Er war schon droben im Vorzimmer verschwunden, als Andreas ihm noch nachschaute. Dieser Kaflisch befremdete ihn zwar etwas, aber sein Wesen war nicht gerade abstoßend. Er versöhnte mit seiner zudringlichen Neugier dadurch, daß er auch in seinen eigenen Angelegenheiten keine Diskretion, kannte.
Auf der Straße wandte sich Andreas um und sah zur Fassade des Hauses empor, über die die Inschrift »Berliner Nachtkurier« in mächtigen Relieflettern quer hinüberlief. Der Augenblick schien ihm feierlich, er fühlte, daß hier die ihm vorgeschriebene Laufbahn begann.
Zu Hause ging er sofort an die Sichtung seiner Garderobe. Es hatte seine Schwierigkeit, einen passenden Visitenanzug zusammenzustellen, da jedes der hellen Beinkleider den einen oder anderen Mangel aufwies. Seufzend entschloß sich der arme junge Mann zu der Frackhose, die zusammen mit dem verunglückten schwarzen Rock schon dem Doktor Bediener unvorteilhaft aufgefallen war. Andreas hatte dies wohl bemerkt. Er besaß ein angeborenes Verständnis für gute Kleidung, das sich in Berlin rasch ausgebildet hatte. Sooft er über die Friedrichstraße ging, fing er den wohlwollenden Blick irgendeines hübschen Mädchens auf, den sie aber eilig zurückzog, sobald sie den Rock des jungen Mannes abgeschätzt hatte. Diese schlanken, blonden Mädchen, die am Arm kleiner geschniegelter Herren mit blanken Zylindern auf schwarzgelockten Häuptern dahinwandelten, ahnten nicht, wie tief sie Andreas verwundeten. Heute, wie schon oft, studierte er lange in seinem Rasierspiegel, und er sah besser als jeder andere, warum der Anzug, der doch wenig getragen war, ihm so etwas traurig Ungeschicktes verlieh. Der Gedanke, daß in ganz Berlin kein Schneider auf sein Glück und Talent vertrauen und ihm Kredit geben würde, drückte ihn tief danieder und hielt ihn zwei Tage von dem Besuche bei Frau Türkheimer ab.
Mit dem Mute der Verzweiflung schlug er endlich den Weg in die Potsdamer Straße ein. Er ging die Königin-Augusta-Straße entlang und bog entschlossen in die Hildebrandt-Privatstraße ein, eine stille mit Sand bestreute Allee, die an beiden Enden durch ein Gitter abgeschlossen war. Das Palais Türkheimer fiel als das großartigste unter den Gebäuden jedem Passanten auf. Es war in einem deutschen Renaissancestil erbaut, den man auf seine Echtheit nicht näher ansehen durfte. Andreas schellte an dem reichen bronzenen Gartentor, und es öffnete sich ohne das Erscheinen eines Menschen. Einsam wie der Märchenprinz, der ein verwunschenes Schloß erobert, schritt der junge Mann über eine Art von Burghof, betrat eine majestätische Freitreppe und stand vor der eleganten Glastür, die in die Wölbung des kunstvoll gemeißelten Portals von profanen Händen eingefügt schien.
Die Tür ging auf, doch der grün-silberne Lakai, der Andreas entgegentrat, besaß die Macht, den mutigen Eroberer von der Schwelle seines Paradieses zurückzuscheuchen. Er sagte, daß die gnädige Frau nicht zu Hause sei. Unter dem ersten Eindruck dieser Nachricht übergab ihm der junge Mann seine Karte und das Billett des Doktor Bediener. Gleich darauf fiel ihm ein, daß er dies nicht hätte tun sollen. Er blickte bleich vor Wut dem Diener in das unverschämte Gesicht und stand im Begriffe, einen Schlag hineinzuversetzen. ›Wenn es nicht meinem Interesse zuwiderliefe‹, sagte er sich, ›würde ich es tun. Übrigens kann ich ihm seine Unverschämtheit nicht nachweisen, sie ist versteckt wie immer bei solchen Menschen.‹
Er ging mit der Last seiner vernichteten Hoffnung auf der Brust die Straße zu Ende und befand sich am Tiergarten. Zwei Stunden lang trieb ihn sein enttäuschter Ehrgeiz in den entlaubten Wegen umher. Er fühlte sich so leer und wie an dem Tage, als er mit dem »Café Hurra« zu brechen beschloß. Aber inzwischen hatte er Schritte getan, die nicht so leicht zu wiederholen waren. Wenn nun der freche Lakai, der ihn wie einen stellungsuchenden Kandidaten gemustert hatte, die Karte des Chefredakteurs nicht abgab?
Aber schon am folgenden Morgen erhielt Andreas mit der Post eine Einladung zum Abend des zehnten November von Frau Adelheid Türkheimer.
IV.
