Die nächsten Minuten hatte Bettina das Vergnügen, dem Gespräch zwischen Terry und Sam zuzuhören und ihn dabei zu beobachten. Sie mochte ihn. Verliebt klang so teeniemäßig, und aus diesem Alter war sie mit vierunddreißig definitiv raus. Wahrscheinlich war es einfach die Gesamtsituation, die ihr Gefühle vorgaukelte, wo rein faktisch gar keine sein konnten. Ja, sie war verschossen in ihn, aber das schrieb sie dem ganzen Stress zu, den sie in den letzten Monaten gehabt hatte. Er war ihr Ruhepol gewesen, ein normaler, netter Typ und als Joe einfach herrlich unkonventionell. Sam entsprach so gar nicht ihrem Typ Mann. All ihre Ex-Freunde bisher waren größer gewesen als sie, dunkelhaarig, sportlich, schlank bis dünn und gutaussehend. Sam war knapp über einssiebzig, kompakt, muskulös, aber nicht wirklich der Inbegriff eines Athleten. Und hatte hellbraune Haare. Mit seinen zweiundvierzig Jahren war er zwar natürlich noch nicht alt, aber eben doch ein Stück älter als sie. Und gutaussehend, nun ja, darüber konnte man streiten. Sie mochte ihn. Er hatte einen sinnlichen Mund und wunderschöne, ausdrucksvolle Augen. Er hatte auch schöne Hände, wie sie gerade mal wieder feststellte.
Er sah zu ihr herüber und lächelte. Zwar nur mit einem Mundwinkel, aber es erreichte auch seine Augen. Kurzum, er war ein ganz normaler Kerl, bodenständig, witzig und ja, verdammt noch mal, sie mochte ihn. Ihr wurde erneut viel zu warm und es zog ihr durch den Bauch. Ihre Hand, die sie um ihre mittlerweile leere Tasse gelegt hatte, zitterte leicht. Bettina starrte entsetzt darauf, und verfiel fast in Panik, als sich Sams Hand auf ihre legte. Das Zittern hörte augenblicklich auf. Er beendete sein Gespräch. „Ist dir kalt?“
„Ich weiß nicht.“
Er lächelte mitfühlend und zog seine Hand zurück. „Das war Terry. Ich muss jetzt leider weg. Wir haben morgen einen Außendreh eine Stunde entfernt von hier. Terry schickt mir das Skript rüber und damit werde ich wohl den Abend verbringen. Ah, Moment noch.“ Er tippte etwas in sein Handy und deutete der Kellnerin an, dass er zahlen wollte. „Lass stecken“, sagte er, als Bettina ihre Geldbörse herausholte. „Geht auf mich.“
„Danke.“
„Ah.“ Er schaute auf sein Handy und dann wieder zu Bettina. „Hast du morgen schon etwas vor?“
Sie überlegte. „Annette wollte ins British Museum.“
„Und, gehst du mit?“
„Warum?“
„Willst du statt ins Museum lieber mit zu unserem Außendreh?“, fragte Sam beiläufig, während er seine immer noch leicht feuchte Jacke anzog.
„Was?“
„Viel werde ich mich nicht um dich kümmern können, aber vielleicht magst du mal sehen, wie deine Serie gedreht wird. Es wird nass und ungemütlich werden, aber mittags gibt’s was zu essen.“
„Ist das dein Ernst?“ Bettina hatte mittlerweile ebenfalls ihre Jacke an und Sam war um den Tisch herumgekommen und steuerte auf die Tür zu, die er ihr aufhielt. Sie verabschiedeten sich noch bei der Kellnerin und traten wieder auf die Straße.
„Wir haben oft Besucher am Set. Ist nur ein Angebot. Aber das British Museum ist auch wirklich interessant.“ Er schob die Unterlippe vor und nickte begeistert.
Bettina musste lachen und als der Groschen endlich gefallen war, antwortete sie. „Das wäre echt der Hammer.“
„Gut. Warte.“ Er tippte wieder etwas in sein Handy und wartete auf die Antwort, die prompt kam. Er nickte. „Gib mir bitte Deine Handynummer, dann kann ich Dir heute Abend noch den Treffpunkt nennen. Und die Uhrzeit. Du kannst mit Nancy fahren, das ist unsere zweite Produktionsassistentin. Ich muss schon um sechs morgens dort sein, das will ich dir nicht zumuten. Ist ja Urlaub, hm?“ Er lachte. Bettina tippte mit zitternden Fingern ihre Nummer in sein Handy. Er steckte es wieder weg. „Ich muss da rüber zur U-Bahn, wo musst du lang?“
„U-Bahn klingt gut.“
„Wo ist euer Hotel?“
„Nähe King’s Cross.“
Er nickte und lief los. Wie vorhin auch ging Bettina neben ihm her und genoss dieses seltsame Gefühl der Vertrautheit, so, als ob sie ihn seit Ewigkeiten kennen würde. Sie sprachen nichts weiter, sondern liefen einfach nur still nebeneinander her. Bettinas Hirn war leer und sie konnte sich beim besten Willen kein unverfängliches Thema ausdenken, um ein Gespräch in Gang zu bringen. Sam ging zügig voran, achtete aber darauf, dass sie mitkam. Es waren nicht viele Menschen hier unterwegs, und die, die es waren, waren eher darauf bedacht, nicht von Fahrradfahrern überfahren zu werden oder in Pfützen zu treten. Nach der sehr zugigen Brückenüberquerung und einem weiteren kleinen Fußmarsch entlang einiger Bürogebäude erreichten sie den Zugang zur U-Bahn und dann war der Moment der Verabschiedung da.
