschen Käse bei.

      »Welch ein schöner Urlaubsanfang«, sagte der Deutsche und seine Freundin und ich nickten zustimmend.

      In Dahab angekommen ließ ich mich am »Fighting Kangoroo« Camp absetzen und schmunzelte wieder über das handgemalte Schild über der Eingangspforte, auf dem ein kindlich gemaltes Känguru mit Boxhandschuhen abgebildet war und lachend seine Fäuste gegen eine Palme erhob.

      Schon beim Eintreten wurde ich freudig von den beduinischen Betreibern begrüßt. Glücklich, die alte Besatzung wiederzusehen, ließ ich mich gerne, noch bevor ich meine Koffer in mein Zimmer brachte, zu einer weiteren Tasse des typisch süßen Tees einladen.

      Ich hatte mit den Angestellten des Camps im vorherigen Urlaub viel Zeit verbracht. Sie langweilten sich oft, wenn sie das Camp, das sich in Familienbesitz befand, beaufsichtigen mussten und ich wollte schon damals alles über Land und Leute herausfinden. Die Jungs waren noch Teenager und ebenso an meinem Leben interessiert wie ich an ihrem. Die meiste Zeit verbrachte ich damals mit Sahi, mit dem ich mich vom ersten Moment an prächtig verstand. Wir konnten über Vieles lachen und er hatte immer Lust, etwas zu unternehmen.

      Ich war froh, nicht allein an den Strand gehen zu müssen. Das hatte den Vorteil, dass man nicht permanent von den ägyptischen Shopbesitzern angesprochen wurde. Alle paar Meter wollte mir jemand etwas verkaufen, mich auf einen Tee einladen oder sich mit mir die Zeit vertreiben. Auf diese Small Talks hatte ich selten Lust, vor allem, da sie den Nachteil hatten, dass jeder, mit dem man einmal geredet hatte, einen sofort als seinen Freund bezeichnete und bei jedem weiteren Standbesuch wieder in ein Gespräch verwickeln wollte. Ich bevorzugte alles in Ruhe zu genießen oder von Sahi mehr über die Beduinen zu erfahren. Die Männer in den Cafés und Shops der Promenade waren zum größten Teil Ägypter und für mein Empfinden viel zu aufdringlich. Fast schon penetrant versuchten sie, die Touristen in Gespräche zu verwickeln. Mit einem sehr üppigen Repertoire an zumeist ziemlich flachen Sprüchen versuchten sie die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden auf sich zu lenken. Die Beduinen, die nicht so zahlreich vertreten waren, gaben mir hingegen nie das Gefühl, mich in irgendeiner Art zu bedrängen.

      Abends gingen Sahi und ich manchmal in die Disco. Aber nachdem er wegen mir einmal von der Polizei kontrolliert und abgeführt wurde, mochte ich dieses Risiko nicht wieder eingehen. Den Einheimischen war es verboten, mit Touristinnen auszugehen, und wir mussten immer aufpassen, nicht von den Beamten erwischt zu werden. Als sie Sahi damals abgeführt hatten, rannte ich vollkommen aufgelöst zurück ins Camp und erzählte den anderen Jungs, was geschehen war. Sie beruhigten mich; man würde Sahi nur so lange in Gewahrsam halten, bis sein Bruder ihn abholen würde. Sahis Familie hätte einen guten Draht zu der örtlichen Polizei. Tatsächlich war er am nächsten Vormittag schon wieder im Camp und erzählte mir, dass sein Bruder ihn nachts noch abgeholt hatte. Für ihn war es nichts Besonderes, als Beduine von der Polizei mitgenommen und verhört zu werden. Mich hatte der Vorfall allerdings so erschreckt, dass ich mich zukünftig lieber an Plätzen mit ihm aufhielt, wo weniger Polizei unterwegs war.

