Fliegende Teppiche. Simone Wiechern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Wiechern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750247406
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halt die Klappe‹, zischte der Mut sie an. ›Sag lieber der Nebenniere, sie soll sich etwas zurückhalten mit ihren Ausschüttungen. Die Arme kann ja vor lauter Zittern kaum noch stehen.‹

      Wieder festen Boden unter den Füßen, entschuldigte ich mich bei Abjad, und versuchte ihn zu beruhigen. Meine Beine fühlten sich an wie Gelee. Er schien keinen Wert auf meine Bemühungen zu legen, warf weiterhin seinen Kopf hin und her und zog so sehr am Zügel, dass mir die Handinnenflächen schmerzten. Es brauchte eine ganze Weile, ehe er sich wieder einigermaßen beruhigte. Ich sprach versuchend: »Jiiierch!«, aber Abjad bewegte sich nicht und schaute mich nur grimmig an. Ein Stock musste her. Kaum hatte ich einen auf dem Wüstenboden gefunden und diesen in der Hand, wurde der Wüterich lammfromm und legte sich mir brav zu Füßen. Schlagen brauchte ich ihn glücklicherweise nicht, der bloße Anblick reichte ihm. Das hätte ich sicher auch nicht gekonnt. Ich hievte den Sattel wieder auf den Höcker und befestigte den Bauchgurt diesmal fester und gewissenhafter. Als ich gerade aufsteigen wollte, warf Abjad seinen Kopf erneut herum. Erschrocken wich ich zurück. Das Kamel blökte lautstark und stand einfach ohne mich auf. Ich fluchte, aber wusste ja nun was zu tun war: Stock zeigen und resolut den Befehl erteilen. Er ging in die Knie.

      ›Na super!‹, jubilierte die Freude, langsam verstanden wir uns.

      Wieder obenauf prüfte ich den Sattel auf seine Festigkeit durch kräftiges Rütteln, indem ich mich ruckartig nach rechts und links bewegte. Alles schien fest. Ich hatte den Bauchgurt aber auch so stark angezogen, dass mir dicke Schweißperlen die Stirn hinuntergelaufen und an meinen Schläfen die Adern hervorgetreten waren. Wir ritten ohne weitere Arbeit für die gestresste Nebenniere heim ins Camp. Der Ausflug fiel kürzer als geplant aus. Es war besser, sich vor dem nächsten Ausflug noch mal erklären zu lassen, wie man ein Kamel fachmännisch sattelte. Doch trotz des kleinen Missgeschicks war ich von meinem ersten alleinigen Kameltrip wie berauscht.

      Abjad war direkt vor meinem Zimmerfenster angebunden und ich reichte ihm schuldbewusst den ganzen Tag über immer wieder kleine Leckereien durch die Luke. Ich hoffte, dass er mir somit diesen ersten Patzer möglichst bald vergeben würde. Es war ein guter Start in den Tag, wenn ich morgens beim Erwachen seine Schmatzgeräusche am Fenster vernahm oder sein Maul erblickte, das sich in freudiger Erwartung durch das winzige Fenster in mein Zimmer schob.

      Meine Sattelkünste wurden langsam besser, da ich mich nun auch ohne Kamel öfter bei den jungen Beduinen aufhielt, die Kameltouren anboten. Einige von ihnen baten mich, ihnen Touristen zu vermitteln. Sie gaben mir im Gegenzug freundlich und unermüdlich Auskunft über meine Fragen und zeigten mir die nötigsten Handgriffe. Keiner von ihnen teilte Sahis Skepsis, ausnahmslos alle beglückwünschten mich zu meinem Kauf.

      Eines Morgens, als ich gerade vom Frühstück am Strand zurückkam, saß Sahi mit einem alten Mann im Camp und plauderte. Sahi winkte mich heran. Der betagte Beduine wollte, dass ich auch ihm Touren vermittelte und bot dafür an, mir alles beizubringen, was man über ein Kamel nötigerweise wissen sollte. Jimme schien sehr vertrauenswürdig und gefiel mir auf Anhieb. Wir machten aus, dass ich mich bei ihm melden würde, wenn ich Touristen gefunden hätte, die mit uns in die Wüste wollen.

      Kamelsafaris

      »Was man lernen muss, um es zu tun,

       das lernt man, indem man es tut.«

      - Aristoteles -

      Direkt nachdem Jimme gegangen war, fragte ich ein schwedisches Pärchen aus dem Camp, ob sie nicht einen Ausflug mit uns in die Berge machen wollten. Sie waren von den Schilderungen der Tour begeistert und es ging endlich auf meine erste dreitägige Kameltour.

      Schon beim Satteln sollte sich herausstellen, dass ich einen Meister des Faches vor mir hatte. Jimme zeigte mir einen Kniff, wie man den Bauchgurt anziehen konnte, ohne im eigenen Schweiß zu baden.

