Populismus leicht gemacht. Ralf Grabuschnig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf Grabuschnig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783752919868
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Miklós Horthys. Aber sie sahen das Problem, und dieser Horthy, Admiral der k. u. k.-Armee und Vertreter einer „alten Größe“, war zumindest ein ausgewiesener Gegner des kommunistischen Terrors und somit eine glaubhafte Lösung. Er war ein Garant für die Stabilität des Landes und dadurch ein Kompromiss, den viele Schichten Ungarns zu tragen bereit waren.

      Als echter Diktator verstand sich Horthy in der Folgezeit allerdings nicht, zumindest nicht, was seinen Herrschaftsstil anging. Er bevorzugte es, wie ein herkömmlicher Monarch zu regieren und Ministerpräsidenten unter sich einzusetzen, die die Tagespolitik Ungarns gestalteten – wie in der guten alten Zeit eben, in der Horthy selbst aufgewachsen war. An seiner Legitimation änderte das freilich nichts. Er war angetreten, um ein Problem zu lösen, und der Reichsverweser stand die nächsten zwei Jahrzehnte vor allem für ein Versprechen: Unter ihm würde es in Ungarn niemals wieder eine linke Revolution oder auch nur eine starke linke Bewegung geben. Und dieses Versprechen vertrat er recht glaubwürdig. So war Horthy der letzte nennenswerte europäische Staatsmann, der Anfang der Dreißigerjahre die Sowjetunion als Staat anerkannte – über fünfzehn Jahre nach der Oktoberrevolution und zu einem Zeitpunkt, an dem niemand mehr die Staatlichkeit dieses Regimes hätte anzweifeln können. Dass ihn sein Lieblingsfeindbild, die Bolschewisten, später auch in den politischen und persönlichen Abgrund trieb und ihn zu einer Allianz mit Nazideutschland und der Teilnahme am deutschen Russlandfeldzug verführte, ist ein anderes Thema. Und es ist auch alles nicht so tragisch! Zum Zeitpunkt seines Sturzes war Reichsverweser Miklós Horthy immerhin 24 Jahre lang im Amt gewesen und inzwischen weit über siebzig Jahre alt. Seinen Lebensabend durfte er dann außerdem im klimatisch wie politisch freundlichen Portugal verbringen. Ich bin mir sicher, als Möchtegerntyrann werden Sie mir zustimmen: Man kann sich für die eigene Rente Schlimmeres vorstellen.

      An allem sind die Juden schuld … und die Kommunisten … und die Demokraten sowieso

      Wir müssen aber natürlich nicht bis nach Ungarn schauen, um zu sehen, welche Auswirkungen eine gescheiterte Revolution haben kann. Die Räterepublik von München und ihre Niederschlagung im April 1919 hatten es schließlich genauso in sich! Die eigentliche Revolution begann in Deutschland schon deutlich früher als in Ungarn, und zwar im November 1918. In den meisten Teilen des Landes flaute die revolutionäre Laune im Laufe des folgenden Frühlings aber schon merklich ab. Nicht so jedoch in Bayern. Nach der Ermordung des revolutionären Ministerpräsidenten Kurt Eisner durch einen rechtsradikalen Attentäter heizte sich die Stimmung ab Februar 1919 erst so richtig auf und mündete Anfang April in der Ausrufung einer Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Die hatte mit ihrem fast zeitgleich entstehenden Pendant in Budapest auch sonst so einiges gemein. In Bayern wie in Ungarn waren Revolution und Räterepublik – soweit kann man es wohl sagen – nie von einer Mehrheit getragen. So genoss diese Republik auch nur in der Stadt München und in der unmittelbaren Umgebung eine gewisse Autorität. Bereits am 1. Mai 1919 war es mit dem Spuk wieder vorbei. Da marschierten antirevolutionäre Truppen in München ein, teils Anhänger des ehemaligen (oder nach seiner Meinung noch aktiven) sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Hoffmann, teils gewalthungrige Freikorps, Überbleibsel der Weltkriegsarmee mit oft rechtsradikalem Hintergrund.

      Das Ende der Münchner Räterepublik war dann auch entsprechend blutig. Hunderte meist unschuldige Münchner wurden von den heranrückenden Truppen auf offener Straße ermordet. Als Resultat herrschten in der Stadt schon bald wieder „Recht und Ordnung“. So sehr sogar, dass München in der Folgezeit eine Kehrtwende um 180 Grad hinlegte und vom linksrevolutionären Hort zur „Ordnungszelle“ Deutschlands wurde. Nirgends waren das rechtskonservative und rechtsradikale Lager in der Zeit der Weimarer Republik stärker verwurzelt als hier. Der Feind war in diesem antirevolutionären Lager Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg bereits deutlich erkennbar. In allem, was in Deutschland seit dem Kriegsende schiefgelaufen war, gab es einen gemeinsamen Nenner: die Juden. Die Juden waren daran schuld, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Wir haben ja bereits über die Dolchstoßlegende gesprochen, die zwar ein schon damals offensichtliches Lügenkonstrukt war, trotzdem aber weitum geglaubt wurde. Darüber hinaus war nach Meinung der Rechtsradikalen auch die Räterepublik in München ein jüdisches Konstrukt. Gleichzeitig aber hielten die Juden nach wie vor alle Produktionsmittel und das Kapital der Welt in ihren Händen. Man wollte ja keine altehrwürdigen Vorurteile opfern, nur weil sich auch neue boten. Wie ein und dieselbe Gruppe zugleich den bolschewistischen Umsturz des Systems und die Profitmaximierung in eben jenem System betreiben konnte, das unter einen Hut zu bekommen, war ein besonderes Kunststück … Aber so genau hat damals wohl keiner nachgefragt. Für das Nachfragen sind Rechtsradikale ja auch heute noch nicht berühmt.

      Nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik wurden diese rechten Meinungen in Bayern zum neuen Mainstream. Antisemitismus hatte es zwar schon lange gegeben, so massentauglich wie in der „Ordnungszelle“ war er aber noch nie gewesen. Es gab im München der Zwanzigerjahre ein Feindbild, das die Mehrheit der Menschen bereit war zu glauben. Der Feind, das waren die Kommunisten und als Verlängerung die Juden. Schon bald fand sich konsequenterweise auch jemand, der sich als Lösung für dieses Problem präsentierte: ein junger Österreicher namens Adolf Hitler. Und Hitler gab sich nicht damit zufrieden, die Ängste der Menschen und ihre etablierten Feindbilder auszunutzen, wie das die etwas denkfauleren Autokraten dieser Welt gerne tun. Er fachte diese Vorurteile aktiv an, um die Bedrohung durch den jüdischen Feind weiter aufzublasen. Bei der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war der Weg somit schon geebnet. In Bayern – aber auch fast überall sonst in Deutschland – war der Antisemitismus im Laufe der Zwischenkriegszeit zur neuen Normalität geworden. Was mit rechten Verschwörungstheorien wie der Dolchstoßlegende begann, hatte es in breite Teile der Bevölkerung geschafft. In den Dreißigern hätten wohl die meisten Deutschen der Parole zugestimmt: Die Juden sind das Problem. Adolf Hitler und die Nationalsozialisten sind die Lösung. Als Folge war es für Hitler auch nicht sonderlich schwierig, über Nacht schwere Geschütze gegen diesen jüdischen „Feind“ aufzufahren. Ohne die vorangegangenen Jahre der Normalisierung des Unmenschlichen ist das Regime Hitlers nicht zu erklären. Ohne die Jahre, in denen von nationalsozialistischen wie anderen Seiten die Unterschiede zwischen „uns“ Deutschen und den „anderen“ heraufbeschworen wurden, kann man den folgenden Weg in Richtung Massenmord nicht verstehen. Gegen Adolf Hitler gab es im Volk jedenfalls keinen echten Widerstand, als er in den Dreißigerjahren mit der massiven Diskriminierung der jüdischen Mitbürger begann. Als er später den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach, war es für die Propaganda des Regimes bereits problemlos möglich, die deutschen Angreifer als die wahren Opfer darzustellen, so absurd das in Wirklichkeit anmutet. Denn sie wehrten sich mit diesem Angriffskrieg doch nur gegen die Bedrohung durch den ewigen Feind, das Weltjudentum! Und selbstverständlich hat in dem Kontext Polen zuerst geschossen. Noch im politischen Testament, das er kurz vor seinem Tod aufsetzte, legte Hitler auf diese Tatsache besonderen Wert. Nicht er hatte den Krieg begonnen, er war ihm und dem deutschen Volk durch das Weltjudentum aufgezwungen worden. Dass ihm die breite Mehrheit der Deutschen in dieser vollkommen geisteskranken Einschätzung zustimmte, zeigt uns die wahre Macht der Feindbilder. Trotzdem scheinen sie bis heute nichts an ihrer Beliebtheit unter autokratischen Zeitgenossen wie Ihnen verloren zu haben.

      Mit denen ist kein Staat zu machen

      Lassen Sie mich Ihnen an der Stelle noch eine Weisheit bezüglich Feindbilder mitgeben: Der Staat sind Sie – und Ihre Feinde sind somit die Feinde des Staates. Diese an sich banale Tatsache, die schon im absolutistischen Frankreich von anno dazumal zutraf, hat von ihrem Wert bis heute nichts verloren. Andere politische Gruppen sind nicht nur Ihre „Mitbewerber“, wie das in demokratischen Ländern gerne dahingesäuselt wird. Mit ihnen ist kein Staat zu machen, sie müssen geradezu mit Gewalt ausgemerzt werden. oder Ihre Nation ist dem Untergang geweiht! Diese Argumentation kennen Sie vielleicht. Sie wird besonders gerne von Parteien benutzt, die schon lange allein herrschen. Aber auch als (noch) Außenstehender können Sie sich dieser Tricks bedienen und die (noch) regierende Partei als Feind brandmarken, von dem der Staat schnellstmöglich befreit werden muss. In irgendeiner Form haben fast alle großen Diktatoren der Vergangenheit diesen Trick angewandt, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Ein lehrreiches Beispiel können wir im Österreich der Zwischenkriegszeit finden. Wie auch anderswo in Europa war die politische Lage im