      Nachts legte ich meinen Schlafsack neben seinen auf das Campdach und wir redeten oft bis die Sonne wieder aufging. Unsere Unterhaltungen waren wegen der Sprachbarrieren sehr zeitintensiv. Er brachte mir die ersten Worte Arabisch bei und ich verbesserte sein Englisch. Oftmals malte ich ihm Sachen auf, um mich verständlich zu machen, und staunte, wie schnell er lernte. In Berlin dachte ich immer gern an diese ungezwungenen und entspannten Abende mit ihm und freute mich nun, ihn wiederzusehen.

      »Wo ist denn Sahi?«, fragte ich Chalid.

      »Der schläft wie üblich oben auf dem Dach, faul wie immer«, entgegnete der Teenager lachend. »Wenn du ihn nicht weckst, schläft er sicher noch ein paar Stunden.«

      Chalid trug mir meine Koffer in mein altes Zimmer und ich ging den gewohnten Weg zur Dachterrasse, die noch vor ein paar Monaten mein bevorzugtes Nachtlager gewesen war.

      Mich leise an Sahi anschleichend, verweilte ich einen Moment an der Brüstung und war beruhigt, die Aussicht noch immer so atemberaubend wie damals vorzufinden. Ein weitläufiger, dunkelgrüner Teppich, aus sich im Wind schwenkenden Palmen, ging über in das kräftige Blau des Meeres und bildete einen malerischen Kontrast zu den Bergen von Saudi Arabien im Hintergrund.

      »Hey, kleiner Bruder, ich bin wieder da«, flüsterte ich leise auf Arabisch und rüttelte den tief Schlafenden sachte an der Schulter.

      »Tayeb, tayeb!«, gut, gut!, knurrte Sahi und drehte sich mürrisch weg.

      Eine Sekunde später warf er sich blitzartig wieder herum und schaute mich ungläubig aus verschlafenen Augen an.

      »Ya marhaba!«, herzlich willkommen!, begrüßte er mich, indem er die Worte extrem in die Länge zog und damit sein Staunen und seine Freude gleichermaßen zum Ausdruck brachte.

      »Wie geht es dir?«, fragte er mich.

      »Gut! Ich bin unendlich froh, wieder hier zu sein. Wie geht es dir?«

      »Müde«, entgegnete er und unterstrich das Ganze mit einem ungenierten Gähnen.

      »Ja, so kenne ich dich«, sagte ich fröhlich und freute mich schon, mit ihm noch heute oder morgen zu seiner Familie ins Dorf zu gehen, was er mir beim letzten Mal versprochen hatte.

      Bei seinem kargen Frühstück aus Tee und Fladenbrot um vier Uhr nachmittags leistete ich ihm Gesellschaft. Ich erzählte ihm, was ich in der Zwischenzeit gemacht hatte und gab ihm den Walkman, den ich für ihn mitgebracht hatte. Leider hatte Sahi keine Lust ins Dorf zu gehen und vertröstete mich auf morgen. Doch auch am nächsten Tag schlief er morgens sehr lang, mittags wieder und verschob unseren Ausflug erneut um einen ganzen Tag.

      Er hatte sich verändert und war nicht mehr der witzige, lebenslustige Typ, mit dem ich im letzten Urlaub so viel Spaß gehabt hatte. Am dritten Tag ließ er sich doch noch überreden und wir zogen los.

      Zuerst liefen wir etwa zwei Kilometer am Strand entlang. An einem herrlichen, großen Palmengarten, der seiner Familie gehörte, bogen wir ins Dorf ab. Sofort hefteten sich ein paar Kinder an unsere Fersen und bestürmten Sahi mit Fragen, die zum größten Teil mich betrafen. Bei seinem Elternhaus angekommen, liefen die Kinder zuerst in den Vorhof und riefen immer wieder: »Eine Ausländerin ist da, eine Ausländerin ist da!«

      Als ich hinter Sahi auf den Hof kam, erhoben sich alle und gaben mir mit kurzer Begrüßungsfloskel die Hand. Die Familie war diesen Nachmittag vertreten durch zwei seiner Schwestern und deren Töchter. Dazu kamen ein paar Freundinnen aus der Nachbarschaft. Sahi sagte mir, die Mädchen würden mich sicher gut unterhalten und verschwand einfach, bevor ich