      Am späten Nachmittag des nächsten Tages ritten wir gemächlich der Sonne am Himmel entgegen, die die Berge Stunde um Stunde in neue Farben tönte. Die bizarre Berglandschaft um uns herum war atemberaubend und wir sprachen wenig. Ich hatte in Gesellschaft noch nie so wenig geredet wie in diesen drei Tagen. Die Wüste schien ihre Stille geradezu erzwingen zu wollen, indem sie mich mit ihrer Pracht zum Schweigen brachte. Was sollte gesagt werden, was war wichtig genug, diese Ruhe, die uns wie ein Mantel umhüllte, zu zerstören? Es war grandios. Langsam wurde es dämmrig und der Himmel zeigte uns ein prächtiges Farbenspiel. Ein paar Wolken waren aufgezogen, durch die die Sonne ihre orange und rot glühenden Strahlen schickte und die Wolken dabei verspielt einfärbte. Hinter einem Hügel war ein kleines Wadi mit vier großen Akazien, in dem wir beschlossen zu nächtigen. Während wir es uns bequem machten, ging Jimme, der scheinbar nie zu ermüden schien, zu einem der Bäume und nahm sich eine dort herumliegende, circa zwei Meter lange Eisenstange mit gekrümmter Spitze. Diese benutzte er als verlängerten Arm und brach hoch in dem Baum vertrocknete Äste aus der Akazie. Immer wieder fand ich an Orten, die als Rastplätze der Beduinen erkennbar waren, diese Metallstangen, und bewunderte erneut den Erfindungsreichtum und das soziale Bewusstsein der Wüstenbewohner. Jimme sagte mir, dass es nie jemandem einfallen würde, dieses schlichte Utensil mitzunehmen, denn jeder Beduine weiß, wie schwer es ist, ohne dieses einfache Hilfsmittel an die dornigen Äste hoch oben in den Bäumen zu gelangen. In gebührendem Abstand zu den Akazien mit ihren sehr langen und spitzen Dornen legten wir die Decken auf die Erde, um später darauf zu schlafen. Jetzt ruhten wir uns erst mal einfach nur darauf aus und schauten dem Hadsch bei seinem emsigen Treiben zu. Als Hadsch werden mit Hochachtung ältere Männer bezeichnet oder Personen, die die Wallfahrt nach Mekka unternommen hatten. Der Beduine war die ganze Zeit gelaufen und gönnte sich auch jetzt nicht eine einzige Minute der Muse. Ich wollte ihm zu Hand gehen, aber er wollte sich nicht helfen lassen. Ich solle mich jetzt ausruhen, ihm zusehen und lernen. Er entfachte im Handumdrehen mit den trockenen großen Ästen, die er geangelt hatte, ein riesiges Feuer und stellte den Teepott hinein. Danach nahm er sich eine Schüssel aus seiner Satteltasche, füllte sie mit Mehl und begann durch langsame Zugabe von Wasser das Gemisch zu einem zähen Teig zu verarbeiten. Er fügte noch etwas Salz hinzu und knetete die Masse eine geraume Zeit, bis eine große Teigkugel entstanden war. In der Zwischenzeit kochte das Wasser. Er gab Tee hinein, ließ alles noch einmal kurz aufkochen und nahm es aus dem mittlerweile herunter gebrannten Feuer. Jetzt fehlten nur noch die Unmengen an Zucker, die in jeden Beduinentee gehörten. Fünf gehäufte Esslöffel tat Jimme dazu und überreichte jedem von uns ein Glas. Wir streckten unsere etwas schmerzenden Glieder auf der Decke aus und genossen das wohltuende Getränk, während der Beduine sich wieder am Feuer zu schaffen machte. Er ergriff einen langen dicken Knüppel und schob in einer längeren Prozedur die glühenden Kohlen behutsam zur Seite auf einen beachtlichen schwelenden Haufen. Noch einmal knetete er den Teig durch und formte ihn in seinen Händen zu einem serviertellergroßen, runden, etwa zwei Zentimeter dicken Fladen. Mit einer gekonnten Handbewegung legte er ihn in die zuvor freigelegte Feuerstelle. Vorsichtig schob er mit dem Knüppel die glühenden Kohlen über den Teigfladen, bis er fast vollständig bedeckt war. Dann strich er die Kohle auf die gleiche Art und Weise wieder behutsam herunter, um den Fladen mit einer dünnen Ascheschicht zu überdecken. Darauf kamen wieder die Kohlen.

      Zufrieden genoss er nun zum ersten Mal einen Moment Pause und trank ein Glas Tee. Nach etwa einer Viertelstunde schob er die Asche und die Kohlen wieder von dem Fladen und drehe ihn mit spitzen Fingern um. Ein herrlicher Duft schlug uns entgegen, aber wir mussten uns noch eine Weile gedulden, bis auch die andere Seite geröstet war. Nach mir endlos scheinender Wartezeit - ich hatte inzwischen mächtigen Hunger - nahm er das fertige schwarze Etwas aus dem Feuer und schlug es mehrfach heftig auf einen Felsen. Als er damit die Asche beseitigt und einige angebrannte Stellen mit einem Messer abgeschabt hatte, kam ein herrlich dickes, Wohlgeruch verströmendes Brot zum Vorschein. Er brach jedem eine kleine Ecke ab und ich beschloss, so ein Brot zu bereiten, würde meine nächste Herausforderung werden. Es schmeckte fantastisch, eines der besten Brote, die ich probiert hatte. Hadsch Jimme öffnete zwei Dosen Saubohnen, das viel gegessene Foul aus Ägypten, und gab den Inhalt zu den Zwiebeln und dem Knoblauch, die er zuvor in Butterfett in einem kleinen Topf im Feuer angebraten hatte. Dieses einfache Mahl aus Brot und