Sam zeigte zu einer Reihe von Drehkreuzen. „Du musst da lang. Ich fahre von der Station aus, an der wir eben vorbeigelaufen sind, ich muss in die andere Richtung. Ich wünsche dir einen schönen Abend und bis morgen. War nett, dich getroffen zu haben.“
„Das wünsche ich dir auch. Und viel Erfolg beim Textlernen. Und vielen Dank. Für alles.“
Er lachte. „Ja, danke. Ich bin gespannt, was Terry mit Joe vorhat. Also …“ Er streckte ihr seine rechte Hand hin und sie verabschiedeten sich.
Bettina war heilfroh, dass sie um eine Umarmung herumgekommen war. Auch wenn das sicherlich schön gewesen wäre, aber es wäre wohl etwas zu viel des Guten gewesen. Sam hob noch kurz die Hand zum Abschied und verschwand wieder nach draußen. Bettina ging durch die Drehkreuze der U-Bahnstation und kam zwanzig Minuten später im Hotel an. Sie hatte keinerlei Erinnerungen mehr, wie sie es bis dorthin geschafft hatte.
Kapitel 2
Am nächsten Morgen stand Bettina zur verabredeten Zeit an der verabredeten Straßenecke und wartete. Ihre Freundin Annette war stocksauer, weil sie das British Museum nun allein besichtigen musste, aber das war Bettina gerade herzlich egal. Sam hatte ihr gestern Abend noch per WhatsApp den Treffpunkt und die Uhrzeit durchgegeben und viel mehr hatten sie nicht geschrieben. Bettina hatte den gestrigen Tag immer noch nicht ganz überwunden und sah mit gemischten Gefühlen dem heutigen entgegen. Aber die Vorfreude überwog eindeutig. Sie würde den Dreharbeiten zu Ihrer Lieblingsserie zuschauen dürfen und wahrscheinlich auch die anderen Schauspieler treffen oder zumindest sehen, was genauso unglaublich war, wie gestern mit Sam in einem Café zu sitzen.
Ein großer, schwarzer Land Rover hielt neben ihr und die Fensterscheibe fuhr herunter. Drinnen saß eine blonde Frau mit Pferdeschwanz, die sehr englisch und sehr streng aussah. „Bist du Bettina?“, rief sie über den Beifahrersitz hinweg.
„Ja, guten Morgen.“
„Guten Morgen, steig ein.“
Bettina öffnete die Autotür, kletterte auf den Beifahrersitz und schnallte sich an.
„Hi, ich bin Nancy, Terrys Assistentin.“ Sie schüttelten sich kurz die Hände und Nancy lenkte den Geländewagen wieder in den fließenden Verkehr. Bettina fühlte sich nicht wirklich willkommen.
Sie fuhren noch eine Weile durch London und kamen dann über einige Landstraßen auf eine Autobahn. Unterwegs telefonierte Nancy fast ununterbrochen mit Terry und einem anderen Mann und klärte den Tagesablauf sowie diverse Sachen, die Bettina nicht zuordnen konnte. Erst als sie London schon weit hinter sich gelassen hatten, war das Telefon einen Moment lang ruhig.
„Sorry, aber das mussten wir jetzt klären. Außendrehs sind immer etwas Besonderes. Besonders aufwendig, besonders nervig und besonders teuer. Und heute wird es echt ungemütlich. Das Wetter am Drehort ist nicht das Beste, aber das passt gut zu unseren Szenen. Leider hat der Golfclub um die Ecke zu, sonst hätten wir dort wenigstens die Sanitärräume und ein paar andere Räume mitnutzen können. So müssen wir alles rankarren und noch das Catering … oh Mist, da muss ich noch mal anrufen.“ Sie wählte eine Nummer und diskutierte mit einer genervt klingenden Frau, die einen für Bettina fast völlig unverständlichen englischen Dialekt sprach, wann, wo, wieviel