Türkheimers
Andreas Zumsee erschien, weil er dies für vornehmer hielt, sehr spät auf der Soiree in der Hildebrandtstraße. An dem bronzenen Gatter, das diesmal weit aufstand, stieß ein majestätischer Portier seinen Stab auf den Boden. Andreas blickte ihm ins Gesicht, er drückte aber nur imposante Kälte aus. Der Lakai, der ihm seinen Mantel abnahm, war zufällig derselbe, den er kannte. Andreas sah ihn nicht einmal an. ›Du hast mich nicht hindern können, herzukommen‹, dachte er.
Das Selbstbewußtsein, mit dem er seinen Eintritt vollführte, erstickte seine geheime Verlegenheit, machte ihn aber auch unvorsichtig. Alsbald stieß ihm ein kleines Unglück zu. Neben der Garderobe lag ein Vorzimmer, das Andreas auf den ersten Blick für leer hielt. Er betrat es, ohne sich anzukündigen, aber schon nach zwei Schritten stand er auf der Schleppe eines Abendmantels. Es war ein Mantel aus gelber Seide mit Brokatstickerei, gefüttert mit Satin-Duchesse. Und Andreas konnte sich nicht schnell genug zurückziehen, um nicht mehr zu bemerken, daß die Besitzerin des Mantels von dem jungen Manne, der ihn ihr abnahm, einen Kuß empfing. Es war eine große starke Blondine, und das wütende Gesicht mit der aufgestülpten Nase, das sie Andreas zuwandte, erfüllte ihn mit solchem Schrecken, daß er unter gestammelten Entschuldigungen recht kläglich beiseite schlich.
Gleich darauf, wie er die Treppe zum ersten Stock hinanstieg, fielen ihm die geistreichsten Wendungen ein, mit denen er sein Ungeschick hätte gutmachen können. Ganz zerschlagen von dem Bewußtsein, der Lage nicht gewachsen gewesen zu sein, ließ er sich durch zwei Säle von einem Strom von Gästen fortziehen, der ihn an das Büfett führte. Im Gedränge stieß er einem distinguiert aussehenden alten Herrn heftig gegen die Schulter und brachte nicht einmal mehr ein Wort der Abbitte hervor, ganz entsetzt über sein neues Mißgeschick. Indes sagte der alte Herr verbindlich »Pardon« und reichte Andreas Teller und Besteck. Der arme junge Mann gewahrte jetzt die seidenen Strümpfe des Haushofmeisters und wandte sich mit blutrotem Gesicht hinweg.
Vor ihm standen Kübel mit Sektflaschen. Ein Diener wartete auf seinen Wink, um ihm einzuschenken. Aber Andreas befürchtete, man möchte ihm ansehen, daß er noch niemals Champagner genossen habe. Er wollte einen Wein wählen, als man hinter ihm lachte. Die verschiedenen Demütigungen, die er in so kurzer Zeit erlitten hatte, brachten ihn außer sich, er war im Begriffe, seine Zukunft durch einen Skandal zu verderben. Sehr bleich, drehte er sich nach zwei Herren in seiner Nachbarschaft um; er war entschlossen, den ersten, der ihn schief anzusehen wagte, zu ohrfeigen. Als die beiden jedoch sein Gesicht bemerkten, schienen sie es gar nicht gewesen zu sein. Der eine von ihnen sprach Andreas an, und auch das stärkste Mißtrauen konnte in seiner Stimme nur ruhige Höflichkeit entdecken.
»Ich rate Ihnen zu dem Chablis dort«, sagte er. »Es ist das Feinste, was hier zu haben ist.«
Andreas dankte und trank mit wiedergewonnener Fassung mehrere Gläser. Da der Wein in einen nüchternen Magen gelangte, brachte er bald die freundlichste Wirkung hervor. Als Andreas den letzten Tropfen getrunken hatte, triumphierte er. ›Die beiden Jobber haben vor meinem Gesicht Furcht gehabt‹, sagte er sich.
Er empfand das Bedürfnis, zu sprechen; man schien sich hier ja unbekannterweise anzureden.
»Da ist ja Kaflisch!« rief er plötzlich, als begrüßte er einen lange vermißten Freund. Der Journalist zeigte sich am Arm eines korpulenten Herrn mit kurzem schwarzem Spitzbart, schweren Lidern und von dem Aussehen einer bedeutenden Persönlichkeit. Andreas meinte ihn zu erkennen.
Kaflisch musterte den Fremdling. Als er ihn in seinem Gedächtnis untergebracht hatte, schüttelte er ihm die Hand.
»Freut mich, Sie wiederzusehen. Nu sehnsewoll, wie 'ne Empfehlung von unserm Alten hier wirkt?«
»Famos!« sagte Andreas. Er fühlte sich unternehmungslustig. Er erkundigte sich:
»Wissen Sie nicht, wo die Hausfrau ist?«
»Kommen Sie von Ratibohr?« fragte der korpulente Herr. Der junge Mann stutzte.
»Nein, von Gumplach«, erwiderte